93 Minuten und 46 Sekunden sind gespielt im Finale des Niedersachsenpokals. Atlas Delmenhorst führt mit 2:1 gegen den BSV Rehden. Der Ball rutscht zu Niklas Burlage durch. Der BSV-Stürmer holt bereits am Fünfmeterraum halbrechts stehend aus und zieht ab. Ob Damian Schobert aus der kurzen Distanz eine Abwehrchance gehabt hätte? Doch der Keeper muss nicht eingreifen. Atlas-Kapitän Ibrahim Temin eilt heran, fälscht den Schuss per Grätsche gerade noch über den Kasten ins Toraus ab und sichert so den Sieg im Niedersachsenpokal für die Blau-Gelben.
Nach der Aktion stand Temin sofort wieder auf, jubelte lautstark direkt vor dem Fanblock der Delmestädter. "Ich habe das im Nachhinein auf Video noch einmal gesehen, was das eigentlich für eine krasse Chance für Rehden war", berichtet Temin. Die Szene passte perfekt zum Auftritt der Blau-Gelben und insbesondere zu den Leistungen von Temin in den vergangenen Monaten und in der zweiten Halbzeit in Rehden am Sonnabend: Energie, Wille und Überzeugung machten den Unterschied. "Ich will das komplett verteidigen. Das ist meine Aufgabe in dem Moment", berichtet der Kapitän. Keine 15 Sekunden nach der Rettungstat war Temin bereits wieder fokussiert, dirigierte seine Nebenleute bei der anschließenden Ecke. Kurz darauf ertönte der Abpfiff.
Klare Worte vor Wiederanpfiff
Mitentscheidend für den Pokaltriumph war die Halbzeitpause. Atlas war schlecht in die Partie gekommen, verlor ungewöhnlich viele Zweikämpfe, das Tempo fehlte. Das hatte logischerweise auch Temin registriert und rief daher das Team direkt nach dem Pausenpfiff noch auf dem Feld zusammen. "Das ging von Marlo (Siech, Anmerkung der Redaktion) und mir aus. Wir haben gesagt, dass wir uns jetzt zusammenreißen müssen. Dass der Auftritt in der ersten Halbzeit nicht unser Anspruch ist. Dass wir in der zweiten Halbzeit ein anderes Gesicht zeigen müssen für die mitgereisten Fans und natürlich auch für uns. Dass wir den Traum vom DFB-Pokal erreichen wollen", schildert der Kapitän. Coach Key Riebau fand in der Kabine ähnliche Worte. Temin richtete sich 15 Minuten später auf dem Feld vor dem Wiederanpfiff erneut an alle Spieler. "Es hat gefruchtet. In der zweiten Halbzeit waren wir das klar bessere Team", sagt der Linksverteidiger.
Nach dem Pokalsieg ist es freilich Makulatur, warum die Leistung nicht von Beginn an passte. Und dennoch hat der Kapitän eine Erklärung dafür. "Jeder wusste, dass es ein entscheidendes Spiel ist, in dem es um sehr viel geht. Der eine geht damit besser um, der andere braucht etwas länger, um das auszublenden", schildert er. Es habe zu Beginn nicht geklappt, vorne Bälle festzumachen, eine gewisse Unsicherheit sei generell zu spüren gewesen. "Nach dem Seitenwechsel haben wir dann gemacht, was uns vorgegeben wurde. Es war dann im Grunde ein Spiel auf ein Tor, Rehden hat nicht mehr viel Sonne gesehen", bilanziert Temin.
Glaube bis zum Schluss
Psychologisch wichtig war der recht frühe Ausgleich von Marlo Siech in der 54. Minute. "Wir haben danach aber nicht aufgehört. Und am Ende wird man dann auch belohnt. Die Spieler, die reinkommen, wollen es dann mitentscheiden. Dieses Mal war es Basha mit der Vorlage. Das war überragend. Was gibt es Geileres?", meint Temin. Er habe es stets im Gefühl gehabt, dass der entscheidende Treffer noch fallen werde.
Für das gute Gefühl sorgte unteren anderem der mitgereiste Anhang. "Ich möchte mich auch einfach mal bei den Leuten bedanken, die aus Delmenhorst mitgekommen sind, die das Finale hier gelebt und dafür ihre Zeit investiert haben", sagt Temin. Die Fans hätten das Auswärtsspiel zu einem Heimspiel gemacht. "Das war unnormal laut von unserer Seite aus, von den Rehdenern hat man nichts gehört. Da weiß man, dass der ganze Verein zusammensteht. Die Fans sind loyal der Mannschaft gegenüber und feuern uns immer an. Das hat absolut für Gänsehaut gesorgt", blickt der Linksverteidiger zurück.
Fans sorgen für Gänsehaut
Gänsehaut hatte es bereits vor der Abfahrt aus Delmenhorst vor der Vereinsgaststätte "Jan Harpstedt" gegeben. Die Fans zündeten Bengalos, machten Stimmung. "Als wir zurückgekommen sind, gab es wieder ein Feuerwerk. Das war unglaublich. Was will man mehr als Fußballer?", meint Temin. Die Unterstützung machte die Extra-Meter auf dem Rasen etwas leichter. "Aber klar ist auch: Wer bei so einem Spiel nicht alles gibt, der hat irgendwas falsch gemacht", sagt der Kapitän.
Großen Anteil am Pokalsieg misst Temin auch der Spielvorbereitung bei. Um 11 Uhr am Sonnabend kam die Mannschaft bereits zusammen und verbrachte den Tag gemeinsam. "Wir hatten eine kleine Einheit auf dem Platz, die Aktivierung morgens ist wichtig. Der Verein hat da alles richtig gemacht", lobt Temin. Gäbe es keine solche Vorbereitung, läge der eine oder andere Spieler den Tag im Bett bis zur Abfahrt. Auch das gemeinsame Essen sei wichtig und stelle die richtige Vorbereitung in puncto Ernährung sicher.
Und so erfüllt sich Temins fußballerischer Traum: "Ich habe noch nie im DFB-Pokal gespielt und wollte das unbedingt erreichen." Nun hofft der Kapitän, wie alle anderen beim SV Atlas, auf einen großen Gegner. "Natürlich wäre es ein großes Highlight, wenn man das Spiel gegen Werder Bremen wiederholen könnte. Und natürlich wäre ich auch Bayern oder Dortmund nicht abgeneigt. Hamburg ist auch ein geiler Verein. Ich hoffe auf einen Traditionsverein, damit es ein ganz besonderes Erlebnis wird", blickt Temin voraus.