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Rudi Völler im Interview "Die Jahre in Bremen haben mich geprägt"

Mit der Nationalmannschaft kommt Rudi Völler an den Ort zurück, wo er in den 80er-Jahren zum Weltklassespieler reifte. Im Interview mit dem WESER-KURIER spricht er über seine Werder-Zeit und die Heim-EM 2024.
10.06.2023, 06:00 Uhr
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Von Jean-Julien Beer

Herr Völler, die deutsche Mannschaft spielt am Montag in Bremen gegen die Ukraine. Wenn Sie dann den Osterdeich hinunter fahren zum Weserstadion – weckt das noch alte Gefühle in Ihnen?

Rudi Völler: Das macht immer noch was mit mir, das muss ich ehrlich sagen. Meine fünf Jahre in Bremen haben mich in jeder Hinsicht geprägt. Mit Bayer Leverkusen war ich die vergangenen Jahre öfter dort. Es ist jedes Mal ein besonderes Gefühl, an der Weser entlang auf das Stadion zuzufahren. Natürlich hat sich viel verändert im Laufe der Jahre, das Stadion ist mit der Geschäftsstelle moderner geworden und es gibt viel mehr Trainingsplätze. Aber diese Rampe zum Stadion gibt es immer noch – und da kommen schöne Erinnerungen hoch, wie das in den 80er-Jahren war, als ich dort als Spieler runter gefahren bin.

Sie haben für keinen Verein mehr Tore geschossen als für Werder, 97 Treffer waren es. Wie wichtig war Werder für Ihre Karriere?

Sehr wichtig. Ich bin 1982 als Jungspund gekommen, mit 22 Jahren, und bin fünf Jahre geblieben. Es war unglaublich, wie erfolgreich das sofort los ging. Ich bin Torschützenkönig geworden und Fußballer des Jahres, fast hätten wir die Meisterschaft gewonnen. Nur der HSV war besser, der damals auch den Europapokal der Landesmeister holte. Auch wenn es für den Meistertitel nicht gereicht hat, war dieser Zwischenstopp in Bremen für meine Karriere danach in Italien und in der Nationalmannschaft unglaublich wertvoll. Ich habe immer noch guten Kontakt zu meinem damaligen Trainer Otto Rehhagel und auch zu Willi Lemke, unserem Manager.

Rehhagel hat Sie in Bremen zum Weltklassespieler geformt. Wie lief das ab?

Ich hatte das Glück, mit ihm einen Trainer zu haben, der mir im Sturm alle Freiheiten ließ. Ich fing erst in Bremen an, Mittelstürmer zu werden. Bis dahin hatte ich eher als hängende Spitze oder auf den Außenpositionen im Angriff gespielt. Otto hat sein Versprechen gehalten: Als er mich aus der zweiten Liga von 1860 München holte, wollte er mich zum Nationalspieler machen. Es war seine große Stärke, immer die passenden Spieler zu finden. Als ich nach Rom ging, kam Kalle Riedle. Als er nach Italien wechselte, kamen andere. Klaus Allofs, Wynton Rufer, Bernd Hobsch. Wenn bei Bayern mal ein Neuzugang nicht funktionierte, kam halt ein anderer. Aber Werder hatte nie so viel Geld, da musste jeder Transfer funktionieren.

Wie war Ihr Bremen damals? Wo haben Sie gewohnt, wo waren Sie gerne?

Die ersten zweieinhalb Jahre habe ich in Oyten gewohnt, in einem kleinen Reihenhäuschen. Das war sehr schön. Danach bin ich, wie viele andere Werder-Profis, nach Oberneuland gezogen. Und von dort ging es 1987 nach Rom. Fast wäre ich schon früher aus Bremen weggegangen. Ich hatte viele Angebote aus Spanien und Frankreich, aber ich habe immer gesagt: Wenn ich Bremen verlasse, dann nach Italien, denn dort war die stärkste Liga der Welt, da wollte jeder hin. 1984 hätte ich zum AC Mailand gehen können, da habe ich aber meinen Vertrag bei Werder lieber verlängert. Damals hat man erst Erfahrungen sammeln wollen, um mit Ende 20 den Schritt ins Ausland zu machen. Heute gehen Spieler wie Kai Havertz schon mit 21 zu Chelsea.

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Sie gingen nur ein Jahr vor der Heim-Europameisterschaft 1988 ins Ausland. War das nicht riskant? Niclas Füllkrug muss das im Moment ja auch abwägen…

Nein, das war nicht riskant. Ich war selbstbewusst genug: Ich wusste, dass ich auf meiner Position im Nationalteam gesetzt bin. Natürlich würde ich mich grundsätzlich für Werder und für die Bremer Fans freuen, wenn Niclas Füllkrug weiter hier auf Torejagd ginge. Aber auch Niclas muss das ganz persönlich für sich entscheiden, das sollte man nicht von Turnieren abhängig machen.

