Man muss nur ein wenig zurückspulen in der Romanze zwischen dem 1. FC Köln und Trainer Steffen Baumgart, um zu erfahren, dass zu Beginn nichts darauf hindeutete, dass am Rhein eine der schönsten Liebesgeschichten dieser Bundesligasaison entstehen würde. Denn der Mann, der diesen Trainer nach Köln lockte, war schon gar nicht mehr da, als Baumgart mit seiner Arbeit begann. Manager Horst Heldt hatte sich nach internen Konflikten „coronakonform verabschiedet“, wie er das treffend nannte, er war also nach seinem Rauswurf zum Saisonende ohne einen Händedruck gegangen. Baumgart reagierte wenig begeistert, das Abenteuer beim FC zum Trainingsstart der neuen Saison ohne seinen einzigen Vertrauten im Verein beginnen zu müssen.
Dass Köln ein heißes Pflaster ist, hatten die Baumgarts aber schon geahnt, als der neue Trainer mit seiner Frau Katja ein paar Wochen vorher schon mal persönlich in der Stadt begrüßt wurde. FC-Geschäftsführer Alexander Wehrle, ein Mann, der auf Knopfdruck lächeln kann, zauberte bei dieser Gelegenheit fröhlich eine kleine Geißbockfigur hervor. Nach kurzer Freude über das originelle Geschenk konterte Frau Baumgart geradezu meisterlich in Anspielung auf den Kölner Trainerverschleiß: „Ich hoffe, da stehen nicht noch mehr dieser Figuren im Regal…“
Vier Monate später ist Steffen Baumgart selbst für die guten Konter zuständig, auf dem Platz und außerhalb. Und er ist damit so erfolgreich, dass ihm die Fans und die Stadt zu Füßen liegen. Mit seiner mitreißenden und fordernden Art treibt er die Mannschaft an, gibt sich selbst aber wie der normale Fußballkumpel aus der Kneipe an der Ecke. Er hat den Fast-Absteiger des Vorjahres nach neun Spieltagen auf Platz sechs der Bundesliga gehievt. Die Mannschaft rennt und ackert wie der Spieler Baumgart früher selbst, der sich als Stürmer von Hansa Rostock durch die Strafräume wühlte. Manchmal wirkt es, als würden die Spieler lieber noch einen Meter mehr machen, um nicht den nächsten Wutausbruch ihres Trainers erleben zu müssen. Bei den Kölner Fans ist Baumgart längst Kult, auch wegen seiner markanten Sprüche, zum Beispiel diesem: „Vorbei ist es erst, wenn der Schiedsrichter abpfeift. Und wenn ich aufgehört habe zu brüllen.“
In Köln trifft er damit mitten ins Herz. In der Karnevalsmetropole lieben sie solche Typen. Der Personenkult kennt dann schnell keine Grenzen mehr. Der junge Lukas Podolski wurde zu „Prinz Poldi“, bei einer seiner ersten Autogrammstunden im größten Einkaufzentrum der Stadt musste die Polizei die Veranstaltung wegen Überfüllung auflösen. Christoph Daum wurden beim Training Kleinkinder zum Segnen gereicht. Und auch der Wiener Trainer Peter Stöger eroberte Köln im Sturm: Ein paar Siege und seinen Schmäh, mehr brauchte er dafür nicht.
Der Kölner Boulevardpresse genügt oft ein Detail, um den Kult zu befeuern. Beim eher trögen Trainer Ewald Lienen war es vor 20 Jahren das blaue Hemd, das er am Spielfeldrand trug. Jeden Tag erschien im Kölner „Express“ die Rubrik „Neues vom Hemd“, über viele Monate erfuhren die Leser Details über die Kragenform oder Waschtipps von Trainerfrau Rosi. An Karneval waren blaue Hemden prompt ausverkauft.
Heute geht es um Baumgarts Mütze, die eigentlich nur eine simple Schiebermütze ist. Seit Jahren hat der FC das Modell in seinen Fanshops im Programm, verkaufte aber nie eine nennenswerte Stückzahl. Selbst die Null-Euro-Scheine mit dem Stadion als Wasserzeichen sollen gefragter gewesen sein. Knapp 1000 Mützen hatte der FC auf Lager und glaubte, damit lange auszukommen. Doch schon nach drei Monaten Baumgart war die Mütze ausverkauft und ist schon seit Wochen nicht mehr lieferbar. Nachschub ist bestellt, aber das dauert. Baumgart trägt solche Schiebermützen auch privat und fand es nur logisch, auch eine aus dem Fanshop zu nehmen. Für den Verein ist das nun eine logistische Herausforderung und ein schönes Geschäft: 24,95 Uhr kostet ein Exemplar, überall im Stadion sieht man sie schon. Es gibt sehr viele Vorbestellungen, die Leute wollen wie Baumgart sein. Nach dem jüngsten 3:1-Sieg gegen Fürth sangen die Fans sogar: „Steffen Baumgart wird Kanzler…“
Längst spricht man in Köln vom „kölschen Klopp“, schließlich vereint auch Baumgart lockere Sprüche mit schnellem Fußball. Sein ehrliches Auftreten kommt aber auch daher, dass er schon andere Dinge erlebt hat als Profifußball. Baumgart ist Automechaniker. Und er war Polizist. Als Hansa Rostock 1991 die letzte Meisterschaft der DDR gewann, war Baumgart mit einer Hundertschaft im Ostseestadion im Einsatz, um die Dresdner Fans zu beschützen. „Ich hätte nie gedacht, mal selbst in so einem Stadion zu spielen“, sagte er später.
Baumgarts guter Start in Köln lässt die Menschen feiern und träumen, es gibt für seinen Erfolg aber auch nüchterne Gründe: Der Trainer holte FC-Torjäger Anthony Modeste aus einem tiefen Loch und hatte Glück, dass kein Verein Kölns Mittelfeldspieler Ellyes Skhiri kaufte, der eigentlich zu gut ist für Köln. Zudem lässt Baumgart auch jetzt nicht nach, seine Spieler auf dem Boden zu halten und anzutreiben. Nach einem schlechten Torschusstraining in dieser Woche watschte er die FC-Stars lautstark ab: „Wir könnten schon fünf Punkte mehr haben! Wisst ihr, wie viele Chancen ihr schon liegen gelassen habt? Weil wir aus fünf Metern das Tor nicht treffen. Es ist doch das einfachste der Welt, den Ball auf das Tor zu schießen.“ Solche Ansagen sind Baumgart eigentlich auch lieber als der flapsige Spruch, für den er im Sommer gefeiert wurde: „Ich werde meinen Spielern das Rauchen und den Alkohol nicht verbieten – es wäre nur gut, wenn sie es nicht direkt vor dem Bus machen.“ Er wollte die Lacher. Und erhielt Zuneigung.
Der clevere Trainer weiß: Dieser Saisonstart war wichtig für ihn. Ein paar schwache Spiele zu Beginn hätten gereicht, dann wäre er für viele im Klub schnell ein Heldt-Mann gewesen, der eine komische Mütze trägt. Denn dieser 1. FC Köln ist an seiner Spitze ein eitler Verein, Fehler machen dort nur die anderen. Heute würde manch einer in der Vereinsführung gerne vergessen machen, dass es der entlassene Heldt war, der diesen etwas kauzigen Baumgart nach Köln holte. Denn inzwischen sieht es so aus, als wäre es für beide Seiten Liebe auf den zweiten Blick.