Herr Golla, die Handball-Weltmeisterschaft findet in diesem Januar in Europa statt, in Dänemark, Norwegen und Kroatien. Sind Sie in diesen Tagen erleichtert, dass Sie Kapitän der Handballer sind und nicht der Fußball-Nationalmannschaft, die sich mit Weltmeisterschaften und Menschenrechtsfragen in Katar oder Saudi-Arabien beschäftigen muss?
Johannes Golla: Ja, natürlich. Ich bin froh, dass wir uns den sportlichen Fragen stellen können. Aber es gibt auch außerhalb von Europa schöne Länder, wo man sich gut vorstellen könnte, mal ein großes Handballturnier zu spielen. Dem Handball würde es sicherlich guttun, wenn öfters außerhalb von Europa solche Turniere ausgetragen würden.
Tun Ihnen die Fußballkollegen ein bisschen leid, wenn die sich häufig zu gesellschaftlichen und politischen Problemfeldern äußern müssen, obwohl sie letztlich auch nur Profisportler sind?
Durchaus. Und das sind ja keine einfachen Themen. Man hat von außen das Gefühl, dass es sehr schwer ist, dann im richtigen Moment passend zu handeln. Ich glaube, da werden auch Aktionen oder Aussagen, die gut gemeint sind, schnell falsch ausgelegt. Von daher tun mir die Jungs im Fußball manchmal leid. Auf der anderen Seite stehen sie im großen Rampenlicht und haben dann auch in gewisser Weise die Verantwortung, sich den Fragen zu stellen. Als Profisportler willst du dich am liebsten nur auf den Sport konzentrieren. Es ist aber offensichtlich, dass das in der heutigen Zeit nicht mehr hundertprozentig möglich ist.
Bei der WM in diesem Januar steht die Handball-Nationalmannschaft im großen Rampenlicht. Wieviel bekommt die Mannschaft von der großen Euphorie mit, die bei solchen Turnieren in Deutschland aufkommt?
Das ist immer sehr besonders für uns. Sobald das Turnier losgeht, ist die Euphorie ziemlich groß. Das merken wir allein schon an den Einschaltquoten. Wir erfahren immer schnell, wie viele Leute vor den Fernsehern saßen. Natürlich erleben wir die Euphorie auch über die sozialen Medien und durch die Zuschauer, die uns in den Arenen unterstützen. Es treibt uns an, dass die Leute sich auf uns freuen und unsere Leistungen wertschätzen.
Deutschland war letztmals 2007 Handball-Weltmeister. Da waren Sie noch ein Kind. Haben Sie die Länderspiele damals gesehen?
Ja, im Fernsehen. Das ist die erste richtige Handball-Erinnerung, die ich habe. Ich war neun Jahre, als das Turnier stattfand, und habe da zum ersten Mal verstanden, dass eine WM etwas ganz Großes ist. Durch das Finale in Köln ist 2007 eine riesige Euphorie entstanden. Für uns Kinder waren diese Spieler natürlich Vorbilder. Wir haben im Handballtraining gesagt, wer welcher Spieler ist und haben das nachgemacht, was wir im Fernsehen gesehen hatten. Es gab auch einen Film über den WM-Gewinn, der hieß „Projekt Gold“. Der lief oft bei den Weihnachtsfeiern in unserem Handballverein. Dieser WM-Titel 2007 war wirklich ein großes Ding.
Warum sind Sie als Kind Handballer geworden und nicht Fußballer oder Tennisspieler?
Ich habe zuerst Fußball gespielt, weil es in meinem Heimatdorf keine andere Möglichkeit gab. Dann hat aber mein Vater, der selbst Handball gespielt hat, mal gefragt, ob ich das ausprobieren möchte. Ich musste dafür in den Nachbarort fahren, aber der Aufwand ging noch. In der Halle zu sein, hat mir von Anfang an viel Spaß gemacht. Ich hatte zum Glück Trainer, die uns Kinder begeistert haben. Mit fünf Jahren gehst du ja nicht mit den Zielen zum Training, die ein Erwachsener hat. Sondern du willst die Zeit genießen und Spaß haben. Das haben meine Trainer geschafft. Deshalb bin ich beim Handball geblieben.
