Martfeld. Von den Kirchen in der Samtgemeinde Bruchhausen-Vilsen dürfte die Martfelder Catharienkirche allen übrigen wohl den Rang ablaufen. Zumindest in Bezug auf Rätselhaftes, Tragisches und auch Kurioses. Bemerkenswert ist schon einmal mit Blick auf heutige Kirchenaustritte, dass diese Gemeinde über Generationen hinweg nicht nachließ, den Bau einer größeren Kirche zu fordern.
Schon 1526, als einer der Ihren, Prediger Otto Honfelt vom Meierhof 50, als erster nach der Reformation die Lehre Luthers verkündete, mag auch die Neugier, der Wunsch oder die Überzeugung, dem neuen Glauben anzugehören, den Platzmangel benannt haben. Erst recht bei seinem Nachfolger Henrich Vehling, der Luthers Reden in Wittenberg gehört hatte. Die Gläubigen ließen nicht locker und prangerten an, die Bausubstanz sei schlecht, die Kirche dumpf, dunkel und feucht. Den Martfeldern standen im Jahr 1730 528 Plätze zur Verfügung. Das reichte ihnen nicht. Auf jeder der etwa 200 Hofstellen lebten mit Gesinde acht bis neun Personen. Ein Bericht mitsamt einer Zeichnung und einem Kostenvoranschlag ging an das königliche Konsistorium in Hannover. Erwähnt wurde, 3000 Reichstaler lägen bei der königlichen Kriegskanzlei, verbunden mit dem Hinweis, ein Neubau würde mehr kosten.
Der Siebenjährige Krieg (1756-1763) vereitelte ein Bauvorhaben. Ein zweiter Vorstoß seitens Landesbaumeister Paulsen im Januar 1803 mit detaillierter Auflistung der Kosten von 11 338 Reichstalern, vier Mariengroschen und vier Pfennigen und dem Vorschlag, beim Abriss der alten Kirche könnte der Verkauf des Holzes vom Turm und der Dachpfannen einen Erlös bringen, fiel erst einmal nicht auf fruchtbareren Boden. Aber als Kaiser Napoleon Bonaparte, der große Teile Deutschlands besetzt hatte, seine Absicht kundtat, das Kurfürstentum Hannover Westfalen zuzuschlagen, wuchsen die Ängste, das Kirchenvermögen von 16 000 Reichstalern könnte vom Staat zur Kriegsfinanzierung eingezogen werden. Erst nach einigen Änderungen und der Forderung des Abtes Christoph von Loccum, die Umfassungsmauer der Kirche, die ursprünglich vermutlich höher geplant war, solle 20 Fuß betragen, „dass ein ängstliches Aussehen des Neubaus vermieden würde“, genehmigte am 1. Mai 1810 das Königlich Westfälische Konsistorium den Neubau. „Nach vorgängiger Communication mit fachlöblichen Regierungs-Collegia“, schrieb der Abt.
Im Juli begann der Abbruch des alten Gebäudes, das als ehemalige Kapelle um 1420 zu einer Kirche erweitert worden war. Innerhalb von nur zwei Jahren wuchs auf den Grundmauern mit Steinen vom Abriss und neuen aus den Ziegeleien in Haßbergen und Eystrup das Gotteshaus. Im Sockel wurde Barsinghauser Sandstein verbaut. Mehr als 1000 Gottesdienstbesucher fanden nun Platz. Wohl bedingt durch die französische Besetzung bildete sich bei der Bevölkerung eine nationale Identität heraus, um sich vom „Erzfeind“ abzugrenzen.
Es entstand ein verputzter Saalbau mit ziegelgedecktem Doppelwalmdach. An der Ostseite schließt sich die Sakristei an. Im Innenraum mit einer Voutendecke finden sich dreiseitig hölzerne Emporen auf dorischen Säulen. „Die Kanzelwand an der Ostseite betont das Imperiale, die ungeheure Helligkeit und die Farbgebung in Weiß, Hellgrün und Gold lässt die Kirche wie einen gold'nen Kronensaal erscheinen, angelehnt an die Textzeile eines Kirchenliedes“, findet der bis 2018 amtierende Pastor Heinz-Dieter Freese. Man blickt auf eine Altarwand im Stil des Klassizismus mit der Front eines antiken Tempels, dessen Dach von vier Säulen mit korinthischen Kapitellen getragen wird. Im Giebel das Dreieck als Symbol für Vater, Sohn und Heiliger Geist, umgeben von einem Strahlenkranz. Den Stil der napoleonischen Zeit spiegeln Girlanden unter dem Dachgesims wider.
Die Wand erstrahlt seit dem Jahr 2000 nach Restaurierung in neuem Glanz. Ein Schwelbrand hatte sie zwei Jahre zuvor durch Kurzschluss in den elektrischen Leitungen vernichtet, die Flammen bis durchs Dach schlagen lassen. Schwer beschädigt war auch die Orgel. „Die Pfeifen schmolzen wie Butter“, hieß es. Einige lehnen heute zur Dokumentation an der Nordwand im Kirchenschiff. Brände hatten Martfeld in den Jahrhunderten zuvor immer wieder heimgesucht. So war 1745 das Pfarrhaus abgebrannt und damit sämtliche Kirchenbücher vernichtet worden, die dort lagen.
