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Der Fall Luis Rubiales Wenn der Fußball noch im Gestern lebt

Die Kritik nach dem Kuss-Eklat von Luis Rubiales wird immer größer. Der Fall zeigt aber auch, dass der Fußball noch im Gestern lebt, meint Florent Comtesse.
29.08.2023, 21:41 Uhr
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Wenn der Fußball noch im Gestern lebt
Von Florent Comtesse

"Wie schwierig ist es, jemanden nicht auf die Lippen zu küssen?" Das ist eine schlichte, aber berechtigte Frage, die am Dienstag von Stéphane Dujarric, Sprecher von UN-Generalsekretär Antonio Guterres, gestellt wurde. Denn es grenzt schon an Absurdität, dass anderthalb Wochen nach dem Ende der Frauen-Fußballweltmeisterschaft, bei der die spanische Nationalmannschaft zum ersten Mal den Titel gewinnen konnte, nur über einen Mann gesprochen wird. Der sportlich herausragende Erfolg der Spanierinnen rückt völlig in den Hintergrund. Aber es ist bezeichnend für einen Fußball, der noch immer von Männern und deren Entscheidungen dominiert wird. Und in dem Frauen so schnell keine Gleichstellung erlangen, wie es so oft gefordert wird – und wie es sich die Verbände gerne als Ziel auf die Fahne schreiben.

Luis Rubiales, seit 2018 Präsident des spanischen Fußballverbands RFEF, packte bei der Ehrung den Kopf der Spanierin Jennifer Hermoso, die Minuten zuvor mit ihren spanischen Kolleginnen das größte Erfolgserlebnis ihrer sportlichen Karriere erreichte, und küsste sie ungefragt auf den Mund. Ein übergriffiger, sexistischer Akt, das steht außer Frage. Möglicherweise hätte er sich mit einer aufrichtigen Entschuldigung retten können. Das, was Rubiales allerdings als Reaktion zeigte, ist ein Beweis dafür, dass die Fußball-Elite in ihrer eigenen rückständigen, verkrusteten Welt lebt.

Der Fußballpräsident weigert sich bis heute, zurückzutreten und seinen Fehler einzugestehen. Trotz massiver Kritik und Rücktrittsforderungen. Rubiales bezichtigt Hermoso der Lüge. "Hier geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern um eine soziale Hinrichtung", sagte Rubiales am Freitag. Er spricht von "falschem Feminismus" und betont mehrfach, dass er nicht zurücktreten werde. Das unter Applaus wichtiger Männer im spanischen Fußball. Das nennt man Täter-Opfer-Umkehr.

Zuvor bekam der Spanier Rückendeckung von internationalen Kollegen. Mit Bayerns Ex-Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge sprang ihm auch ein deutscher Kollege zur Seite. Er stellte fest, dass man doch "die Kirche im Dorf lassen sollte". Er hält den Übergriff für "völlig okay". Dass Rummenigge zusammen mit dem spanischen Fußballpräsidenten Teil des Uefa-Exekutivkommitees ist, bedarf wohl keines weiteren Kommentars. 

Ohnehin ist es eine Farce, dass Rubiales noch ein so hohes Amt bekleiden darf, blickt man auf die zahlreichen Vorwürfe diverser Verfehlungen. Bereits 2017 beschuldigte eine Architektin den Spanier wegen Körperverletzung und Belästigung. Im Mai 2022 wurde Rubiales von seinem Onkel Juan bei der spanischen Antikorruptionsstaatsanwaltschaft angezeigt. 2020 soll sein Neffe eine Sex-Party mit Verbandsgeldern veranstaltet haben. In einer Villa habe er sich mehrere Tage vergnügt. Er selbst nannte es einen Grillabend mit Freundinnen. Und das ist nur eine unvollständige Auflistung.

Und wie fallen die Reaktionen der internationalen Verbände aus? Die Fifa suspendierte den spanischen Fußballpräsidenten immerhin für 90 Tage und erließ ein Kontaktverbot zu Hermoso. Das könnte als konsequent durchgehen. Doch Fifa-Boss Gianni Infantino äußerte sich bislang nicht. Gleiches gilt für Uefa-Chef Aleksander Ceferin, obwohl Rubiales hinter dem Slowenen zweitwichtigster Funktionär des europäischen Dachverbands ist. All das spricht Bände über die männliche Dominanz im Fußball.

Die Weltmeisterinnen traten gemeinschaftlich am Freitagabend aus der Nationalmannschaft zurück. Sie wollen nicht mehr unter spanischer Flagge spielen, bis sich etwas ändert. Das ist ein richtiges Zeichen. Ob sich allerdings etwas im Fußball verändern wird, solange weiterhin ausschließlich Männer in Spitzenpositionen von Verbänden vertreten sind, ist fraglich. Es ist es aber umso wichtiger, dass diese Debatte so breit wie möglich geführt wird, damit dieser Sport endlich den Weg aus dem Gestern findet.

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