Worpswede. Hieb- und stichfest ist die Kunst von Marie Ueltzen allemal. Nur mit „Handarbeiten“ darf man ihre Bilder keineswegs in Verbindung bringen, das macht die Worpswederin, die aktuell ihre Arbeiten in der Galerie Altes Rathaus zeigt, ziemlich unmissverständlich klar. Sie verbindet zwar Acrylmalerei mit Stickerei, aber die Technik ist für sie nicht mehr als ein Mittel zum Zweck. Ihr geht es darum, mit auf den ersten Blick arglos wirkenden Motiven Hintergründiges und gern auch Bitterböses zu zeigen. „Das Harmlose, das man mit dem Sticken verbindet, erhöht natürlich diesen Effekt“, sagt sie. Erst recht, wenn man weiß, dass sie mit dem sogenannten Klosterstich, einer Technik aus dem 13. Jahrhundert, arbeitet, um ihre Themen in Szene zu setzen.
Die Ergebnisse sind unkonventionell und eigentümlich, sie entführen in eine Welt, die erst gefällig erscheint und dann doch gehörig in Schräglage gerät. Aus einem Konvolut aus Fundstücken, meist aus dem Internet, aber auch aus Filmen, Biografien oder Musikstücken entstehen Stich für Stich Werke, die irritieren. Manchmal als Kleinformate wie eine Serie über verhaftete Prostituierte in den USA der 1940er-Jahre, die als Titel einfach die Fallnummern auf den hochgehaltenen Schilder tragen, aber auch als wandfüllende Arbeiten, die fast ein wenig wie Teppiche wirken und wochenlange Arbeit erfordern. Häufig sind die Konturen gestickt, die Flächen aber bemalt. In anderen Bildern sind unterschiedliche Wollarten verarbeitet, sodass sich auch die Texturen voneinander abheben.
Poesie und Trash
Immer wieder tauchen Tiere auf, manche von ihnen tragen absurde Kleider, wie etwa ein „Hirsch in Schutzjacke“ oder ein Pinguin, dessen Pullover langsam aufribbelt – fast so etwas wie ein roter Faden. Diese Wechselspiele mit Material und Inhalt macht Ueltzen ebenso Spaß wie die Arbeit mit der Nadel selber. Das habe etwas Meditatives, und am Ende sei sie immer selber auch überrascht davon, wie sich aus zahllosen Stichen ein Gesamtbild formt. Poesie und Trash spielen für sie dabei eine große Rolle, Romantik aber sucht man bei ihr vergeblich. Sie will durchaus erschrecken, auch wenn sie sich selbst für durch und durch „gutmütig“ hält. „Ich möchte, dass die Leute genau hingucken und nicht etwas einfach so übernehmen, weil es alle so sagen“, beschreibt sie ihre Lust am Überraschen.
Morbide Themen, aber auch starke Frauen beschäftigen die 55-Jährige. Die doppelte Nobelpreisgewinnerin Marie Curie etwa oder die Aktivistinnen von Pussy Riot – ausnahmsweise in einer Häckelarbeit – sind in der Ausstellung vertreten. Ihre Santa Medusa sei dagegen die Schutzheilige der dauernd getrennt Lebenden, behauptet Marie Ueltzen und freut sich ein wenig schelmisch. Und natürlich ist auch der Titel der Schau „Schwimmmoos“ doppeldeutig: Als Schriftzug liegt er auf dem Boden, direkt daneben warnt ein Schild vor dem Betreten. „Schwimmmoos ist lebensgefährlich: Erst sieht es schön aus und dann versinkt man darin“, sagt Uelzen. „Außerdem fand ich ein Wort mit dreimal M und doppelt O direkt dahinter toll!“
Die Ausstellung „Schwimmmoos“ in der Kommunalen Galerie Altes Rathaus an der Bergstraße 1 in Worpswede ist noch bis Pfingstmontag, 10. Juni, zu sehen. Geöffnet ist dienstags bis freitags von 14 bis 18 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen von 11 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei. Das gilt auch am Donnerstag, 9. Mai, wenn Marie Ueltzen dort ab 19.30 Uhr aus ihrem Buch „Früher ist hinten“, liest. Darin geht es um eine Reise nach Vietnam, aber auch um den Umgang mit der schlimmsten Furcht und einem tiefen Blick in die eigene Vergangenheit.