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Vor der Handball-EM Der neue Wolff: Die Wandlung des Torwart-Stars

Andreas Wolff, der Torhüter des deutschen Handballteams, steht bei der EM nach einer schweren Verletzung wieder im Tor. Sein Weg zurück war alles andere als einfach. Und er schwelgt in Kindheitserinnerungen...
08.01.2024, 18:01 Uhr
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Der neue Wolff: Die Wandlung des Torwart-Stars
Von Jean-Julien Beer

2007 erlebte der deutsche Handball ein Wintermärchen: Die Weltmeisterschaft in Deutschland ging in die Geschichte ein, die Spieler von Bundestrainer Heiner Brand gewannen in der Kölnarena spektakulär den WM-Titel und wurden in der Kölner Altstadt begeistert gefeiert. Das denkwürdigste Spiel war das Halbfinale gegen Europameister Frankreich, das die deutsche Mannschaft erst nach zwei Verlängerungen mit 32:31 gewann. Auf der Tribüne jubelte ein Teenager mit, der heute selbst den Bundesadler auf der Brust trägt: Nationaltorhüter Andreas Wolff. „Dieses Halbfinale in der Kölnarena zu erleben, war etwas ganz Besonderes“, erinnert er sich, „da habe ich Gänsehaut bekommen. Das war eines der prägendsten Erlebnisse für mich und hat mich noch mehr darin bestärkt, selbst Handballprofi werden zu wollen.“ Wolff stammt aus Euskirchen, die Kleinstadt liegt nur 20 Autominuten südlich von Köln und wird passenderweise das Tor zur Eifel genannt. Noch heute hat er das EU-Kennzeichen seiner Heimatstadt auf dem Auto.

15 Jahre war Wolff damals. Heute gehört er mit 32 Jahren zu den erfahrenen Spielern im deutschen Team, das gerade wieder in Köln Quartier bezogen hat. Am Mittwoch wird im benachbarten Düsseldorf die Heim-Europameisterschaft eröffnet, Deutschland trifft im dortigen Fußballstadion vor der Rekordkulisse von mehr als 50.000 Zuschauern auf die Schweiz (20.45 Uhr). Wenn es optimal läuft, wird Wolff in der Finalrunde diesmal selbst als Spieler in der Kölnarena um den Titel kämpfen. „Mein Ziel ist ganz klar: Ich möchte Europameister werden“, sagt der Torhüter und erklärt: „Wer hier antritt und nicht Europameister werden möchte, der hat seinen Beruf verfehlt. Ab wann wir auch ohne Titel von einem zufriedenstellenden Turnier reden könnten, hängt vom Verlauf ab.“

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Die Bilder aus seiner Jugend, als die Handballer bei der WM die ganze Nation in den Bann zogen, beflügeln ihn: „Damals habe ich gesehen, welche Euphorie in Deutschland ausgelöst wurde. Ähnlich war es auch bei unserem EM-Titel 2016. Ich hätte nichts dagegen, wenn wir noch einmal so einen Handball-Boom auslösen – denn dann hätten wir wieder ein erfolgreiches Turnier gespielt. Das Publikum im Rücken zu haben, macht auf jeden Fall eine Menge aus.“

Dass er bei diesem Turnier dabei ist, grenzt an ein Wunder. Das sagen einige Ärzte, nicht Wolff selbst. Ein Bandscheibenvorfall in Höhe des Genicks setzte ihn lange außer Gefecht, erst im November feierte er sein Comeback im Tor des polnischen Spitzenklubs KS Kielce. So manche Diagnose klang anfangs verheerend, das Ende seiner Karriere stand im Raum. Wolff sah das nie so: „Ich war mir sicher, dass ich es wieder ins Tor schaffe und auch zu dieser Europameisterschaft." Er absolvierte das Reha-Training beim Spitzenklub Rhein Neckar Löwen. Zeitweise durfte er dort auch den Footbonauten des Fußball-Bundesligisten TSG Hoffenheim nutzen – ein Raum, in dem ein Roboter die Bälle aus der Wand schießt, um die Reflexe zu trainieren.

Das Comeback nach der schweren Verletzung relativiert den Druck vor dem Heimturnier. Wolff wirkt eher voller Vorfreude als angespannt. „Der Druck bei meinem Bandscheibenvorfall war größer als der Druck jetzt“, sagt er, „es ist für mich keine neue Situation: Wir wissen, dass der Torhüter eine Schlüsselposition für so ein Turnier ist. Aber Handball ist ein Teamsport, jedes Puzzleteil muss passen für einen großen Erfolg.“

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Vor wenigen Jahren noch hätte er das forscher formuliert. Wie eine Rakete schoss der junge Wolff nach seiner Topleistung beim Gewinn des EM-Titels 2016 in den Handball-Himmel. Er war plötzlich ein gefeierter Mann und zeitweise mehr in Talkshows und Unterhaltungssendungen präsent als im Sportteil der Zeitungen. Einerseits waren das krasse Erfahrungen, sagt er, andererseits wollte er das nicht mehr. „Ich habe mich da ein bisschen verloren“, sagt er rückblickend. Das wird auch in einer ARD-Dokumentation thematisiert, die gerade erschienen ist.

Der neue Wolff ist anders. Nicht mehr hitzköpfig, sondern gelassen und doch auf den Sport fokussiert. Der Wechsel vom THW Kiel nach Polen half ihm, die innere Balance zu finden. Auch die Arbeit mit einer Sportpsychologin war gut, um den Leistungsdruck zu beherrschen. Er ist nicht mehr der Getriebene. „Ich will immer noch gut spielen“, erklärt er, „aber ich habe gelernt, schlechte Aktionen passieren zu lassen und mich auf den nächsten Ball zu konzentrieren.“ Den größten Unterschied zu seinen Anfangsjahren beschreibt er so: „Ich bin etabliert und habe mir einen guten Ruf erarbeitet. Als junger Spieler hat man Angst, das Erreichte zu verlieren. Das ist bei mir nicht mehr so.“ Diese Wandlung ist auch Alfred Gislason aufgefallen. „Er ist ruhiger geworden“, sagt der Bundestrainer über seine Nummer 1, „gerade dadurch ist er ein Weltklasse-Mann.“ 

Das war nicht abzusehen, als Wolff im Kindergartenalter in Euskirchen mit dem Handball begann. Seine Mutter brachte ihn zum Training. „Aber ich war total schüchtern“, erinnert er sich, „ich wollte nicht richtig mitmachen. Deshalb sagte die Trainerin: Stell dich doch ins Tor! Das habe ich gemacht – und bin nie wieder raus gegangen.“

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