Vor eineinhalb Jahren begann Hubert Sturm damit, Gespräche mit Flüchtlingen und Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten zu führen und ihre Erlebnisse nach dem Zweiten Weltkrieg festzuhalten. Dabei setzte er sich mit vielen bewegenden Geschichten auseinander – auch seiner eigenen.
Der Bericht beginnt in der Zeit „als der Russe“ kam – im niederschlesischen Wolmsdorf bei Bolkenhain, dem heutigen Bolkow. Hubert Sturm schildert eine vorübergehende Flucht an die tschechische Grenze, um die Rote Armee gegen Ende des Zweiten Weltkriegs vorbeiziehen zu lassen. Dann die Rückkehr in die Heimat, die wenig später mit Polen geteilt werden musste – bis es hieß: „Ihr müsst hier raus.“ Nur das Allernötigste auf Handwagen geladen, zog das gesamte Dorf in die Kreisstadt, um von dort in einem Güterzug gen Westen gebracht zu werden. „Die Leute waren eingepfercht und wochenlang unterwegs“, sagt der Lahauser.
Und Hubert Sturm muss es wissen: Der 76-Jährige gibt nicht irgendeinen Zeitzeugen wieder, er spricht von sich selbst. Was auch erklärt, warum ihn das Thema „Flucht und Vertreibung“, an dem er für die Geschichtswerkstatt Weyhe der Volkshochschule (VHS) arbeitet, so betroffen macht. Es ist persönliche Betroffenheit.
Doch obwohl er auch über seine eigenen Erfahrungen „ein paar Seiten“ zu Papier gebracht hat, sammelt Sturm hauptsächlich Berichte von anderen Weyhern, die aus Pommern, Ostpreußen oder – wie er – aus Schlesien stammen. Die Anregung dazu sei von Gemeindearchivar Hermann Greve gekommen. „Ich habe anfangs gezögert, ob ich das machen soll. Ich wusste, dass es eine Heidenarbeit wird“, sagt Sturm. Schließlich sei er „leider ein Einzelkämpfer“ und Laie. In Heiligenrode hingegen sei schon seit längerer Zeit eine Gruppe am Werk, die sich gemeinsam mit Flucht und Vertreibung befasst.
Etwa 15 Gespräche habe er mittlerweile geführt, gibt Sturm zu Protokoll, hinzu kämen eine Handvoll Berichte, die ihm eingereicht wurden. „Einige Leute hatten schon etwas aufgeschrieben und haben mir das zur Verfügung gestellt“, freut er sich über diese Erleichterung seiner Arbeit. Die von ihm tatsächlich geführten Interviews zeichnet er mit einem Diktiergerät auf, um das Erzählte später in Ruhe erfassen zu können. „Ich versuche es dann genau so niederzuschreiben wie es die Personen selbst getan hätten“, sagt er.
Offenbart habe man ihm „ziemlich herbe Schicksale“, zusammengekommen seien viele bewegende Schilderungen „schlimmer Ereignisse“. Sturm: „Vor allem Frauen mussten damals oft leiden, es gab etliche Vergewaltigungen.“ Andere verloren ihr gesamtes Hab und Gut – wie ein Mann aus dem früheren Pommern, mit dem sich der Hobby-Historiker unterhalten hat. „Er floh nach dem Krieg bis Rügen. Die russische Armee war aber vor ihm dort angekommen“, berichtet Sturm. Dem Mann sei alles weggenommen worden.
Auch die Ungewissheit quälte die Flüchtlinge. „Viele wussten ja überhaupt nicht, wo sie hinkommen. Einige befürchteten gar, mit dem Zug nicht nach Westen gebracht zu werden, sondern nach Sibirien“, hat er herausgefunden. Groß sei die Erleichterung gewesen, bei einem Halt eine deutsche Stadt zu erkennen – wie bei einem ihm bekannten Beispiel in Magdeburg.
Sturm konzentriert sich auf Menschen, die letztlich in Weyhe gelandet sind. Hier, das weiß Sturm aus eigener Erfahrung, aber auch aus den Gesprächen, war der Neuanfang meist schwierig: „Da kam plötzlich die Order, die Leute müssten zwei Räume in ihrem Haus abgeben.“ Das habe natürlich zu Konflikten geführt. „Und die Flüchtlinge und Vertriebenen mussten häufig zu fünft oder zu sechst mit einem Zimmer vorliebnehmen.“ Er sei aber überzeugt davon, dass die meisten doch richtig in Weyhe Fuß gefasst hätten.
Ein Gesprächspartner erzählte Sturm von einer ehemaligen Militärbaracke, die er in Dreye abbaute, um sie in Lahausen wieder zu errichten. „Solche Zustände sind heute doch unvorstellbar“, sagt er.
Umso wichtiger sei es, für die Nachwelt festzuhalten, wie es den Leuten damals erging – vielleicht irgendwann auch in Form eines Buches. Druck will sich Sturm dabei nicht machen. Obwohl er weiß, dass die Generation der Zeitzeugen langsam ausstirbt.
Bislang fand Hubert Sturm seine Interviewpartner meist durch private Kontakte. Wer weitere Tipps für ihn hat, kann sich telefonisch mit ihm unter 0 42 03 / 93 36 in Verbindung setzen.