Ein Jahr vor der Heim-EM kommt das Nationalteam nach Bremen, was wegen des Polizeikostenstreits undenkbar schien. Freut Sie das besonders?

Ich finde es wunderbar, dass es eine Annäherung gab zwischen dem Bremer Innensenator Ulrich Mäurer und unserem DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf. Als ich von den Plänen hörte, habe ich das gerne unterstützt. Das Stadion wird voll sein, es wird eine gute Stimmung geben. Es ist das 1000. Spiel der Nationalelf und ein Benefizspiel gegen die Ukraine – oder sagen wir besser für die Ukraine. Es ist also ein außergewöhnlicher Rahmen. Und es freut mich natürlich für die Leute in Bremen, dass sie endlich wieder ein Länderspiel erleben können.

Das Spiel beginnt sehr kinder- und familienfreundlich um 18 Uhr. Sie haben oft betont, dass Ihnen frühere Anstoßzeiten am Herzen liegen.

Genau, das war mir als DFB-Sportdirektor von Beginn an wichtig. Es ging nach der WM in Katar ja nicht nur um Fragen wie die nach der Kapitänsbinde, ob sie nun eine politische Botschaft transportieren oder schlicht wieder schwarz-rot-gold sein soll ­– mit all den demokratischen und auch emotionalen Bedeutungen, die diese Farben für Deutschland haben. Sondern es ging auch um solche Themen, von denen die Fans profitieren. Natürlich bin ich bei den Anstoßzeiten nicht blauäugig, ich kenne die Verträge – aber hin und wieder sollte eine frühere Uhrzeit möglich sein. Hansi Flick steht auch voll dahinter, und unser Präsident hat das gut initiiert und vorangetrieben. Einfach war es nicht, wir mussten viele Gespräche führen. Es gibt da unterschiedliche Interessen, von den Verbänden Fifa und Uefa und von den Fernsehsendern.

Sie sollen ein Jahr vor der Heim-EM die Stimmung im Land drehen. Viele Fans sind unzufrieden. Haben Sie sich in den vergangenen Jahren eigentlich auch mal geärgert, wenn Sie die deutschen Spiele gesehen haben?

Da bin ich ehrlich: Als Vereinsverantwortlicher nutzt man die Länderspielpausen, um mal kurz zu verschnaufen. Deshalb habe ich nicht alle Spiele gesehen. Ich war aber selbst Nationaltrainer und sehe die Spiele und Ergebnisse grundsätzlich mit einem anderen Blick. Ich weiß, wie schwierig Länderspiele sein können. Aber klar ist: Wenn wir diese Stimmung drehen wollen, geht es nur über gute Leistungen auf dem Platz. Deshalb fand ich das Länderspiel zuletzt gegen Belgien wichtig: Wir haben zwar verloren, aber als sich die Mannschaft nach der Halbzeit reingebissen hat, war sofort auch das Publikum da. Die Leute honorieren das, weil sie natürlich eine erfolgreiche Nationalmannschaft sehen wollen. Deshalb wird nun auch das Spiel gegen die Ukraine wichtig: Wir wollen die Leute begeistern, in Bremen im Stadion und vor den Bildschirmen. Das gilt auch für die Spiele danach gegen Polen und Kolumbien.

Niclas Füllkrug ist ein Beispiel, dass man es auch später noch schaffen kann – durch Arbeit, Training, Wille und die richtige Einstellung.
Rudi Völler

Die Nationalmannschaft hat wieder einen echten Mittelstürmer: Niclas Füllkrug. Geht Ihnen das Herz auf, wenn Sie ihn sehen?

Es freut mich total für ihn, gerade bei seiner Geschichte. Niclas hat eine etwas andere Karriere gemacht, er hat sich durch die zweite Liga durchgebissen. Ich finde das wunderbar. Und er ist ein sehr angenehmer Mensch. Niclas ist ein Beispiel, dass man es auch später noch schaffen kann – durch Arbeit, Training, Wille und die richtige Einstellung. Wir alle ziehen den Hut vor seiner Entwicklung.

Füllkrug sieht man an, dass er sich in jedem Spiel für die Mannschaft und die Fans zerreißt. Warum sieht man es anderen Spielern nicht an?

Manchmal hängt das auch vom Spielstil oder vom Laufstil ab. Das hört sich vielleicht etwas komisch an. Der eine oder andere wirkt von seiner Art vielleicht so, das stimmt aber nicht immer. Bei Füllkrug sieht man, dass er alles gibt, da gebe ich Ihnen recht. Das Wichtigste ist aber, dass du ab und zu den Ball ins Tor schießt. Hätte er statt 16 Toren nur acht in der Liga gemacht, hätten ihm seine Eigenschaften nicht viel genützt. Ein Stürmer muss Tore schießen, das ist am Ende genauso wichtig. Nein, es ist das Wichtigste.

