Herr Buschmann, der Bundestag hat am Mittwoch, mit den Stimmen der AfD, Anträge der Union zur Asylpolitik verabschiedet. Gab es in den Reihen der FDP irgendwelche Bedenken, Anträgen zuzustimmen, die auf AfD-Stimmen zur Mehrheitsbeschaffung angewiesen waren?
Marco Buschmann: Am Mittwoch wurden zwei Anträge der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag beraten. Der Antrag für „sichere Grenzen und ein Ende der illegalen Migration“ wurde verabschiedet – diesem haben wir als FDP-Fraktion zugestimmt. Denn hier geht es in erster Linie um eine allgemeinpolitische Richtungsbestimmung. Der Geist des Antrages entspricht dem, was wir unter einer neuen Realpolitik in der Migration verstehen: mehr Kontrolle und Ordnung. Einen zweiten Antrag der CDU/CSU zur „Inneren Sicherheit“ haben wir als FDP-Fraktion klar abgelehnt, er fand auch keine Mehrheit. Denn mit uns ist es nicht zu machen, dass unter dem Deckmantel der inneren Sicherheit pauschal in die Grundrechte von Millionen Bürgerinnen und Bürgern eingegriffen wird. Der Staat braucht nicht immer mehr Daten. Er muss effektiver in der Zusammenarbeit und Vernetzung seiner Behörden und der Nutzung der vorhandenen Daten werden.
Sie nennen die CDU-Vorschläge zur Begrenzung illegaler Einwanderung „Realpolitik in der Migration“. Haben urliberale Positionen eines Gerhart Baum noch Platz in Ihrer Partei?
In der FDP hat jeder freiheitsliebende Mensch einen Platz. Die FDP steht für einen ganzheitlichen Liberalismus: Wirtschaftliche Freiheit, gesellschaftliche Freiheit und die politische Freiheit des Einzelnen gehen Hand in Hand. Wir haben unsere Position in der Migrationspolitik in diesen Tagen nicht verändert, sondern sind ihr treu geblieben: Die Einwanderung qualifizierter Menschen in den Arbeitsmarkt wollen wir leichter machen. Aber die große Zahl irregulärer Migranten in Deutschland muss sinken, weil sie nicht nur eine Belastung für Sozialstaat, Schulen und Kommunen darstellt, sondern auch unsere innere Sicherheit bedroht. Für diesen Kurs haben wir uns auch in der Ampel-Koalition immer wieder starkgemacht. Natürlich ist es ein Dilemma, wenn die AfD einem solchen Antrag auch zustimmt. Wir wollen mit dieser rechtsextremen Partei nichts zu tun haben. Aber wir können uns auch nicht durch ihr Stimmverhalten vorschreiben lassen, was wir für richtig oder falsch halten. Wenn Demokraten nicht die Probleme lösen, die den Menschen unter den Nägeln brennen, dann wenden sich immer mehr Menschen den Anti-Demokraten zu.
Wenn Sie an Ihre Zeit im Kabinett Scholz zurückdenken, welche positiven Erinnerungen bleiben Ihnen ganz persönlich?
Auch wenn unser Ehrgeiz stets größer als der der Koalitionspartner war, haben wir Liberale Wichtiges erreicht: ein großes Bürokratieabbau-Programm, viele steuerliche Erleichterungen und gesellschaftspolitische Modernisierung. Hinzu kommt der Schutz der Privatsphäre etwa vor heimlichen Wohnungsdurchsuchungen oder vor Schnüffelei in privater Kommunikation, Stichwort: Chat-Kontrolle. Das sind Dinge, die bleiben.
Zu welchem Zeitpunkt war Ihnen klar, dass die Ampel vorzeitig abgeschaltet gehört?
Das müssen Sie den Bundeskanzler fragen. Denn er war es, der mit der Entlassung von Christian Lindner das Ende der Ampel besiegelt hat. Ich mache aber keinen Hehl daraus, dass auch wir Freie Demokraten mit uns gerungen haben. Wir wären auch bereit gewesen, die Koalition zu verlassen. Denn der nötige Kurswechsel in unserem Land – insbesondere in der Wirtschaftspolitik – war mit SPD und Grünen nicht zu machen. Deshalb ist es gut, dass die Bürgerinnen und Bürger nun am 23. Februar die Wahl haben und für eine echte Veränderung stimmen können.
Welchen Anteil hat Ihre eigene Partei am Scheitern des Ampel-Projektes?
Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Die größte Last der Ampel war sie selbst. Die Regierung insgesamt hat kein gutes Bild abgegeben. Die Art, wie die Partner miteinander umgegangen sind, war unwürdig, der Modus der Willensbildung unzuverlässig. Man konnte die Uhr danach stellen: Sobald sich die Koalitionsspitzen auf etwas verständigt hatten, hat sich kurze Zeit später jemand aus der zweiten oder dritten Reihe zu Wort gemeldet, der das sofort wieder infrage gestellt hat. Schuldzuweisungen im Nachhinein sind aber vergossene Milch.
Damit die FDP, sofern sie es ins Parlament schafft, nicht wieder falsch regiert oder gar nicht, welche Beteiligung an welcher Koalitionszusammensetzung kommt Ihnen am nächsten?
Für uns Freie Demokraten ist klar: Unser Land braucht einen Richtungswechsel. Wir kämpfen für eine Wirtschaftswende. Das heißt: weniger Steuern, weniger Bürokratie und weniger bürokratisches Mikromanagement. In der Migrationspolitik werben wir für eine neue Realpolitik. Bei all diesen Themen standen die SPD und die Grünen bislang auf der Bremse. Eine klare Perspektive für Veränderung kann es deshalb auch nicht mit Schwarz-Rot und erst recht nicht mit Schwarz-Grün geben – sondern nur mit Schwarz-Gelb.
Die Arbeit der FDP findet auch auf kommunaler Ebene statt, in Niedersachsen gibt es keine Landtagsfraktion mehr. Wie kann die FDP ihr Profil auf der Ebene der Städte und Gemeinden schärfen?
Die Freien Demokraten haben ein starkes Profil in der Breite. Wir haben viele Kreis- und Stadtratsfraktionen, sind eine starke Stimme in Gemeinderäten und stellen Bürgermeister – auch in Niedersachsen. Diese Verankerung vor Ort ist eine tragende Säule der FDP. Wir zeigen, was gelebter Liberalismus vor Ort konkret heißt: starke Betriebe und gute Jobs, solide Kommunalfinanzen, digitale und effiziente Behörden.
Sie kommen an diesem Montag in die Markthalle nach Delmenhorst, waren Sie schon einmal in Delmenhorst? Delmenhorst gilt für die FDP ja als ein gutes Pflaster, gleich nebenan liegt auch die Gemeinde Ganderkesee, woher Christian Dürr stammt.
Die Liberalen haben in Delmenhorst starke Wurzeln. Dass mit Christian Dürr der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion hier geboren ist und bis heute seiner Heimatregion eng verbunden ist, unterstreicht das. Im hohen Norden weht eine frische Brise, die Sicht auf die Dinge ist klar – deshalb ist Delmenhorst ein gutes Pflaster für die Liberalen. Bei der Bundestagswahl haben wir hier ein Ergebnis von 11,5 Prozent erzielt. Das ist doch ein guter Anker.
Das Interview führte Gerwin Möller.
Zur Person
Marco Buschmann (47) war in der Zeit der Ampelregierung von 2021 bis November 2024 Bundesminister der Justiz. Zuvor war er von 2014 bis 2017 Bundesgeschäftsführer der FDP und von 2017 bis 2021 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der Freien Demokraten.