Heutzutage fällt oft der Sportunterricht aus, viele Kinder bewegen sich zu wenig. Sind gute Jugendtrainer deshalb noch wichtiger, um Kinder für den Sport zu begeistern?
Absolut, und das gilt nicht nur für Handball, sondern für den Sport allgemein. Man merkt es doch heute schon bei den ganz Kleinen, wie groß die Versuchung ist, am Bildschirm zu sitzen. Das zieht die Kinder magisch an. Den Kampf gegen die Bewegungsarmut kann der Sport nur gewinnen, wenn die Jugendtrainer die Kinder begeistern können.
Es gibt ein Video von früher, da sieht man Sie als etwa elf Jahre alten Handballer. Sie spielen humpelnd weiter. Was denken Sie heute darüber? Um Himmels willen? Oder eher: Aus dem Holz muss man halt geschnitzt sein, um Nationalspieler zu werden?
Es zeigt vor allem, dass mir Handball immer sehr wichtig war. Für mich war es schon immer schlimm, wenn ich aus irgendeinem Grund nicht zum Training oder zum Spiel gehen konnte. Diese Einstellung trägt mich bis heute durch die Karriere. Ich war immer bereit, viel in den Sport zu investieren. Neben dem Spaß am Handball ist das sicher ein Schlüssel für den Erfolg.
Zuletzt wurde Dänemark drei Mal Handball-Weltmeister, davor gewann Frankreich oft den Titel. Was muss sich Deutschland von diesen Ländern abschauen?
Man sieht, dass diese Mannschaften über Jahre gewachsen sind. Irgendwann waren sie an dem Punkt, dass sie gesagt haben: Jetzt sind wir die Spitze, jetzt holen wir die Titel. Eine Mannschaft wächst an gemeinsamen Erfolgserlebnissen, aber auch an den Rückschlägen. Diesen Weg haben wir in Deutschland seit gut drei Jahren auch eingeschlagen, mit jungen Leuten und mit erfahrenen Stammspielern. Dadurch entsteht ein Gerüst. Wir befinden uns jetzt auf unserem eigenen Weg. Wenn man sich die Altersstruktur anschaut, sind wir deutlich jünger als die Mannschaften, die eben genannt wurden. Deshalb ist es unser Ziel, dass wir in den nächsten Jahren zur absoluten Spitze gehören und um die Titel mitspielen können.
Bei der WM 2023 wurde Deutschland Fünfter, dann folgten Platz vier bei der EM und zuletzt Silber bei Olympia. Erkennt man daran diese Entwicklung?
Es geht jedenfalls alles in die richtige Richtung. Und es greifen immer mehr Rädchen ineinander. Wir haben das System mit Bundestrainer Alfred Gislason verändert – und der Trainer weiß sehr genau, was welcher Spieler kann. Für die jetzige WM gilt: Wir müssen alles auf der Platte lassen und mit voller Emotion spielen. Denn wenn wir das nicht schaffen, gehören wir noch nicht zur Weltspitze.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Gislason? Für manche ist er ein Schleifer, für andere ein väterlicher Freund…
Er ist irgendwas dazwischen. Im Training ist er eher der harte Schleifer, da ist er sehr detailversessen. Aber drumherum ist er auch jemand, der gerne mal für einen Spaß zu haben ist und schaut, dass das Klima in der Mannschaft stimmt. Wir waren zu Alfreds Anfangszeit noch nicht auf dem Niveau zwischen Mannschaft und Trainer, auf dem wir jetzt sind. Da haben sich beide Seiten angenähert. Wir wissen mittlerweile, was wir aneinander haben.
Sie sind früh Profi und Nationalspieler geworden, schnell kamen die ersten Titel und die Kapitänsbinde. Wenn alles so schnell geht in der Karriere – kann man das genießen oder geht das erst später im Rückblick?
