Gemeinhin wird angenommen, die Zeit des Farbfilms beginne in den 1930er-Jahren. Bislang bekannte Farbfilmaufnahmen zeigen deshalb oft ein ganz dem Führerkult der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft unterworfenes Deutschland. Doch Hermann Pölking-Eiken aus Bremen, der sich selbst als Filmarchäologen bezeichnet, war auf Filmmaterial gestoßen, das bereits im Jahr 1930 als farbige Aufnahmen entstanden war. Diese Bilder von Delmenhorst und Bremen sind in seinen Augen ein Sensationsfund. Und nach aufwendigen Restaurierungsarbeiten kommen diese Filmschnipsel nun in einem 95-minütigen Film ins Kino.
Der Delmenhorster Arnold Hennings (1882–1957) war wohl einer der Ersten in Deutschland, der sich den teuren Spaß einer Farbfilmkamera leistete. "Hennings war alleinstehend und lehrte als Ingenieur am Bremer Technikum, war also vermutlich wohlhabend", sagt Daniel Tilgner, der das Bremer Landesfilmarchiv leitet und den Film "Bremen wird bunt" aus den Archivfunden zusammengestellt hat. Dieser Film zeigt vornehmlich Aufnahmen aus der benachbarten Hansestadt der Jahre 1930 bis 1959. Und gerade die Jahre vor Beginn der NS-Diktatur seien spannend: "Wir verlängern damit die Geschichte", erläutert Tilgner. Denn schwarz-weiß Filme würden nicht die Nähe erzeugen, die mit Farbfilmen gelinge, sie seien gar eine Fehlwahrnehmung. Und ein farbiger Einblick in die Zeit der Weimarer Republik sei bislang selten. Pölking-Eiken vermutet sogar, dass solche Filmaufnahmen innerhalb Deutschlands wohl nur noch aus Berlin und München, und wegen der Bedeutsamkeit für die NS-Ideologie, aus Nürnberg existieren würden. "Bremen war eine wohlhabende Stadt mit ausgezeichneten Verbindungen in die Vereinigten Staaten", sagt Pölking-Eiken. Und aus den USA kamen die ersten Farbfilme der Firma Kodak-Eastman – zunächst ab den 1920er-Jahren im sehr aufwendigen Linsenrasterverfahren, ab Ende der 1930er-Jahre auf Mehrschichtfarbfilmen, wie man sie noch heute kennt.

Landesfilmarchivar und Filmemacher Daniel Tilgner.
Hennings war schon damals Pendler zwischen Delmenhorst und Bremen. So zeigen seine Aufnahmen auch die Delmenhorster Mühlenstraße, an der er gewohnt hat, und die damals noch mit Kopfsteinpflaster befestigt war und von Pferdefuhrwerken befahren wurde. "Hennings muss Pferde sehr gemocht haben, ein Großteil seiner Aufnahmen zeigen Pferde", sagt Tilgner. Doch auch Aufnahmen von einer Reise auf die Nordseeinsel Norderney zeigen einerseits den Wohlstand friedlich Badender am Strand und andererseits die Mühen, die eine solche Reise damals machte: "Der einfachste Weg von Bremen auf die Insel führte mit Seebäderschiffen direkt von Bremen aus", erklärt Pölking-Eiken. Diese fuhren langsam und nacheinander die Inseln ab, doch eine schnellere Möglichkeit gab es nicht; Autos, die einen heutzutage schnell nach Norddeich oder Bensersiel bringen, kamen damals gerade erst auf.
Amateurfilme aus 30 Quellen
Zweieinhalb Jahre dauerten die Arbeiten für den nun seine Premiere feiernden Film. 30 Filmquellen wurden dafür in neun Archiven gehoben und gesichtet. In Tilgners Film hat es rund ein Viertel des gesichteten Materials geschafft – davon 93 Prozent Amateurfilmaufnahmen. Und es ist wohl dem Zufall geschuldet, dass die Aufnahmen des Delmenhorsters Hennings im Landesfilmarchiv Baden-Württemberg die Zeit überdauerten."Wir wissen nicht, durch wie viele Hände die Filmaufnahmen gingen, aber Menschen ziehen um und nehmen ihre Habe mit und dann findet man bisweilen Material an abwegigen Orten", sagt Pölking-Eiken, der seit 1996 weltweit auf der Suche nach Bremen-Aufnahmen ist.

Hermann Pölking-Eiken im Dezember 2016. Archivbild.
Doch die Qualität der Filme war schlecht: "Rund 90 Prozent der verwendeten Filme waren farbstichig", sagt Pölking-Eiken. Ein Team der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich machte sich daran, gemeinsam mit Kollegen in Bremen und Stuttgart in gut 1000-stündiger Arbeit die Filme zu restaurieren, gegebenenfalls nachzukolorieren und zu stabilisieren. Denn: "Krissel durch Staub und Schmutz auf den Filmrollen sorgen auf der Leinwand für ein schlechtes Bild, das die Zuschauer auch noch sehr schnell ermüdet", erklärt Pölking-Eiken. "Wir haben sehr viel Aufwand betrieben, um das Material zu reinigen." Zudem gebe es heutzutage weltweit keinen einzigen Projektor mehr, der die Linsenraster-Aufnahmen zeigen könne, weshalb aufwendig eine Möglichkeit der Übersetzung und Digitalisierung gefunden werden musste.
Der Zusammenschnitt ist wohl sensationell zu nennen, die ursprünglich stummen Filme sind nun kommentiert und mit nachträglich eingespielten Hintergrundgeräuschen im Kino zu sehen. Ein Blick auf die bremischen Häfen und die Bremer Innenstadt, die wohl nur noch wenige aus eigenem Erleben erinnern können. Ein Stück Geschichte in Farbe.