Singapur. Einen bangen Moment blickte Angelique Kerber auf die Anzeigetafel, dann hatte die Nummer eins Gewissheit. Die Rückhand ihrer Rivalin Simona Halep war im Aus, sie hatte beim Saisonfinale in Singapur ihren dritten Matchball zum 6:4, 6:2 verwandelt und ihren zweiten Vorrundensieg geschafft. Damit wandelt die zweifache Grand-Slam-Siegerin auch bei den WTA Finals der Branchenbesten auf den Spuren von Steffi Graf. 18 Jahre, nachdem die deutsche Sportikone letztmals die Vorschlussrunde erreichte, steht die 28-Jährige dicht vor ihrem ersten Halbfinaleinzug.
„Ich fühle mich sehr, sehr gut hier, ich genieße hier jeden Tag”, sagte Kerber. Ein Lächeln, ein kurzes Winken, einige Autogramme – dann verließ die in Bremen geborene und in Kiel lebende US-Open-Siegerin glücklich den Centre Court. „Ich habe heute ganz gut aufgeschlagen, mich gut bewegt und in Schlüsselmomenten das Spiel in die Hand genommen“, sagte sie kurz danach im ARD-Interview.
Für Kerber gibt es nur ein Szenario, bei dem sie den Halbfinaleinzug beim Saisonfinale der besten Tennis-Damen verpassen würde. Die Nummer eins scheitert nur, wenn sie am Donnerstag (13.30 Uhr) gegen Madison Keys aus den USA in zwei Sätzen verliert und Simona Halep vorher in zwei Sätzen gegen die Slowakin Dominika Cibulkova den Kürzeren gezogen hat. Kerber sagt, sie erwarte gegen die Top-Ten-Spielerin Keys „ein ganz anderes Spiel”. Keys schlage zum Beispiel noch härter auf. „Aber ich freue ich mich einfach auf das Match.”
Noch ist sie bei ihren vorherigen drei Teilnahmen nie so weit vorgedrungen. Doch in ihrem herausragenden Jahr 2016 hat sich für die Norddeutsche viel verändert. Als erste Deutsche seit Graf gewann sie Grand-Slam-Turniere. Am Dienstag nahm die 28-Jährige die Auszeichnung als Nummer eins zum Jahresende entgegen. Sie erhielt eine Trophäe und einen Ring zur Erinnerung. Während der US Open Mitte September hatte sie die Amerikanerin Serena Williams abgelöst und war als zweite Deutsche nach Steffi Graf zur Weltranglisten-Ersten aufgestiegen.
Zwei Tage nach ihrem kraftraubenden Auftritt gegen die Weltranglisten-Achte Cibulkova zeigte die Linkshänderin vor nur rund 2500 Zuschauern eine solide Leistung. „Das ist kein hochklassiges Spiel, es gibt sehr viele unerzwungene Fehler”, urteilte Kerbers Tennis-Freundin Andrea Petkovic bei der Übertragung auf dem Sender „One”, auf den die ARD ausgewichen war. „Kerber sah eben sehr müde aus, Simona hat große Chance liegen lassen”. Zu Beginn diktierte Kerber das Spielgeschehen gegen ihre quirlige Kontrahentin, die 2014 ins French-Open-Finale eingezogen war. Die Linkshänderin zog ihr Spiel allerdings nicht konsequent durch und wurde zwischenzeitlich zunehmend in die Defensive gedrängt.
Von drei Spielverlusten nacheinander ließ sich Kerber aber nicht beirren und sicherte sich nach 43 Minuten den ersten Satz, als eine Vorhand von Halep im Netz landete. Im zweiten Satz ging Kerber gleich in Führung und geriet in keiner Weise mehr in Bedrängnis. Sie verwandelte den dritten Matchball zum vierten Erfolg im fünften Aufeinandertreffen mit Halep im Jahr 2016 und scheint auf gutem Wege, ihr herausragendes Jahr zu krönen. „Da es das letzte Turnier ist, ist sie sehr motiviert”, berichtete Trainer Torben Beltz. Kerbers Konkurrentinnen sollte es eine Warnung sein.