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"Operation Ice Storm" Walen droht die Harpune

In Island droht Walen die Harpune. Trotz internationaler Ächtung wird der kommerzielle Walfang fortgesetzt. Aktivisten starten die "Operation Ice Storm" zur Rettung der Meeresäugetiere.
27.06.2024, 05:00 Uhr
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Walen droht die Harpune
Von Gerwin Möller

Der isländische Geschäftsmann Kristjan Loftsson hat mit seinem Unternehmen Hvalur von der Regierung in Reykjavik wieder eine Lizenz zum Töten von Walen zugesprochen bekommen. Dagegen richtet sich die „Operation Ice Storm“, organisiert von Meeresschützern. Dem Milliardär werden gute Verbindungen in die Politik nachgesagt. Kommerzieller Walfang ist zwar seit 1986 international geächtet. Dennoch wird von Unternehmen in Japan, Norwegen und Island weiterhin Jagd auf Finnwale, Zwergwale und Seiwale betrieben. Öl, Fett und Knorpelmasse der Meeressäuger werden noch immer in pharmazeutischen Produkten und zur Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzt. Das Walfleisch landet auch auf den Tellern von Touristen oder wird zu Tiernahrung weiterverarbeitet. Der mit Abstand größte Teil des vor Island durch Schlachtung von Walen gewonnenen Fleisches wird nach Japan exportiert.

"Kapitän Ahab der Neuzeit"

Gerd Renker vom deutschen Zweig der Paul-Watson-Foundation mit Sitz in Delmenhorst nennt den 81-jährigen Walfangbefürworter Loftsson den verrückten „Kapitän Ahab der Neuzeit“. Vier Schiffe bildeten einmal dessen Harpunenschiffflotte, bis zwei davon von Meeresschützern kurzerhand im Hafen versenkt wurden. Menschen kamen dabei nicht zu Schaden.

Der moderne Walfang unterscheidet sich von den Methoden, von denen die Romanfigur des Matrosen Ismael in Moby-Dick berichtete. Mit Sprengladungen bestückte Harpunen werden von den Fangschiffen auf die Tiere abgefeuert. Sie sollen möglichst in deren Köpfen explodieren. Der Todeskampf der getroffenen Wale kann mehrere Stunden andauern. Das auf Walfischjagd spezialisierte Unternehmen Hvalur darf in den Küstengewässern Islands in diesem Sommer eine Quote von 128 Finnwalen erlegen.

Finnwale sind nach Blauwalen die zweitgrößte Meeressäugerart der Welt. Sie stehen unter internationalem Naturschutzrecht und werden auf der Roten Liste bedrohter Arten als gefährdet eingestuft. Die Walfangsaison in Island dauert in der Regel von Mitte Juni bis September. In der Region Grönland/Westisland dürfen nach der erteilten Lizenz 99 Finnwale getötet werden, in der weiter abgelegenen Region Färöer/Ostisland stehen weitere 29 Tiere auf der Abschussliste.

„Sein Begehren, auf Waljagd zu gehen, hatte Loftsson schon zu Jahresbeginn beantragt“, erzählt Renker. Als Eigentümer der letzten Walfangfirma auf der Insel hält er seit Jahrzehnten beharrlich am Mythos rund um den Walfang fest, Island sei dadurch nach der Unabhängigkeit von Dänemark im Jahr 1944 reich geworden. Bis Anfang Juni war die notwendige Genehmigung durch das isländische Ministerium für Fischerei, Ernährung und Landwirtschaft in die Länge gezogen worden. „Dies hatte bei Loftsson für Verärgerung gesorgt“, erzählt Renker.

Bevor die Walfangfirma nun erneut in See stechen kann, im vergangenen Jahr hatte die isländische Regierung ihre Genehmigung kurz vor Beginn der Jagdsaison vorübergehend aufgehoben, müssen ihre Schiffe erst noch einsatzfähig gemacht und betankt werden. Und es müsste darüber hinaus auch noch eine Crew angeheuert werden.

Das Auslaufen der Harpunenschiffe und die Waljagd sind nur in einem engen Zeitfenster möglich. „Dafür muss die See möglichst ruhig sein“, sagt Tierschutzaktivist Tom Strerath. Er ist Vorstandsmitglied der deutschen Watson-Stiftung und zu einer Walrettungsaktion in Richtung Island aufgebrochen. Mit der späten Lizenzerteilung für Loftsson werde es zwar jeden Tag unwahrscheinlicher, dass die Firma Hvalur diese Saison überhaupt noch mit dem Walfang starten kann. Aber man wolle bereit sein.

