Um 14 Uhr an diesem Dienstag wird Werner Fehner zum letzten Mal den Schlüssel umdrehen. Dann endet ein Kapitel Düsternort-Geschichte, der Edeka-Supermarkt an der Cramerstraße schließt. Dieses Mal definitiv. Vor fünf Jahren stand das Thema schon einmal im Raum. Doch dieses Mal wird es kein Zurück für Rita und Werner Fehner geben. Dieses Mal lassen sie sich nicht überreden, nicht von ihrer Vermieterin, nicht von den Kunden. Eine Inventur werden sie danach noch machen, für den sauberen Jahresabschluss. Und natürlich den Laden ausräumen, das gesamte Inventar ist bereits verkauft. Dann werden sie das Haus besenrein übergeben. Obwohl das gar nicht nötig sein wird. Das Gebäude soll abgerissen werden.
Ein neuer Markt soll kommen. Immerhin. Ende kommenden Jahres soll er eröffnen, hoffen die Projektentwickler. Werner Fehner kann nicht so recht dran glauben. „Unseren Markt in Bremen wollen wir um 150 Quadratmeter erweitern. Seit 2012 besprechen wir das mit den Behörden“, erzählt er. Aber er kann verstehen, dass neu gebaut werden soll. Das alte Gebäude so zu renovieren, dass es den aktuellen Vorschriften entspricht, sei nicht rentabel. Der neue Markt soll dann auch gleich größer werden, moderner, schicker. Fehner wird ihn dann nicht mehr leiten, auch wenn sein gesamtes Berufsleben mit diesem Markt zusammenhing.
Am 1. April 1970 startete diese Geschichte. Kein Aprilscherz. Fehner begann eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Den Markt an der Cramerstraße gab es da zwei Jahre, 1968 öffnete er noch unter dem lange vergessenen Namen "Bernd & Co.". Was für Fehner folgte, war die Bundeswehr, dann die Rückkehr zur Co op AG, jener Handelskette, die nach einem Betrugsskandal Ende der 80er-Jahre von der Bildfläche verschwand. "Ich wurde zuerst in Löningen Marktleiter, mit 20 Jahren", erinnert sich Fehner. Dann starteten seine Wanderjahre. Er war derjenige, der in der Region gerufen wurde, wenn eine der Co-op-Töchter einen neuen Markt eröffnete, meist waren es Comet-Läden. In Wildeshausen war er, in Delmenhorst, in Bassum, in Twistringen, in Bremen.
Und dann wieder: Delmenhorst. Im Februar 1979, Fehner sollte den Markt leiten, in dem alles angefangen hat. „Damals wurde aus dem Penny – der damals noch nicht zu Rewe, sondern zur Leibbrand-Gruppe gehörte – ein Comet.“ Werner Fehner erinnert sich noch sehr lebhaft an diese Tage. Es war die Zeit der großen Schneekatastrophe. Er musste den gesamten Hof freischaufeln, damit sein neuer Laden überhaupt öffnen konnte. „Das waren echt Massen.“ Aber damals gehörte anpacken noch dazu, es gab noch keine E-Ameisen, die surrend Euro-Paletten durch den Laden zogen, damals wurde noch mit Muskelkraft abgeladen und in den Laden geschafft. „Am 1. April 1999 habe ich mich dann selbstständig gemacht“, erinnert sich Fehner. Wieder kein Aprilscherz. Damals segelte er noch unter der Spar-Flagge, bis Edeka Mitte der Nullerjahre die Kette übernahm.
Der Laden ist unter heutigen Verkaufsaspekten ein Dinosaurier, mit einer besonderen Lage dazu. Da ist zum einen die Kundschaft aus dem noblen Max-Planck-Viertel. Zum anderen die teils spezielle Klientel aus Düsternort. Aber das seien ganz treue Kunden, sagen die Fehners. „Man muss diese Leute zu nehmen wissen.“ Fehner weiß, wie er mit ihnen umgehen muss. Aufrichtig ist er dabei. Das danken sie ihm. Da spricht ihn schon mal ein Kunde im Laden an: „Du, Chef, kannst Du mir mal 20 Euro leihen?“ Es ist eine Frage zum Monatsende, wenn das Arbeitslosengeld knapp ist. Fehner kennt seine Pappenheimer, aber er gab ihnen dann auch das Geld. Aus seinem eigenen Portemonnaie. „Wenn sie dann ihren Scheck bekommen hatten, haben sie mir das Geld zurückgegeben. Wissen Sie: Es ist mir lieber, sie fragen mich, ob ich ihnen Geld leihen kann, als dass sie mich beklauen.“ Ab und an wurde auch mal das Fleisch, das nicht mehr verkauft werden durfte, aber noch gut war, an Kunden gegeben. Fehner lebte da ein bisschen das Tafel-Prinzip.
