Niedersachsens Verfassungsschutz-Präsidentin geriet gehörig ins Schwimmen. „Mir ist abstrakt kein Fehler in der Vergangenheit bekannt“, erklärte Behördenleiterin Maren Brandenburger in öffentlicher Sitzung des Verfassungsschutz-Ausschusses des Landtags gleich mehrmals zu den unangenehmen Fragen über den in Göttingen enttarnten V-Mann. Nur in der Vergangenheit? Auf beharrliches Nachhaken von FDP-Fraktionschef Stefan Birkner machte die Geheimdienstchefin dann doch ein kleines Eingeständnis: „Es gibt einen Sachverhalt, über der wir in vertraulicher Sitzung berichten könnten.“
Dies geschah dann auch im hermetisch abgeriegelten und abhörsicheren Kellerraum im Nebengebäude des Parlaments. Schon vor und erst recht nach der geheimen Unterrichtung sah sich Brandenburger den Rücktrittsforderungen der FDP ausgesetzt. „Wir brauchen dringend einen personellen Neuanfang“, betonte Birkner. „Wir können das verlorene Vertrauen nur durch eine neue Führung zurückgewinnen.“ Innenminister Boris Pistorius (SPD) müsse seine Behördenleiterin daher in den einstweiligen Ruhestand schicken.
Der hinter den verschlossenen Panzertüren in groben Zügen bestätigte Sachverhalt: In Göttingen war am Vortag ein V-Mann des Verfassungsschutzes, der zwei Jahre lang die linke Szene in der Uni-Stadt ausspioniert hatte, aufgeflogen. Und zwar offenbar durch ein grobes Versagen der Behörde selbst. In Akten, die der Verfassungsschutz in einem Prozess um Auskünfte über eine erfolgte Speicherung dem Verwaltungsgericht Hannover übermittelt hatte, soll sich eine verräterische Passage befunden haben. Diese unterlag eigentlich einem Sperrvermerk und hätte geschwärzt oder ganz aus den Unterlagen entfernt werden müssen. Der brisante Text nannte zwar keine Klarnamen; aber der Inhalt machte im Abgleich mit anderen Auskunftsbegehren eine Identifizierung des mutmaßlichen Spitzels möglich.
"So etwas darf nicht passieren"
Triumphierend präsentierten linke Aktivisten auf ihrer Internetseite nicht nur Namen und Foto eines 24-jährigen Studenten der Philosophischen Fakultät. Sie veröffentlichten Geburtsdatum, alte und neue Adresse, Schule, Handy-Nummer und E-Mail-Adressen. Selbst Konto und Hobbys tauchten dort auf. Der Mann kandidierte laut Online-Steckbrief auf der Alternativen Linken Liste für diverse Uni-Gremien, war studentisches Mitglied in der Haushaltskommission seiner Fakultät. „Kein Spitzel kann sich auf die amtliche Geheimhaltung verlassen“, höhnten die Autonomen und drohten: „Wir kriegen sie alle!“
Durch diesen Skandal könnten sich Vertrauens-Personen („V-Leute“) nicht mehr sicher sein, dass ihre Identität gewahrt werde, warnte Ex-Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Die gelte nicht nur bei Linksextremisten, sondern auch bei Neonazis und erst recht bei Islamisten. „So etwas darf nicht passieren. Punkt.“ Nach Angaben aus Behördenkreisen soll sich der enttarnte 24-Jährige inzwischen allerdings in Sicherheit befinden.
Die Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten anderer Bundesländer und auch des Auslands sowie das Vertrauen in den Quellenschutz durch den niedersächsischen Verfassungsschutz seien durch diese Schlamperei nachhaltig gestört, erklärte Birkner. „Gleichzeitig ist das Instrument der V-Personen schwer beschädigt.“ Daher könne nur ein Rauswurf die zwingende Konsequenz sein. Soweit wollte die Grünen-Abgeordnete Julia Willie Hamburg noch nicht gehen; erst müsse man klären, ob es sich um einen Einzelfall oder Systemversagen handele. Nicht nachvollziehbar sei das Agieren von SPD-Innenminister Pistorius, der alle Auskünfte im Parlament verweigert habe. „Den Weg, den die Landesregierung hier geht, halte ich für gefährlich.“
Fragen der Grünen, ob der niedersächsische Verfassungsschutz auch Universitäten und deren Gremien ins Visier nehme, widersprach die Behördenchefin. „Selbstverständlich stehen bei uns nicht die Universitäten im Fokus“, erklärte Brandenburger in der öffentlichen Ausschusssitzung. „Wir beobachten extremistische Strömungen und die betreffenden Personenzusammenschlüsse, nicht aber Räume.“ Vize-Präsidentin Martina Schaffer berichtete dem Ausschuss über die gegenwärtige Auskunftspraxis ihrer Behörde.
Danach haben die Anfragen, ob und was der Verfassungsschutz über eine Person speichert, in den letzten beiden Jahren drastisch zugenommen. 2018 habe die Behörde bisher 406 Auskunfts- und Löschungsbegehren beantwortet, davon 383 „negativ“, also ohne Erkenntnisse. In 23 Auskünften seien den Betroffenen Erkenntnisse im gesetzlichen Rahmen mitgeteilt worden. Einige Bescheide seien auch vor Gericht angefochten worden. Hinter der Anfrageflut sei durchaus ein System der linken Szene zu vermuten, um Rückschlüsse auf V-Leute ziehen zu können, ließ Schaffer durchblicken. „Wir sind uns der Gefahr bewusst, dass die Auskunftsbescheide nebeneinandergelegt werden.“ Dass dabei etwas durchgerutscht sein könnte, mochte Chefin Brandenburger nicht als „Aufsichtsversagen“ bewertet wissen. Für die Auskunftsverfahren, erklärte die Präsidentin, gebe es schließlich ein detailliertes Regelwerk.
(Dieser Artikel wurde 20:06 Uhr aktualisiert.)