Bestialischer Gestank und Tränen in den Augen – trotzdem bemühte sich eine Raumpflegerin vor 25 Jahren, die Folgen eines Buttersäure-Anschlags auf das SPD-Parteibüro Bremen-Nord zu beseitigen. Unbekannte hatten die Glastür eingeschlagen und Buttersäure ins Büro geworfen. Für die SPD war schnell klar, dass es einen Zusammenhang mit dem bevorstehenden Tag der Deutschen Einheit geben musste. Indizien: Erstens war laut Bericht in der NORDDEUTSCHEN vom 30. September 1994 erst wenige Tage zuvor eine Bombe vor dem FDP-Parteibüro in Bremen gelegt worden. Sie musste von der Polizei kontrolliert gezündet worden. Und zweitens war angesichts der bevorstehenden Feier ein Demonstrationsverbot verhängt worden. Aus Protest waren 16 SPD-Plakate in Vegesack mit Demonstrationsaufrufen überklebt worden. Dass durch Gewaltanwendung der Versuch unternommen werde, die politische Situation in der Bundesrepublik zu destabilisieren, könne nicht hingenommen werden, sagte der damalige Nordbremer SPD-Vorsitzende Detmar Leo.
1994 fanden die offiziellen Feiern zum Tag der deutschen Einheit in Bremen statt. In der Stadt grassierte die Furcht, es könne zu Chaostagen kommen. Wenige Tage vor dem 3. Oktober wurde das Polizeikontingent auf 3000 angehoben. Auch Vegesack bekam seinen Teil ab. 400 Polizeibeamte sicherten den Stadtteil, vor allem den Bereich um die Lürssen-Werft und die Strandlust. Die CDU feierte mit Prominenz in der Strandlust (wo das Brandenburger Tor nachgebaut worden war), während in der Werfthalle John Eliot Gardiner die 9. Symphonie von Beethoven dirigierte, vor 2000 Gästen. Randale gab es – zumindest in Nord – dann doch nicht.
Das Gelände liegt in Bardenfleth an der Weser und ist für den Schiffbau hergerichtet. Dennoch fand sich 1994 kein Interessent. „Kein Käufer für das Schürenstedt-Gelände“ lautete denn auch die Überschrift ebenfalls am 30. September 1994. Das Areal befand sich in der Zwangsversteigerung, das Verfahren musste aber für ein halbes Jahr ausgesetzt werden, weil sich kein Bieter fand.
Die Schürenstedt-Werft hatte damals noch einen klingenden Namen, zählte zu den vielen Werften, die einst den Schiffbau-Ruhm der Region begründet und getragen haben. Die Anfänge der Werft reichten zurück bis zu Hinrich Schürenstedt, der 1838 noch im Binnenland begann, hölzerne Boote herzustellen. August Schürenstedt verlegte den Betrieb an die Weser, nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs das Unternehmen auf 435 Mitarbeiter. Die Machenschaften, bei denen die Schürenstedts dann ihre Werft verloren, schafften es bis in den „Spiegel“. Der vertraute Steuerberater des Unternehmens sicherte sich bei einer Kapitalbeschaffung zunächst Anteile an der Werft und drängte die Brüder 1980 mit Beteiligung von Banken ganz aus dem Betrieb. Noch im selben Jahr meldete die Schürenstedt-Werft allerdings Konkurs an.
1994 häuften sich die beunruhigenden Meldungen zum Bremer Vulkan. War Wochen zuvor schon über Umstrukturierungen berichtet worden, wurden die Hinweise nun deutlicher. Ein Mitarbeiter unserer Zeitung hatte den damaligen Werftchef Friedrich Hennemann gesprochen und unter der Überschrift „Grundstücksverkäufe für zehn Millionen Mark“ darüber berichtet.
Hennemann berichtete von eben den Grundstücksverkäufen in Vegesack und wurde in dem Bericht zitiert: „Wir ringen um die Produktionsstandorte in Vegesack und Bremerhaven.“ Andererseits müsse sich niemand der 2500 Beschäftigten Sorgen machen. Gerüchte über Liquiditätsprobleme seien substanzlos. Niemand müsse dem Vulkan unter die Arme greifen. Damals machten gerade Gerüchte die Runde, der Senat müsse der Werft mit 200 Millionen Mark unterstützen.
Das Kartenhaus Vulkan-Verbund stand da noch genau ein Jahr: Im September 1995 wurden erste Berichte über Liquiditätsprobleme veröffentlicht. Anfang 1996 wurde der Vergleichsantrag gestellt.
Das Vegefest hieß damals Herbstfest. Das Ereignis in der Vegesacker Fußgängerzone war zwar bunt, unser Berichterstatter fand aber in der Ausgabe vom 3. Oktober eine ganze Reihe von Kritikpunkten. Beispielsweise findet sich im Artikel folgendes Zitat: „Groß war bei den Organisatoren allerdings die Enttäuschung darüber, dass der erwartete internationale Journalistentross zugunsten einer SAT1-Einladung Vegesack einen Korb gegeben hatte. Ortsamtsleiter Reiner Kammeyer sprach von einem Affront.“ Warum und wieso – das bleibt leider im Dunklen.
Ärger drohte auch an anderer Stelle. Der City-Ring (Vorläufer des heutigen Vegesack-Marketings) hatte sich ausgebeten, dass beim Herbstfest keine Parteistände aufgebaut werden sollten. Am 16. Oktober wurde 1994 der Bundestag gewählt. SPD, FDP, Grüne und PDS hielten sich nicht an das Verbot. Stocksauer reagierte vor allem die CDU: Ihr hatte man den Aufbau eines Stands untersagt.
An anderer Stelle allerdings kann der Autor des Artikels seine Faszination kaum verbergen: „Geschüttelt hat‘s manchen Herbstfestbesucher allerdings, als der Magier – offenbar mit Genuss – Rasierklingen schluckte und hinterher wieder am nachträglich geschluckten Faden aus dem Mund herauszog.“