Der 27 Meter hohe Turm wurde 1836 fertiggestellt, das Dach des achteckigen Glockengeschosses mit Schiefer gedeckt. Beim Richtfest kam es zu einem tragischen Unglück. Dem Zimmermann entglitt das Beil, er erschlug ein Mädchen. „Es war ein gutes Kind und einzige Tochter der Eltern“, ist dokumentiert.
„In einem Teil des Turms wurden vermutlich Balken aus anderen Bauten verwandt. Zu sehen ist das an den Löchern, durch die einmal Holznägel gesteckt waren. Auch die weiterführende Holztreppe dürfte andernorts gestanden haben“, ist Pastor Freese überzeugt. Zahnräder der alten Turmuhr der Firma F.A. Beyes aus Hildesheim, datiert auf 1894, fristen neben alten Orgelteilen und Täfelchen mit Nummern zu Liedern aus dem Gesangbuch ihr einsames Dasein. Ob es wohl Konfirmanden waren, die auf einer Tür hier oben ihre Initialen von 1917 bis 1949 ins Holz ritzten?
Die älteste der drei Glocken, die schon in der alten Kirche hing, könnte von 1515 oder 1518 stammen, da streiten sich die Gelehrten. Vermutet wird, ursprünglich sollte sie nach Wechhold gehen. Belegt ist: Laut Vertrag vom März 1515 bestellten die Wecholder in Minden bei Johann Cremer zwei Glocken. Spenden brachten nicht die erforderlichen 27 Taler. Es herrschte Krieg in Norddeutschland. Das Amt Hoya war vom Celler Herzog besetzt. So könnte es sein, sie wurden handelseinig mit den Martfeldern, und die Glocke gelangte so in deren Besitz. Auch die Inschriften in lateinischer Sprache geben Rätsel auf. Am oberen Rand steht: „Ich werde Maria genannt, zu Ehren der reinen Jungfrau Katarina ist die Glocke gegossen, und dienstbar bin ich auch Bartolomeo." Ein Glockensachverständiger deutete weitere Striche und Buchstaben als „in sunte Katarinen“. Gemeint ist Katharina von Alexandrien, die in der orthodoxen und katholischen Kirche als Märtyrerin verehrt wird. Ab 1959 wurde die Kirche schließlich Catharinenkirche genannt. Die zweite Glocke, gegossen 1862, wurde im Zweiten Weltkrieg eingezogen und erst 30 Jahre später durch eine der Bremer Glockengießerei Otto ersetzt. Sie trägt die Aufschrift „Er ist unser Friede“. Die dritte im Turm wurde samt Glockenstuhl vom Herforder Industriellen Dietrich von Hollen, einem gebürtigen Martfelder, gestiftet. Auf ihr steht: „Gott ist die Liebe“.
Hatte der Küster mit Schülern bis 1840 den Gesang angeleitet, übernahm das nun die erste Orgel, gespendet von der politischen Gemeinde Martfeld. Sie wich einem Orgelneubau nach dem Vorbild der vorherigen im Jahr 1930 der Firma Faber und Dienes in Salzhemmendorf und wurde 1985 durch eine der Firma Gebrüder Hillebrand in Altwarmbüchen ersetzt.
Als sich im Juli 1961 die Kugel auf der Turmspitze immer mehr neigte, wurde sie in Augenschein genommen. Es zeigte sich, die Verankerungen waren durchgerostet, die Nägel zersetzt, das Gebälk an der Turmspitze morsch. Die zwei Meter hohe Zierde mit Kreuz, Wetterfahne und Kugel hätte vom Dach stürzen können. Auch wurde festgestellt, dass die Kugel wohl im Zweiten Weltkrieg als Zielscheibe gedient hatte für schießwütige Tiefflieger.
Ist das schon eine Besonderheit, so muss an dieser Stelle noch der hölzerne Opferstock erwähnt werden, der in alten Zeiten für die Kollekte diente. Er steht jetzt an der Nordwand in der Kirche. Nach dem Brand 1998 kam er zu einem Restaurator und geriet dort viele Jahre in Vergessenheit. Als Pastor Freese ihn zurückholte, staunte er nicht schlecht, was sich im Inneren verborgen hatte. Hier nur eine kleine Auswahl: vom einem Viertel Stuber aus dem Jahr 1775 über Pfennige, Fünfer und Zehner mit und ohne Hakenkreuz bis 1950, Knöpfe, Patronenhülsen, eine Kinokarte der Schwarmer Lichtspiele, ein Silbermedaillon mit Frauenporträt, vermutlich aus dem 18. Jahrhundert, ein 500-Mark-Schein der Reichsbank, Bindedraht, eine leere Dose Monarch Salmiakpastillen und vieles mehr. All das ruht nun unter Verschluss in einem Stahlschrank. Wie interessant wäre es wohl, dieses einmalige Sammelsurium auszustellen.