Alles ging ein bisschen schnell, das muss ich wirklich sagen. Das merke ich heute: In meinem ersten Jahr in Flensburg wurden wir Meister und ich dachte damals, das wäre der erste von vielen Titeln. Für mich war das irgendwie selbstverständlich. Doch bis jetzt, in meinem siebten Flensburger Jahr, ist es leider bei der einen Meisterschaft geblieben. Rückblickend hätte ich diesen Moment viel mehr genießen müssen. Es gibt eben keine Garantie für den nächsten Titel. Andererseits ist der Sport sehr schnelllebig: Wenn man den einen Moment zu sehr genießt, ist man für die nächste Aufgabe vielleicht nicht gut genug vorbereitet.
Machen Titel süchtig?
Eindeutig ja. Auch deshalb, weil man das Gefühl der Niederlage auf keinen Fall haben will. Ein Titel ist aber nicht immer realistisch. Man kann eine Saison auch dann mit einem guten Gefühl abschließen, wenn man sein eigenes Potenzial und das der Mannschaft ausgeschöpft hat.
Die deutschen Basketballer haben den WM-Titel gewonnen. Ist das eine Inspiration für die Handball-Nationalmannschaft?
Ja, das ist es. Vor allem, weil das Sportarten sind, die gut vergleichbar sind. Es gibt einige Parallelen. Ihr Erfolg zeigt: Wenn eine Mannschaft das nötige Selbstvertrauen hat und die nötige Qualität, dann kann sie jeden Gegner schlagen. Deshalb sollten die Basketballer für uns ein Vorbild sein.
Sie sind als Weltklasse-Kreisläufer ein ziemlicher Koloss: 1,95 Meter und 112 Kilo. Wie viel Kraftraum, wie viel Ernährung ist wichtig, um so einen Körper auf Topniveau zu halten?
Man braucht dazu einen guten Mix. Zwischen vier und fünf Mal pro Woche geht es in den Kraftraum. Und natürlich muss ich auf Reisen oder zu Hause darauf achten, dass ich dem Körper guten Treibstoff gebe. Im Prinzip hört das rund um die Uhr niemals auf. Es geht dabei nicht nur darum, mein Kampfgewicht zu halten. Sondern auch darum, immer fit zu sein und alles dafür zu tun, Verletzungen vorzubeugen. In diesem Punkt ist der Handballsport in den letzten Jahren viel professioneller geworden. Die Spieler gehen bewusster mit ihrem Körper um, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Es steht keine Kiste Bier mehr in der Kabine?
Es ist kein Geheimnis, dass wir nach einem guten Spiel auch mal ein Bier zusammen trinken. Aber das ganze Drumherum ist sehr professionell.
Als Kreisläufer sind Sie immer im Nahkampf. Wie viele blaue Flecke haben Sie nach einem Länderspiel?
Es ist unterschiedlich. Natürlich wird der Körper am nächsten Tag ein bisschen bunt. Aber das gehört dazu, das kann ich verkraften. Der Handball ist mittlerweile so fair geworden, dass nur wenige Dinge passieren, bei denen ein Gegenspieler einem bewusst schaden möchte.
Beim Handball fasziniert es die Fernsehzuschauer, dass die Kameras bei den Auszeiten am Spielfeldrand und auch in der Kabine dabei sind. Stört das die Spieler?
Nein, gar nicht. Man gewöhnt sich schnell daran. Wir haben in den Auszeiten nichts zu verbergen. Ich verstehe vielmehr, warum es gemacht wird: Für die Zuschauer ist es total interessant, was da besprochen wird. Wir Sportler können gut damit umgehen.
2027 findet die WM in Deutschland statt. Können die kommenden Jahre ganz große für den deutschen Handballsport werden?
Es ist alles dafür angerichtet. Aber wir müssen trotzdem viel dafür tun. Nur weil wir bei Olympia im Sommer 2024 Silber geholt haben, laufen die Turniere jetzt nicht von allein. Wenn alle Spieler gesund bleiben und die Entwicklung unserer Mannschaft so weitergeht, haben wir viele Möglichkeiten, in den nächsten Jahren um die Titel mitzuspielen. Die WM 2027 wäre genau 20 Jahre nach dem Triumph im eigenen Land. Das ist etwas ganz Besonderes. Wir wollen diese Chance natürlich nutzen. Für uns als Spieler und als Mannschaft wäre das unvergesslich.