Mithilfe von selbst entwickelter Künstlicher Intelligenz (KI) will Niedersachsen als erstes Bundesland die Ermittlungen zu Kinderpornografie im Netz beschleunigen. Ziel sei, die Beamten zu entlasten und die Täter schneller zu verurteilen, sagte Innenminister Boris Pistorius (SPD) am Donnerstag.
Der Verbreitung des Materials im Netz gehe der Missbrauch unzähliger Kinder voraus, es seien „abscheulichste Straf-taten zum Nachteil der Schwächsten“. Die Täter müssten schnell identifiziert werden. Zu dem neuen System sei Niedersachsen im Gespräch mit anderen Bundesländern. Die Polizei in Niedersachsen nehme damit eine Vorreiterrolle ein, so Pistorius.
IT-Fachleute des Landeskriminalamts (LKA) hätten ein sogenanntes neuronales Netz entwickelt, das lernfähig sei. Es könne kinder- und jugendpornografische Inhalte erkennen, erklärte LKA-Präsident Friedo de Vries. Damit könne die Bearbeitungsdauer der Fälle verringert werden –bislang sei das Material manuell gesichtet worden. Vorteil der Software: Während ein Ermittler pro Sekunde ein Bild sichten und pro Jahr eine Datenmenge von 4,75 Terabyte bearbeiten könne, bewältige die Software das in weniger als drei Tagen.
Beschlagnahmte oder im Netz gefundene Dateien würden vorselektiert. Die Trefferquote liege bei mehr als 96 Prozent, sagte de Vries. Drei Viertel der sichergestellten Bilder seien sogenannte Alltagsbilder und für die Fahnder nicht relevant – bei den restlichen 25 Prozent gehe es um pornografische und kinderpornografische Inhalte. Die Künstliche Intelligenz differenziere zwischen Dateien ohne und mit pornografischem Inhalt, Treffer werden den Beamten als Vorselektion präsentiert – mit Priorisierung.
Ab Februar sollen Ermittler in einer einjährigen Pilotphase unterstützt werden. Nach vorläufiger Auswertung stieg die Zahl der Verfahren zum sexuellen Missbrauch von Kindern 2019 um rund 20 Prozent im Vergleich zu 2018, bei der Verbreitung pornografischer Schriften waren es 75 Prozent. Internet und Digitalisierung treiben auch die Kinderpornografie an: 2018 stellte die niedersächsische Polizei Datenträger mit rund 1,3 Petabyte sicher – ein Petabyte entspricht gut einer Million Gigabyte.
Für die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist entscheidend, die Belastung der Ermittler auf ein Mindestmaß zu reduzieren, wie GdP-Landeschef Dietmar Schilff sagte. Geeignete Analysetechnik sei ein wichtiger Baustein – wenn die Kollegen am Ende weniger Dateien anschauen müssten, werde die extreme dauerhafte Belastung reduziert. „Verkürzt sich auch die Ermittlungsdauer, bedeutet dies, dass die Polizei im Kampf gegen Kinderpornografie schneller und effektiver handeln kann.“
System soll weiterentwickelt werden
Das neue System werde auch nach der Pilotphase weiterentwickelt, kündigte Projektleiter Christian Bomert an. Dazu seien auch mehrere Wissenschaftler und KI-Experten eingestellt worden. Bei der Technik geht es nicht nur um einen Hautfilter, um klassifizieren zu können, ob es sich um pornografisches Material handelt oder nicht. Dazu kommt eine Bildszeneninterpretation, die ermittelt, was auf den Bildern geschieht. Später soll das System sogar zwischen Kinder- und Jugendpornografie unterscheiden können – also das Alter erfassen.
In Bremen wird bei Ermittlungen gegen Kinderpornografie keine Künstliche Intelligenz eingesetzt. Gleichwohl sei dies ein Thema, sagte Polizeisprecher Nils Matthiesen. Man setze große Hoffnungen auf den Einsatz von KI in diesem Bereich und stehe dazu im engen Austausch mit anderen Landeskriminalämtern sowie dem Bundeskriminalamt. „Und wir sind natürlich sehr interessiert an den ersten Ergebnissen aus Niedersachsen.“