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Schriftsteller Waldemar Augustiny zwischen Zustimmung, Opportunismus und Abstand zum Nationalsozialismus Ringen um die Widersprüche

Vor 70 Jahren erschien "Die große Flut", das Hauptwerk des Worpsweder Literaten Waldemar Augustiny. Viele sahen – und sehen heute noch – in dieser "Chronik der Insel Strand" eine der größten Katastrophen der norddeutschen Heimatgeschichte, detailliert recherchiert und spannend aufgeschrieben. Andere werfen dem Autoren vor, darin das Gebot der Rassentrennung im Sinne des Nationalsozialismus zu propagieren. Augustinys Sohn Volkert will diese Sichtweise nicht unwidersprochen stehenlassen.
25.04.2013, 05:00 Uhr
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Von Lars Fischer

Vor 70 Jahren erschien "Die große Flut", das Hauptwerk des Worpsweder Literaten Waldemar Augustiny. Viele sahen – und sehen heute noch – in dieser "Chronik der Insel Strand" eine der größten Katastrophen der norddeutschen Heimatgeschichte, detailliert recherchiert und spannend aufgeschrieben. Andere werfen dem Autoren vor, darin das Gebot der Rassentrennung im Sinne des Nationalsozialismus zu propagieren. Augustinys Sohn Volkert will diese Sichtweise nicht unwidersprochen stehenlassen.

Worpswede. "Ich will nicht, dass das alles noch einmal von vorne anfängt", sagt Volkert Augustiny. Aber sich einfach abfinden mit dem Bild von seinem Vater, wie es jetzt in der Öffentlichkeit gezeichnet wird – das will er auch nicht. Der Konflikt ist heikel, denn es geht um die Haltung Waldemar Augustinys zum Nationalsozialismus. Sein Sohn ist bereits im Jahr 2001 deswegen vor das Verdener Landgericht gezogen.

Der Heimatforscher Ferdinand Krogmann hatte damals einen Buchbeitrag über Waldemar Augustiny veröffentlicht. Er bezeichnete den Autoren als "Teil des nationalsozialistisch organisierten Literaturbetriebs", der "militärisches Gedankengut und Durchhalteparolen verbreitet" und nannte zahlreiche Belege für Augustinys faschistische Überzeugung. Er nimmt für sich in Anspruch, den folgenden Prozess gewonnen zu haben.

Carl Emil Uphoffs Brief von 1940

Volkert Augustiny widerspricht dieser Interpretation. Das Gericht habe seinerzeit nicht in der Sache entschieden, sondern ihm verwehrt, die Persönlichkeitsrechte seines bereits 1979 verstorbenen Vaters wahrzunehmen. Laut Rechtsprechung erlöschen diese Rechte in der Regel mit dem Tod, nur in prominenten Ausnahmefällen bestehen sie darüber hinaus. Hier spielt Dauer und Bekanntheit eine Rolle, im Fall Augustinys ging der zuständige Richter davon aus, die Persönlichkeitsrechte seien so weit "verblasst", dass keine Klage zulässig sei und wies den Fall ab.

Ferdinand Krogmann veröffentlichte 2005 eine Augustiny-Monografie mit dem Titel "Schöngeist unterm Hakenkreuz" und vertiefte seine Thesen. In seinem 2011 erschienenen Buch "Worpswede im Dritten Reich" nennt er den Dichter unter anderem einen "Mitläufer", "Befürworter" und "Nutznießer" des Systems. Im bekanntesten Buch, "Die große Flut" von 1943, sieht er die Rassentrennung propagiert.

Die Literaturkritik hat das Werk, das in zahlreichen Auflagen auch nach 1945 nachgedruckt wurde, durchweg anders beurteilt. Es geht um die nordfriesische Insel Strand, die in einer einzigen Sturmflutnacht 1634 versank. Konflikte zwischen den Einheimischen und holländischen Deich-Arbeitern führten zur Katastrophe.

Die Quellenlage ist dennoch nicht so eindeutig, wie Krogmann sie immer wieder darstellt. Er hat vor allem die gleichgeschaltete Presse und amtliche Dokumente ausgewertet, aber nie den Kontakt zur Familie Augustiny gesucht. Den Nachlass des 1979 verstorbenen Dichters hat er niemals eingesehen und auch nicht angefragt.

Dabei befindet sich ein Schreiben Carl Emil Uphoffs an Waldemar Augustiny vom 11. Juni 1940. Uphoff, der in zahlreichen Positionen den NS-Staat im Künstlerdorf vertrat und zweifelsohne als überzeugter Nationalsozialismus gelten muss, bezog sich darin auf einen Konflikt mit Augustiny um den Überfall Deutschlands auf Frankreich. Uphoff spricht von "offenen und versteckten Anpöbelungen" ihm gegenüber, getätigt von Augustiny und seinen "Worpsweder Geistesgenossen", wie er in der zackigen Diktion der Zeit schrieb.

Uphoff attestierte Augustiny, eine "abwegige geistige Haltung in unserem Volke zu verbreiten" und kündigte an, ihn bei der zuständigen Parteidienststelle zu melden. Ob daraus ein Verfahren entstand, ist unbekannt. Für Volkert Augustiny aber zeigt sich daran, dass sein Vater, der kein NSDAP-Mitglied war, keinesfalls unwidersprochen der NS-Ideologie gefolgt sei – und ganz offensichtlich damit in Worpswede auch nicht allein stand.

Er sei sicher kein Widerständler gewesen, sondern habe sich opportunistisch verhalten, um seine Arbeit als Schriftsteller weiter verfolgen zu können, so der heute 72-jährige Sohn. Dabei sind Veröffentlichungen entstanden, in denen der Autor die NS-Kulturpolitik ausdrücklich lobte. Ob diese seine tatsächliche Haltung widerspiegeln, bezweifelt sein Nachkomme ohne das Gegenteil beweisen zu können. Aber es gibt Anhaltspunkte für eine andere Überzeugung, die in der Darstellung Krogmanns keine Rolle spielen. Waldemar Augustiny trat nach dem Krieg in die SPD ein, wurde von den Alliierten ins Osterholzer Entnazifizierungs-Komitee berufen. Der jüdische Verleger Max Tau zählte zu seinen engeren Freunden und in dem Künstlerhaus am Schluh gingen linke Literaten und Intellektuelle oder Persönlichkeiten wie Reinhard Mohn ein und aus.

Diese Aspekte vermisst Volkert Augustiny in den Darstellungen über seinen Vater: "Wenn man seinen Namen in die Internet-Suchmaschinen eingibt, dann kommen immer nur die Anschuldigungen ans Tageslicht." Ihm gehe es nicht darum, die Verstrickungen zu leugnen, aber er wünscht sich ein differenziertes Bild, das Platz lässt für Ambivalenz und Widersprüche und in dem auch die Erinnerungen von Zeitzeugen wie ihm eine Rolle spielen.

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