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Basketballverein aus Vechta Das Rasta-Prinzip

Die Basketball-Bundesliga staunt. In München, Berlin und Frankfurt fragt man sich: Was geht denn da in Vechta ab? Der Aufsteiger eilt von Sieg zu Sieg. Wir haben ihn besucht.
02.02.2019, 19:46 Uhr
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Das Rasta-Prinzip
Von Marc Hagedorn

Als Stefan Niemeyer noch selbst Basketball gespielt hat, da gab es einen Spruch, den ihm die Mitspieler gern mal reindrückten. „Der dreht sich, und alle um ihn herum fliegen durch die Halle.“ So ging der. Niemeyer lacht, als er das jetzt erzählt. Er ist 1,92 Meter groß und war Center, also der Mann direkt unter dem Korb, dort, wo es zur Sache geht, wo gedrängelt, geschoben und gestoßen wird beim Kampf um den Ball.

Der Spruch war als kleine Stichelei gemeint. „Ein bisschen breiter war ich schon immer“, sagt Niemeyer, der ein gutes Stück von seinem Idealgewicht entfernt ist. Aber in dem Satz versteckte sich auch ein Kompliment. Denn der Center Niemeyer war buchstäblich das Zentrum des Spiels, und Center, die ihren Mitspielern die Wege frei räumen, sind das A und O.

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Basketball spielt Niemeyer heute nicht mehr, aber er ist in Vechta mehr denn je das Zentrum dieses Spiels. Niemeyer, 58, ist Geschäftsführer und Hauptsponsor von Rasta Vechta. Er war hier auch schon Vorsitzender, Trainer, Schiedsrichter und Mädchen für alles, als Rasta noch ein reiner Amateurverein war. Heute spielt Rasta in der Bundesliga. Der Aufsteiger ist sensationell Dritter, hat eine grandiose Siegesserie hingelegt. An den Bundesliga-Standorten in München, Berlin und Frankfurt, wo sie ganz andere Möglichkeiten und Ansprüche haben, fragen sich gerade alle: Was ist denn da in Vechta los?

Stoppelmarkt und CDU

Auf Spurensuche in der niedersächsischen Provinz, ungefähr in der Mitte des Städtedreiecks Bremen, Oldenburg, Osnabrück. Vechta ist umgeben von Mooren, Feldern und Wiesen. Die Gegend ist CDU-Hochburg. Im Internet wirbt die Stadt, in der rund 32.000 Menschen zu Hause sind, mit dem Stück „Gefährliche Liebschaften“, das im örtlichen Metropol-Theater aufgeführt wird. Im Mai kommt der Komiker Ingo Appelt, und für den Sommer hat sich Jan Josef Liefers mit Band angekündigt. Jeden August ist der Stoppelmarkt, ein Volksfest seit über 700 Jahren, Anziehungspunkt für 800.000 Gäste. Die wahre Attraktion aber sind die Basketballer der Stadt.

Es gibt sie immer wieder, diese Örtchen, die normalerweise 30 Kilometer weiter schon niemand mehr kennt, die aber trotzdem deutschlandweit einen Namen haben. Großwallstadt, Tauberbischofsheim, Schifferstadt. Oder Vechta. In Großwallstadt war es der Handball, in Tauberbischofsheim das Fechten, in Schifferstadt das Ringen.

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Das Herz schlägt im Rasta-Dome

Das Herz des Basketballs in Vechta schlägt an der Pariser Straße mitten in einem Gewerbegebiet an der Ausfallstraße Richtung Autobahn. Hier steht der Rasta Dome, sechs Jahre alt, eine Multifunktionshalle, die 3140 Zuschauern Platz bietet. Daneben haben sie vor vier Jahren für rund 1,2 Millionen Euro eine hochmoderne Trainingshalle, das Rasta-Gym, gesetzt. Im vergangenen Sommer war die Nationalmannschaft zum Training hier. Die Geschäftsstelle befindet sich im zweiten Stock des Rasta-Office, einem weiteren Neubau, nur wenige Schritte von Dome und Gym entfernt.

Hier oben hat Niemeyer sein Büro. Sein Geld macht er als Chef mit dem Futtermittelhersteller Miavit, er unterhält Geschäftsbeziehungen in 85 Länder. Werders langjähriger Manager Willi Lemke erzählt gern, dass die Menschen im Ausland manchmal nicht genau wissen, was es mit Bremen auf sich hat. Wenn Lemke dann aber sagt, Bremen, dort kommt doch Werder her, dann fällt meist der Groschen. Niemeyer geht es mit Rasta inzwischen ähnlich. Wenn er für seine Firma in Asien ist, dann wissen die Geschäftspartner und Kunden: Klar, Vechta, „das sind diese Basketballverrückten“. Im Gespräch nennt sich Niemeyer selbst manchmal den „Bekloppten“ oder „Spinner“.