Stimmen Sie zu, dass die heutige Spielergeneration besser ausgebildet ist als Ihre Weltmeistermannschaft von 1990, damals aber mehr richtige Typen im Team standen?

Wir haben uns damals eher selbst ausgebildet, wir waren noch richtige Straßenfußballer. Heute läuft es schon in der Jugend viel professioneller. Trotzdem waren wir gut. Auffallend ist aber: Viele unserer 90er-Weltmeister waren gemeinsam schon in der U21 erfolgreich, so war es auch bei vielen der 2014er-Weltmeister. Deshalb ist es wichtig, auch jetzt wieder eine starke U21-Nationalmannschaft zu haben. Aber auf manchen Positionen sind wir sehr gut besetzt, etwa im offensiven Mittelfeld. Jamal Musiala, Kai Havertz oder Florian Wirtz haben aufgrund ihrer Klasse die U21 mehr oder weniger übersprungen – wenn die am Ball sind, geht einem das Herz auf. Diese Jungs sind für die nächsten Jahre die Zukunft der Nationalmannschaft. Auch Julian Brandt ist noch jung genug.

Es war kein Zufall, dass Argentinien Weltmeister wurde, obwohl Frankreich den stärkeren Kader hatte. Auch ein Lionel Messi ist bei der WM mehr gelaufen als in Paris oder Barcelona.
Rudi Völler

Bei der WM in Katar wurde viel von der Mentalität der Argentinier oder Marokkaner geschwärmt. Kann man das trainieren?

Das ist eine gute Frage. Es ist bei diesen beiden Nationen extrem aufgefallen. Es gab Mannschaften, die hatten bessere Kader. Aber Argentinien oder Marokko, da hat sich jeder aufgeopfert für sein Team, da wurde um jeden Ball gekämpft. Nur so geht es bei einem großen Turnier. Es war kein Zufall, dass Argentinien Weltmeister wurde, obwohl Frankreich den stärkeren Kader hatte. Auch ein Lionel Messi ist bei der WM mehr gelaufen als in Paris oder Barcelona.

Hinter dem Nationalteam liegen enttäuschende Turniere. Kann Deutschland im kommenden Jahr Europameister werden?

Unsere Mannschaft war bei der WM in Katar nicht so schlecht, wie sie gemacht wurde, deshalb bin ich optimistisch, dass wir eine gute EM spielen. Wir hatten zum Beispiel die meisten Torchancen aller Teams in der Vorrunde, waren aber leider nicht treffsicher genug. Ich sehe es so: Frankreich ist mit seinem unglaublichen Fundus an Topspielern der Favorit, dahinter kommen vier oder fünf Nationen, die das Halbfinale erreichen können – und dazu zählen auch wir. Davon bin ich fest überzeugt – gerade vor unserem heimischen Publikum.

Muss in der Jugend anders ausgebildet werden, um wieder mehr Topspieler auf allen Positionen haben?

Nach zwei schwachen Weltmeisterschaften ist die Versuchung groß, alles infrage zu stellen. Dass wir mehr Mittelstürmer und Außenverteidiger ausbilden müssen, ist ja erkannt. Was das Fußballerische angeht, müssen wir einen guten Mittelweg finden: Die Basics gehören einfach dazu. Das hat die WM gezeigt. Man muss die einfachen Dinge beherrschen: Zweikämpfe, Kopfbälle, Laufduelle. Und man muss bissig sein. Das hat deutsche Mannschaften immer stark gemacht. Es gibt diese klassischen Straßenfußballer heute nicht mehr. Aber das ist ja in Italien, Spanien oder England genauso. Also musst du das schulen.

Sie haben oft in Ihrer Karriere geholfen, wenn Not am Mann war. Als Trainer in Leverkusen, als Teamchef beim Nationalteam, jetzt als Sportdirektor bis zu Europameisterschaft. Sie können schlecht Nein sagen, sind aber auch schnell mit Herzblut dabei – stimmt's?

Wenn ich etwas zusage, dann mache ich es mit ganzem Herzen. Das sind alles wunderbare Aufgaben. Und wenn ich dazu ausgeguckt werde, weiß jeder, wie ich das angehe. Nämlich mit vollem Engagement, aber auch kritisch – und wenn nötig vereinend. Darum geht es: Wir wollen alle gemeinsam wieder eine erfolgreichere Nationalmannschaft haben. Alle gemeinsam!

Das Gespräch führte Jean-Julien Beer.

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Zur Person

Rudi Völler (63)

spielte von 1982 bis 1987 für Werder Bremen, 1990 wurde er Weltmeister. Von 2000 bis 2004 war er Teamchef der Nationalelf, deren Sportdirektor er seit dem 1. Februar ist.

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