Zwei Monate unbezahlter Urlaub

„Unsere freiwilligen Besatzungsmitglieder treffen jetzt ebenfalls die notwendigen Vorbereitungen, um selbst in See stechen zu können und die Loftsson-Schiffe zu stören. Aus unserer Sicht plant Loftsson weiter, in diesem Sommer Wale zu jagen“, erklärte ­Kapitän Locky MacLean vom Aktionsschiff „John Paul DeJoria“, das sich im nordenglischen Hafen Hull auf seine Manöver vorbereitet. Würde der Walfangunternehmer auf seinen genehmigten Walfangzug verzichten, wäre das „eine gute Nachricht“, sagt Tom Strerath. Auch dies wäre ein Erfolg, der letztlich auch auf die Aktivitäten des Teams der Walschützer zurückzuführen wäre.

Der 39-Jährige hat sich als Beschäftigter der Bremer Lagerhaus-Gesellschaft über seinen vierwöchigen Sommerurlaub hinaus zwei Monate unbezahlten Urlaub geben lassen. Unter dem Motto „Operation Ice Storm“ liegt er an Bord der „John Paul DeJoria“ zunächst noch auf der Lauer. Am vergangenen Mittwoch sollte das Aktionsschiff in den Hafen von Dublin verlegt werden. „Unser Schiff hat eine Besatzung von neun Frauen und 14 Männern aus 14 Nationen“, sagt Strerath.

Die Crew erhält allein Kost und Koje. Alle engagieren sich unentgeltlich, auch die An- und Abreise finanzieren sie aus der eigenen Tasche. „Der Betrieb des Aktionsschiffes kostet täglich zwischen 5000 und 15.000 Euro“, sagt Gerd Renker, der zu den Aktivisten auf der „John Paul DeJoria“ von Land aus Kontakt hält. Um die hohen Kosten stemmen zu können, sei die Watson-Foundation auf Spenden angewiesen, so Renker.

Die Funktion Deckhand

Bei dem Aktionsschiff handelt es sich um ein 72 Meter langes, ehemaliges schottisches Fischereischutzschiff. Auch Strerath arbeitet an Bord als Deckhand. Zu seinen Aufgaben zählt das Ausbessern von Anstrichen, das Kontrollieren der Einsatzfähigkeit der Schlauchboote und schließlich auch das Steuern dieser Boote.

Im Hafen der Walfänger bei Reykjavík hatten die Walschützer seit Wochen eine Landtruppe stationiert. Die Aktivisten kundschaften die Vorbereitungen auf den Loftsson-Schiffen aus und schätzen deren Fähigkeit und den Zeitpunkt ein, auslaufen zu können. „Wir beobachten die Schiffe genau. Es wird mindestens eine Woche dauern, bis seine Schiffe fahrtüchtig sind, und sobald dort die Aktivitäten an Bord der Schiffe beginnen, werden auch wir zur Abfahrt bereit sein“, sagt Tom Strerath.

„Letzten Monat habe ich an die isländischen Behörden geschrieben und sie über unsere Absicht informiert, Loftssons Walfangschiffe physisch zu blockieren, wenn man sie in See stechen lässt“, schreibt Paul Watson, Vorsitzender der gleichnamigen Stiftung. Würde Loftsson diese Saison den Walfang noch stoppen, geschähe das nicht aus freien Stücken, die Meeresschützer hätten sich seit Wochen und Monate weltweit dafür starkgemacht, dass das Harpunieren von Großwalen öffentlichkeitswirksam angeprangert wird.

„Unsere Leute vor Ort sind keine Hasardeure“, beschreibt Gerd Renker das Team des Aktionsschiffes. Es bestehe aber die Bereitschaft, sich sehr für das Leben von Walen einzusetzen. So würden sich Aktivisten mit drei an Bord befindlichen Schlauchbooten auch zwischen den Harpunierschiffen und den Walen querstellen. „Es könnte auch dazu kommen, solche Schiffe mit der „John Paul DeJoria“ zu rammen“, sagt Renker. Er betont, dass in den vielen Jahrzehnten der Aktionen von Paul Watson nie ein Mensch ernsthaft zu Schaden gekommen sei. Die Protestformen der Walschützer beschreibt er als eine Art „aggressiver Gewaltfreiheit“. Das sei schon mit mehr Risiko behaftet, als mit einem Transparent in der Hand an einer Demonstration teilzunehmen.

Sollten die Walfänger entscheiden, dass es in diesem Sommer doch keine Walfangaktionen gibt, werden die Captain-Paul-Watson-Foundation und die Besatzung des Aktionsschiffes in Richtung einer anderen sehr wichtigen und anspruchsvollen Anti-Walfang-Mission aufbrechen. In Dublin hat die Stiftung ein Chapter, mit den dortigen Kräften werde man den Austausch suchen, so Strerath. Von dort sei der Weg, gegebenenfalls auch bis zur Küste Islands, schnell zu überwinden.

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