Dass es ein ereignisreicher Tag für Mustafa Azadzoy war, ist noch maßlos untertrieben. Und dass er am Donnerstagmorgen nicht einmal ahnte, was alles in den nächsten Stunden passieren sollte, macht das Ganze noch verrückter. Tammo Renken, Vorstandsmitglied des SV Atlas Delmenhorst, hatte Kapitän Azadzoy ein paar Tage zuvor Karten für die Delmenhorster Sportlerehrung in die Hand gedrückt. "Ich solle hingehen, mehr hat er nicht gesagt", erzählte Azadzoy. Dass er dann im Kleinen Haus auf die Bühne gerufen wurde und einen Sonderpreis für seine Leistungen in der afghanischen Fußball-Nationalmannschaft erhielt, traf den 31-Jährigen komplett unvorbereitet. Und das war nicht alles, wenige Stunden zuvor hatte er ein ebenso schwieriges wie wichtiges Telefonat geführt, aber der Reihe nach.
"Ich dachte immer, dass das, was beim afghanischen Team passiert, für die Menschen hier weit weg ist. Dass das jetzt auch in Delmenhorst gewürdigt wird, freut mich sehr. Afghanistan ist mein Heimatland, Delmenhorst ist meine Heimatstadt", erklärte Azadzoy nach seiner Auszeichnung. Ende des vergangenen Jahres hatte er im Interview mit dem DELMENHORSTER KURIER seinen Rücktritt aus dem Nationalteam erklärt. "Ich glaube, es ist einfach Zeit dafür. Für mich ist das alles sehr intensiv geworden – die langen Reisen und die Trainingseinheiten", sagte er.
Der Sonderpreis der Stadt Delmenhorst sollte einen besonderen Abschluss seiner herausragenden Nationalmannschaftskarriere bilden. Es fehlte allerdings nicht viel, und Azadzoy wäre vom Rücktritt zurückgetreten. Nationaltrainer Ashley Westwood wollte ihn vom Weitermachen überzeugen. "Da bin ich ins Grübeln gekommen. Das ist nicht irgendein Nationalteam, für das man spielt, die Prämien kassiert und wieder abreist. Wenn man für Afghanistan aufläuft, spielt man, um den Menschen im Land wieder Hoffnung zu geben", sagte Azadzoy.
Eine schwierige Entscheidung
Er überlegte also hin und her, bis ihn wenige Stunden vor der Sportlerehrung Nationalcoach Westwood anrief. "Da habe ich ihm gesagt, dass ich nicht mehr für Afghanistan spiele. Meine Entscheidung steht fest, auch wenn mir das extrem schwerfällt. Der Trainer konnte mich aber verstehen", berichtete Azadzoy. Beim Blick auf sein Smartphone bekam er wenig später die endgültige Gewissheit, dass eine ganz besondere Epoche seines Lebens zu Ende ist: Aus der Whatsapp-Gruppe des afghanischen Nationalteams zur WM-Qualifikation sei er gelöscht worden, erzählte Azadzoy.
Ein Held in Afghanistan dürfte er auch ohne weitere Länderspieleinsätze bleiben. In Kabul sind eine Kreuzung und eine Grundschule nach ihm benannt. Als die afghanische Mannschaft 2013 Südasienmeister wurde, feierten die Menschen in dem gebeutelten Land überall auf den Straßen. Azadzoy schoss beim 2:0-Finalsieg über Indien das wichtige 1:0. "Dass ich mehr als zehn Jahre für Afghanistan spielen durfte und meine Familie mir dabei zuschauen konnte, bedeutet mir sehr viel", betonte Azadzoy.