Auch mit einem anderem Problem wusste er umzugehen. Die Männer und Jungs, die bei ihm im Markt Bier gekauft hatten, meist die günstigste Sorte, und dann auf dem Parkplatz abhingen und tranken. Andere Kunden störte das, so wie man es zuletzt öfter vom Discounter am Hasporter Damm gehört hat. Fehner ist dann raus und hat eine klare Ansage gemacht. Wenn sie trinken wollen, sollen sie sich drüben in den Park setzen. Ab und an gab es dann kurze Diskussionen, weil sie doch schließlich bei ihm das Bier gekauft haben. Nix da. Fehner ist auch da der Boss, sein Wort ist Gesetz in und vor seinem Laden. Die Biertrinker trollten sich.
Was Fehner von vielen Konkurrenten unterschied: der Lieferservice. Den wird es aus Bremen auch weiterhin geben. Aber den älteren Kunden wird es vielleicht schon fehlen, dass sie nun erst einmal keinen Supermarkt haben, der auch mal drei Kisten Wasser bis zur Wohnung bringt. Was einerseits sehr zeitgemäß ist. Andererseits auch ein bisschen zu der Zeit passt, als Werner Fehner selbst noch lernte und jeden Tag aus dem Elternhaus in Stuhr-Varrel mit dem Bus nach Delmenhorst fuhr. Er erinnert sich noch gut an einen der Busfahrer, Hannes Focken. „Er hat mir morgens seinen Einkaufszettel in die Hand gedrückt. Mittags um 12 Uhr habe ich dann einen Einkaufswagen zur Bushaltestelle geschoben, die Waren eingeladen, er hat bezahlt und ist seine Tour weitergefahren.“ Man kannte sich, Delmenhorst war noch halb Stadt, halb Dorf.
Aber mit all dem ist nun Schluss. „Heute waren schon viele hier, die gesagt haben, wie schade sie das finden“, erzählt Rita Fehner. Auch, weil der Kontakt der Kunden zu den Mitarbeitern teilweise fast schon freundschaftlich ist. Vier der 15 werden übrigens bei Fehners bleiben und zukünftig in Bremen arbeiten. „Aber viele haben auch Verständnis für unsere Entscheidung.“ Sie ist jetzt 66 Jahre alt, er ein Jahr jünger. Noch einmal verlängern hätte eine Bindung wieder über fünf oder zehn Jahre bedeutet. Das wollten sie auf keinen Fall mehr. Dann lieber konzentriert daran arbeiten, dass die Übergabe in Bremen klappt. Weiterarbeiten wollen beide auf jeden Fall. Sie sind ja noch fit. „Aber man muss nicht mehr der Erste und Letzte sein“, sagt Werner Fehner. Und wahrscheinlich werden sie sich nur noch montags, mittwochs und freitags mit ums Geschäft kümmern, und schon mal öfter im neuen Haus in Bockhorn bleiben, Zeit für Spaziergänge und Radtouren haben. Und vielleicht auch öfter mal für einen kurzen Urlaub.
Brötchen, Brot und Kuchen wird es übrigens weiterhin geben, die Bäckerei-Filiale bleibt den Kunden erhalten. Wenn es mit dem Abriss konkreter wird, soll sie in den Nebenbau ziehen, in dem jetzt noch Haare geschnitten werden. Aber auch das Haus soll weg, um Platz für den neuen Supermarkt zu schaffen, 1500 Quadratmeter wird dieser haben. Weil für die Düsternorter nun buchstäblich die Vor-der-Haustür-Versorgung wegbricht, hat die Stadtverwaltung den neuen Bebauungsplan Huntestraße – der auch eine Wohnbebauung auf der Freifläche hinter dem Supermarkt vorsieht – geteilt. Priorität genießt dabei die Fläche direkt an der Cramerstraße. Damit schneller ein neuer Supermarkt gebaut werden kann.