Man muss mit dem Bundespräsidenten anfangen, um zum Bundestrainer zu kommen. Als das frühere Staatsoberhaupt Christian Wulff wegen Vorteilsnahme in die Schlagzeilen geriet, stürzten sich auch die Redner im Kölner Karneval auf die „Affäre Wulff“. Als der zurückgetretene Präsident dann aber von den Gerichten rehabilitiert wurde, redete Kölns wichtigster Büttenredner „Blötschkopp“ alias Marc Metzger den Kölnern ins Gewissen – und zwar auf der feierlichen Prinzenproklamation, für die man keine Eintrittskarten kaufen kann. In den Saal kommt nur, wer die richtigen Leute kennt.
Metzger erinnerte an Wulffs Fernsehinterviews: „Da habe ich mir 20 Minuten einen Mann angesehen, der sich dafür entschuldigt, dass er jemanden kennt, der ihm geholfen hat.“ Dann schob er bei der live übertragenen Rede hinterher: „Liebe Fernsehnation an den Geräten: Der Kölner an sich versteht hier das Problem nicht. Wenn hier keiner einen kennen würde, wäre keiner im Saal.“ Das sei schließlich seit Konrad Adenauer ein kölsches Gesetz: „Man kennt sich, man hilft sich.“
In einem Film wäre Calmund der Pate
Dieses Miteinander der Rheinländer, oft geschäftlich, ist unter dem Begriff „Kölscher Klüngel“ berühmt und berüchtigt geworden. Und wenige Monate vor der Europameisterschaft ist derlei nun auch im deutschen Fußball zu beobachten: Wo früher die Bosse von Bayern München oder Borussia Dortmund die Strippen zogen, hat nun eine Gruppe aus dem Rheinland an Einfluss gewonnen. Viele von ihnen kennen sich seit Jahrzehnten, manche sind befreundet.
Wäre es ein Film, dann wäre der frühere Fußballmanager Reiner Calmund der Pate. Ein guter Pate, fußballverrückt und fleißig – aber auch mit dem Riecher für gute Geschäfte und die passenden Leute. Vor Jahren machte Calmund in Leverkusen aus dem Stürmer Rudi Völler einen Sportdirektor und Geschäftsführer. Heute ist Völler Sportdirektor der Nationalmannschaft beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). Calmund hatte auch die Idee, eine Spielerberatungsagentur ans Laufen zu bringen und setzte den geschäftstüchtigen Kölner Volker Struth ein, durch dessen Wirken eine der einflussreichsten und größten Berateragenturen Europas entstanden ist. Unter anderem berät Struth den Fußballlehrer Julian Nagelsmann, der unter dem Direktor Völler zum Bundestrainer wurde.
Auch Kroos spielte in Leverkusen
Passenderweise kommt DFB-Präsident Bernd Neuendorf auch aus dem Rheinland, er war zuvor Präsident des Fußball-Verbandes Mittelrhein. Im Wahlkampf um das höchste Amt im deutschen Fußball wurde er in TV-Sendungen leidenschaftlich unterstützt von Andreas Rettig, der aus Leverkusen am Rhein stammt und der vor Jahren ebenfalls von Calmund ins Management befördert wurde. Rettig ist nun unter Neuendorf Geschäftsführer des DFB. Dort wirkt Hannes Wolf als Sportdirektor für den Nachwuchs, auch er hat in Leverkusen gearbeitet.
Neben weiteren Managern und Trainern aus dem Rheinland gehört zu dem Zirkel auch der Kölner Journalist Frank Lußem, auf dessen rundem Geburtstag Fußball-Star Toni Kroos der Ehrengast war. Der Journalist schrieb nicht nur die Biografie von Calmund, sondern auch einen umfangreichen Artikel darüber, warum Kroos unbedingt für die Europameisterschaft ins Nationalteam zurückkehren sollte. Kroos wiederum wird gemanagt von Struths Agentur, der Weltstar von Real Madrid ist sein wichtigster Klient. Und nun wird Kroos, der ein Haus in Köln hat, unter dem von Struth beratenen Bundestrainer Nagelsmann und dem Sportdirektor Völler ein Comeback im Nationalteam feiern. Dass seine Karriere einst in Leverkusen Fahrt aufnahm, gehört dazu. Im besten Fall führt dieses Miteinander der Rheinländer zum nächsten deutschen EM-Titel, wie früher, als die Bayern die Strippen zogen.