Zu Ehren Bob Marleys

Niemeyer ist ein Macher, er packt an. Die Getränke organisiert er den Gästen an diesem Vormittag kurzerhand selbst. Im Konferenzraum liegen Deckchen in der Vereinsfarbe orange auf den Tischen, in der Mitte ein Basketball. An der Wand hängen gerahmte Trikots, ganz vorne, gleich als erstes das von Philipp Herkenhoff. Der junge Mann ist 19 und der erste A-Nationalspieler der Vereinsgeschichte. Wer hätte das gedacht, als Abiturienten des Antonianum den Verein 1979 gründeten. Bob Marleys „Rastaman Vibration“ lief zu der Zeit viel im Radio, also tauften die Schüler den Klub SC Rasta. Das klang nach einem guten Gefühl, etwas Underground, und genauso soll Rasta auch heute noch sein. Anders als die millionenschweren Bayern, die hippen Berliner und die überehrgeizigen Bamberger. Rastas Cheerleader heißen „die Marleys“, das Maskottchen, klar, „Bob“. Niemeyer ist seit 1982 Rastaner, wie er es nennt.

Rasta ist ein bisschen wie St. Pauli im Fußball, ein äußerst liebenswerter Außenseiter. Hauke Anders gefällt es, dass Rasta den Namen Vechta in der Republik bekannt gemacht hat. Anders, 58 wie Niemeyer, ist der Chef von einem Autohaus. Das Unternehmen hat 13 Filialen im Nordwesten, hier kann man, wenn einem danach ist, einen Gebrauchten kaufen, aber auch für über 140 000 Euro einen Mercedes-Maybach. Anders ist Rasta-Fan und Sponsor, in dieser Reihenfolge. Er ist seit Regionalliga-Zeiten dabei, hat alle Aufstiege und die zwei Bundesliga-Abstiege 2014 und 2017 mitgemacht und sein Engagement über die Jahre entsprechend ausgebaut. „Stefan kommt dann immer und nimmt einen in den Arm“, sagt Anders. Und schon ist die Zusammenarbeit verlängert.

175 Sponsoren hat Rasta, die kleinsten geben 1000 oder 2000 Euro im Jahr, die großen mindestens fünfstellig, das meiste kommt von Niemeyers Miavit. Das Rasta-Prinzip: Je mehr lokale Sponsoren, desto mehr Identifikation. Einen Mangel an Sponsoren kennt man bei Rasta nicht, eher „einen Mangel an Werbeflächen“, wie Niemeyer sagt. Rund drei Millionen Euro ist der Etat schwer, das ist Rekord für Rasta, aber fast nichts im Vergleich zur Konkurrenz. Die Top-Klubs leisten sich Mannschaften, die vier- bis fünfmal so teuer sind.

Party bis morgens um halb zwei

Umso so mehr genießen sie es in Vechta, dass sie in der Bundesliga gerade soweit oben stehen. „Unbeschreiblich“ sei das Gefühl, sagt Anders. Er liebt es, im Rasta Dome zu sitzen, wenn die Halle kocht. Näher dran am Feld sitzt man in der Liga nirgendwo sonst. Und wo andernorts die Halle spätestens eine Dreiviertelstunde nach dem Schlusspfiff leer ist, geht an den Theken im Rasta Dome die Party weiter. Immer bis nach Mitternacht, meist bis eins, halb zwei.

„Der geilste Club der Welt“ nennt sich Rasta mit einem Augenzwinkern, doch für Hauke Anders steckt noch mehr dahinter. „Ich freue mich riesig, dass wir der Region mit Rasta ein positives Image geben können, unter anderem deshalb bin ich als Sponsor dabei“, sagt er. Die Region, das Oldenburger Münsterland, kommt für Anders‘ Geschmack nämlich zu oft zu schlecht weg. Hier draußen ist viel Landwirtschaft, große Betriebe mit Massentierhaltung, dazu industrielle Fleischproduktion, Schlachthöfe, Wiesenhof. Die Reduzierung darauf hat die Region nach Anders‘ Meinung nicht verdient. Er erlebt die Stadt, in der er seit 1989 zu Hause ist, anders.

In Vechta herrscht Vollbeschäftigung

Vechta hat eine Universität und ist Verwaltungssitz des Landkreises. Es herrscht Vollbeschäftigung, Vechta und Umgebung gelten hinter Wolfsburg als stärkster Wirtschaftsraum in Niedersachsen. Das Vereinsleben blüht. Viele Studenten leben hier, es gibt eine schöne Einkaufsstraße, Thalia, Esprit und C&A haben sich niedergelassen, zwar alles ein paar Nummern kleiner als in Bremen oder Oldenburg, aber, sagt Anders, „Vechta ist kein verträumtes Städtchen, hier ist richtig etwas los“. Zum Beispiel Rasta. Die Heimat von über 20 Mannschaften ist der Verein heute, vier hauptamtliche Nachwuchstrainer arbeiten hier, „Vechta“, sagt Anders, „Vechta hat der Jugend etwas zu bieten.“

Und auch den Alten: 2500 Dauerkarten hat Rasta vor dieser Saison verkauft, 300 Tickets gehen an Gästefans, und um die restlichen knapp 400 Karten im freien Verkauf müssen die Zuschauer kämpfen, es gibt regelrechte Tauschbörsen. Mehr als 70 Mal in Folge war der Rasta Dome zwischenzeitlich ausverkauft. Hauke Anders verlost zu jedem Heimspiel acht Karten unter seinen Mitarbeitern in Syke, Minden, Achim oder Nienburg, „und ich habe noch nie erlebt, dass die nicht weggegangen sind“.

