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Gewerbeflächen in Delmenhorst „Stadt verschleudert Gewerbeflächen“

In Delmenhorst ist ein Streit darüber entbrannt, ob es im Osten der Stadt ein neues Gewerbegebiet geben soll. Gut angebunden wäre es. Aber es würde in einem sensiblen Naturgebiet entstehen.
17.02.2019, 17:59 Uhr
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Von Jochen Brünner und Andreas D. Becker

Wenn Margitta Spiecker, frühere Beauftragte für Siedlungsentwicklung beim Nabu-Ortsverein Delmenhorst, durch das Gewerbegebiet Langenwisch schlendert, dann sinkt ihre Laune. Ihrer Ansicht nach geht die Stadt Delmenhorst nämlich viel zu großzügig mit den zur Verfügung stehenden Gewerbeflächen um und verschenkt auf diese Weise wertvollen Boden. Insgesamt hat der Nabu hier fast 10 000 Quadratmeter ungenutzten Raum ermittelt, zudem seien noch rund 40 Prozent des zur Verfügung stehenden Areals frei. All dies vor dem Hintergrund, dass die Verwaltung einen Bebauungsplan für eine Gewerbegebiet im nördlichen Pultern-Areal aufstellen will, den die Naturschützer kategorisch ablehnen.

„Wir haben den Eindruck, dass die Stadt ihre Flächen geradezu verschleudert“, schimpft Spiecker. Dies betreffe auch die jüngsten Flächenverkäufe an der Stickgraser Allee: So habe die Stadt Grundstücke mit einer Gesamtfläche von 14 400 Quadratmetern an drei Firmen verkauft, die nur eine vergleichsweise geringe Zahl von Arbeitsplätzen mitbringen würden. Gleiches gelte für den geplanten Fitnesspark an der Annenheider Allee: Der Betrieb benötige 4500 Quadratmeter plus 800 Quadratmeter Außenfläche, insgesamt habe die Stadt aber 12 000 Quadratmeter verkauft. Der Nabu fordert nun, Verkäufe von Gewerbegrundstücken künftig sowohl an die Betriebsart als auch an die Zahl der Arbeitsplätze zu koppeln. Andere Kommunen würden längst nach diesem Prinzip verfahren.

Nach Erkenntnissen der Nabu-Vorsitzenden Yvonne Ingenbleek, die sich auf Untersuchungen der Delmenhorster Wirtschaftsförderungsgesellschaft (DWFG) stützt, verfügt die Stadt noch über rund 120 Hektar Flächenressourcen für Gewerbeansiedlungen, von denen sich allerdings etwa drei Viertel in privatem Besitz befinden und zumindest nicht kurzfristig genutzt werden könnten. Als sofort verfügbar habe die DWFG acht Hektar Gewerbefläche ermittelt, der Nabu kommt in seiner eigenen Rechnung auf etwa 15 Hektar, unter anderem am Reinersweg und an der Sulinger Straße. „Bevor man einen Bebauungsplan für das Pultern-Gelände auf den Weg bringt, sollte man erst einmal transparent machen, welche Flächen noch da sind“, fordert Yvonne Ingenbleek deshalb.

Die Flächen hinter dem eigentlichen Pultern-Areal im Landschaftsschutzgebiet Langenwisch seien bereits in neun Fällen für Ausgleichsmaßnahmen mit einer Gesamtfläche von knapp 40 000 Quadratmetern genutzt worden, erklärt Michael Spiecker, Naturschutzbeauftragter der Stadt Delmenhorst. Und gerade angesichts der schützenswerten Hecken- und Feldstrukturen halte er es für sinnvoll und wünschenswert, das Gebiet auch weiterhin als Flächenpool für Ausgleichsmaßnahmen vorzuhalten.

Nabu-Aktivist Gerd Turowski weist zudem darauf hin, dass die Flächen hinter Pultern bereits seit 1984 als Landschaftsschutzgebiet (LSG) deklariert seien. Und der Rat habe diesen Status ja erst im Herbst vergangenen Jahres noch einmal bestätigt. Vor diesem Hintergrund sieht er große verfassungsrechtliche Hürden, das Rad jetzt zurückzudrehen. „Ich sehe keine Chance, an der Stelle eine Nutzungsänderung zu erwirken“, erklärt Turowski. Abgesehen davon bestehe für die Stadt Delmenhorst in ihrer Lage zwischen den Arbeitsmarktzentren Bremen und Oldenburg auch überhaupt keine Notwendigkeit, wertvolle Freiflächen unter großen planerischen und fiskalischen Risiken einer gewerblichen Nutzung zu opfern.

„Delmenhorst ist gut beraten, eine expansive, angebotsorientierte Gewerbeflächenpolitik zu vermeiden und nachhaltig und ressourcenschonend mit den zur Verfügung stehenden Flächen umzugehen“, sagt Turowski. Laut Margitta Spiecker stehen auf dem gesamten Areal ohnehin nur maximal zehn Hektar bebaubare Fläche zur Verfügung – „für die dann auch noch Ausgleich geschaffen werden müsste“. Yvonne Ingenbleek fordert, in einer Machbarkeitsstudie, die sowohl der Planungsausschuss als auch der Ortsrat Hasbergen gefordert habe, nicht nur die Potenziale, sondern auch die Alternativen und Hemmnisse einer Pultern-Bebauung zu berücksichtigen und kein „Gefälligkeitsgutachten“ anfertigen zu lassen. „Grundsätzlich“, ist Turowski überzeugt, „ist die Machbarkeitsstudie aber rausgeschmissenes Geld.“

Die Stadt hatte das Gelände des ehemaligen Landgasthofs Zur Pultern, der 2004 abgebrannt war und seitdem als Brandruine ein wenig einladendes Bild am Ortseingang abgab, 2013 für 193 000 Euro in einer Zwangsversteigerung gekauft. Allerdings ging es der Wirtschaftsförderung und den Stadtplanern nicht darum, einen Schandfleck zu beseitigen. Das Gelände bot nämlich die Möglichkeit, die dahinter liegende gut 22 Hektar große Fläche im städtischen Besitz zu erschließen. Dabei handelt es sich um die Liegenschaften des ehemaligen Gut Langenwischs. Im März 2014 beauftragte der Verwaltungsausschuss die Verwaltung, einen Bebauungsplan für das gesamte Areal aufzustellen. Das Ziel: ein Gewerbegebiet in Kombination mit Naherholung. Seitdem ist nichts weiter passiert.


Der Ausschuss für Planen, Bauen und Verkehr tagt am Dienstag, 19. Februar, um 17 Uhr im großen Ratssaal.

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