Man könnte Werders Niederlage bei Union Berlin leichter akzeptieren, wenn der Gegner, der immerhin an der Champions League teilnahm, in diesem Spiel besser gewesen wäre. Und wenn Werder sich nach großem Kampf und einer taktischen Meisterleistung hätte geschlagen geben müssen. Aber so war es ja nicht: Union spielte nicht besser, es war eher ein zähes Duell zweier an diesem Tag schlechten Mannschaften. Und eine Systemumstellung mit mal zwei oder drei Angreifern hat noch nichts mit taktischen Kniffen zu tun.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Das wirft auf Bremer Seite nun einige Fragen auf, auch mit Blick auf die kommenden Wochen. Denn nach der Länderspielpause warten Gegner, die nicht so schlagbar wirken wie ein schwaches und passives Union Berlin. Erst kommt der VfL Wolfsburg ins Weserstadion, mit seinem neuen Trainer Ralph Hasenhüttl. Dann geht es zu Eintracht Frankfurt und zu Spitzenreiter Bayer Leverkusen, bevor mit dem VfB Stuttgart die Überraschungsmannschaft der Saison in Bremen antritt.
Optimisten sehen es so, dass dieses Werder an einem guten Tag sogar die Bayern schlagen konnte. Pessimisten sind froh, dass die Bremer nach 26 Spieltagen schon 30 Punkte auf dem Konto haben und damit einen Puffer von elf Zählern auf die Abstiegszone. Realisten merken an, dass Werder schon seit einigen Wochen bei diesen 30 Punkten verharrt: Seit dem 24. Februar kam keiner mehr dazu, und selbst dieser 30. Punkt wurde nur durch ein enttäuschendes 1:1 zu Hause gegen den Tabellenletzten Darmstadt geholt.
Wer zuletzt die Meinung von Oliver Reck vernommen hat, der sollte sich nun wundern. Reck war einer der großen Werder-Torhüter (345 Spiele), er gewann nationale und internationale Titel. Er gehörte zu jener Generation, für die es unter Otto Rehhagel normal wurde, immer etwas erreichen zu wollen. Diese Chance sah Reck nun auch für die aktuelle Mannschaft gekommen – deshalb erwartete er einen leidenschaftlichen Kampf, um die kleine Chance auf eine Rückkehr in den Europapokal zu nutzen. Im Spiel bei Union war bei Werder aber weder das Wollen zu sehen, noch das Können.
Ein Spiel wie ein lästiger Termin
Und das erstaunt. Die Mannschaft kann es viel besser, das hat sie in dieser Saison schon gezeigt. Auch einzelne Spieler können es besser. Gegen Union aber wirkte Werder nicht so, als habe die Mannschaft noch ein Ziel. Es wirkte wie ein nötiger Termin, den man wegen des Spielplans halt wahrnehmen muss. Die einzelnen Fehler oder Nachlässigkeiten hat man von diesen Spielern schon einige Male gesehen – aber selten von allen zusammen.
Beispiele? Kein Problem. Olivier Deman erschrak sich dermaßen über einen Gegner in Höhe der Mittellinie, dass er den Ball lieber schnell weit entfernt ins eigene Toraus spielte. Justin Njinmah rannte den Gegnern vor lauter Eifer in die Hacken. Senne Lynen war gedanklich, wie schon in seiner Anfangszeit, oft zu spät dran. Julian Malatini ließ sich wie ein Jugendspieler vernaschen. Jens Stage rieb sich in Zweikämpfen auf, die man am jeweiligen Ort gar nicht so hart führen muss. Milos Veljkovic spielte seine langen Bälle nur ungefähr dahin, wo sie an seinen guten Tagen landen. Und Marvin Ducksch, gerade erst vom neuerdings auf Benimm achtenden Bundestrainer Julian Nagelsmann abgestraft, motzte wieder herum, wenn ein Pass nicht zu ihm kam oder andere nicht dahin liefen, wo er sie gerne angespielt hätte. Man könnte diese Aufzählung fortführen.
Bittencourt wirkte erfrischend
Da wirkte es erfrischend, mit welcher Laufbereitschaft und Gerissenheit der eingewechselte Leo Bittencourt den Gegnern das Leben schwerer machte. Unter Fußballern gibt es einen Spruch: Man spielt so, wie man trainiert. Wenn das einen wahren Kern hat, dann sollte es auf dem Bremer Trainingsplatz öfter mal wieder rappeln. Mit mehr Herz und weniger Traberei.
Auch den jungen Skelly Alvero kann man positiv erwähnen, er macht bei seinen kurzen Einsätzen bisher mehr richtig als falsch – auch im Vergleich mit denen, die ihm vorgezogen werden. Natürlich, und deshalb sitzen auch Spieler wie Bittencourt draußen: Im Laufe der Saison hat sich eine Stammformation gefunden, die oft harmonierte und punktete. Aber die Saison ist noch nicht vorbei. Leistungen wie bei Union schreien nach Veränderungen, um wieder interne Reibung zu erzeugen.
Dass Werder wegen der Gelbsperren viel umbauen muss, kann auch eine Chance sein, wieder gierigere Spieler auf dem Rasen zu haben. Vor allem Alvero würde man gerne mal über 90 Minuten sehen: Er wirkt mit seinen 2,02 Metern zwar manchmal wie der Erziehungsberechtigte von Naby Keita, wenn beide auf dem Rasen stehen. Aber er kann was am Ball und im Zweikampf. Und er bringt Mut mit. Erschrocken hat er sich bisher noch nicht über das Tempo der Bundesliga. Vielleicht wäre das in den nächsten Spielen hilfreich.