Thomas Frilling glaubt das sofort. Frilling, 57, ist seit 35 Jahren Vechtaraner und seit 33 Jahren Polizist. Er leitet bei Rasta die Security. „Ehrenamtlich“, wie er betont, „denn es soll nicht heißen, der Frilling kriegt dafür Karten.“ Gefragt wird er trotzdem ständig, Frilling ist in der Stadt bekannt wie ein bunter Hund. „Wenn du an Spieltagen von den über 3000 Zuschauern in der Halle die Gästefans abziehst, dann kenne ich fast jeden.“

Frilling hat in sechs Jahren nur ein Heimspiel verpasst, da hatte er sich für seinen zweiten Herzensverein entschieden, die Bayern und deren Fußballer. Er war also in München zum Spiel gegen Düsseldorf, und daheim in Vechta spielte Rasta gegen Bremerhaven. Im Hotel in München hat er dann auf dem Handy das Rasta-Spiel geguckt, irgendwann standen 15 Mann um ihn herum und schauten mit, „ich hab‘ sogar vergessen, mein Bier zu trinken“, so fasziniert war er vom Auftritt seiner Mannschaft. „Ich Idiot, hab‘ ich gedacht, du fährst hierhin für ein 3:3, und Rasta macht so ein cooles Spiel.“ Es wird ihm vermutlich nicht noch einmal passieren.

Spieler auf dem Stoppelmarkt

Im Profi-Basketball ist es ja so, dass die Spieler aus aller Herren Länder kommen, meist nur Ein-Jahres-Verträge unterschreiben und danach weiterziehen. Jede Saison im Bundesliga-Basketball ist also ein Start ins Ungewisse. Aktuell hat Rasta sechs US-Amerikaner und sechs Deutsche unter Vertrag, der Trainer ist Spanier. Und es funktioniert. Frilling sagt, dass er sehr früh im Sommer ein sehr gutes Gefühl gehabt habe. Manchmal reicht dafür schon, die Spieler beim Stoppelmarkt zu erleben. Die Profis sind beim Festumzug dabei und später auch im großen Zelt. Die Profis gaben sich auf Anhieb nahbar, „keine abgehobenen Typen dabei“, sagt Frilling. Und das schätzen sie in Vechta sehr.

An Thomas Frilling kann man gut festmachen, wie das in Vechta so läuft. Frilling ist CDU-Ratsherr, und irgendwann vor sieben Jahren kam Stefan Niemeyer ins Rathaus, um über Rasta und Rastas Pläne zu sprechen. Frilling, damals Vorsitzender des Bauausschusses, war hin und weg. „Der Mann hat so viel Euphorie verbreitet“, sagt Frilling, „als er sagte, dass er eine neue Halle für 1800 Leute bauen will, habe ich gefragt: Warum nicht gleich für 4000?“ Es war ernst gemeint. Gebaut wurde dann aber erstmal für rund 2000.

Politik und Klub: Hand in Hand

Politik und Klub, beziehungsweise die Rasta Dome GmbH mit Geschäftsführer Niemeyer, machten das ganz clever. Die Stadt stellte das Grundstück zur Verfügung, die GmbH investierte knapp zwei Millionen Euro. Die Stadt mietete nach Fertigstellung die Halle von der GmbH für den SC Rasta e.V., die Miete wiederum geht für Zinsen und Tilgung in die Kredite. Nach 20 Jahren gehört die Halle der Stadt, so macht man gemeinsame Sache. An anderen Standorten wie Hagen, Karlsruhe oder vor ein paar Jahren in Düsseldorf blockierten sich Sport und Politik solange, dass Ewigkeiten nichts passierte. Die Rheinstars sind in diesem Sommer freiwillig in die dritte Liga gegangen, weil in ganz Köln keine zweitligataugliche Halle steht. In Vechta stand der Dome nach einem Jahr.

Rasta ist seitdem rasch gewachsen. Ein bisschen erinnert die Geschichte an den märchenhaften Aufstieg der Artland Dragons. In Quakenbrück, ein paar Kilometer weiter westlich, auf der anderen Seite der A 1, war vor ein paar Jahren alles ganz ähnlich. Dann stieg der Hauptsponsor aus, die Dragons gingen von der ersten schnurstracks runter bis in die dritte Liga. Das soll mit Rasta nicht passieren. Niemeyer sagt, der Klub sei jetzt so weit, dass er auch ohne seine Hilfe auf Zweitliga-Niveau funktionieren würde. Er drückt es auf seine Art so aus: „Wenn ich vorn Baum fahre, dann muss das hier ja weitergehen.“

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