Steffen Rohwedder war nicht zu stoppen. Er rannte vom Platz, über die Laufbahn bis zum verwaisten Gästeblock und jubelte ausgelassen. Dass er sich eine Ecke des Stadions ausgesucht hatte, in der sich keine Zuschauer befanden, war dem Angreifer des Fußball-Regionalligisten SV Atlas Delmenhorst in dem Moment egal. Die Freude musste einfach raus, und sie war verständlich: Mit seinem Jokertor zum 3:2 (1:1)-Endstand bescherte Rohwedder dem SVA am Sonnabendnachmitttag einen ganz wichtigen Sieg gegen den direkten Konkurrenten VfV Borussia 06 Hildesheim und damit etwas Luft im Ringen um den Klassenerhalt. "Der Gegner ist auch im Abstiegskampf, da nehmen dir die drei Punkte gerne mit", betonte Matchwinner Rohwedder. In der Tabelle überholten die Delmenhorster den Kontrahenten.
Atlas-Trainer Key Riebau sagte nach nun neun Zählern aus den jüngsten vier Begegnungen: "Diese Liga ist so verdammt eng, dass jeder Erfolg zählt. Das war eine absolute Willensleistung von uns." Im Vergleich zur 0:2-Niederlage gegen die U23 von Hannover 96 hatte der Coach die Startelf auf vier Positionen verändert. Lamin Touray bekleidete anstelle seines Bruders Ousman die Rechtsaußenposition. Olivér Schindler spielte für den privat verhinderten Nico Matern im defensiven Mittelfeld. Philipp Eggert erhielt als Linksverteidiger den Vorzug vor Julian Stöhr. Besonders im Fokus stand aber Torwart Pascal Wiewrodt, der für den erkrankten Eike Bansen zwischen die Pfosten rückte und sein Regionalliga-Debüt gab.
Stammkeeper fällt kurzfristig aus
"Am Morgen vor dem Spiel hat sich Eike krank gemeldet und ich habe erfahren, dass ich spiele. Viel Zeit, mir Gedanken zu machen, hatte ich da nicht mehr", erzählte Wiewrodt. Er habe sich dann einfach nur auf seinen Einsatz gefreut. Am Ende stand der Keeper sinnbildlich für eine Atlas-Mannschaft, der zwar nicht alles gelungen war, die aber aufopferungsvoll gekämpft und sich dafür belohnt hatte. "Ich bin sehr zufrieden. Das war ein ganz wichtiger Sieg, das ist ein überragendes Gefühl", sagte Wiewrodt, der zuvor erst ein Pokalspiel gegen Lohne (4:2) für Atlas bestritten hatte.
Bei seinem Debüt in der vierthöchsten Spielklasse war Wiewrodt zunächst kaum gefordert. Gegen einen Gegner, der aus den zwölf vorherigen Partien nur einen Sieg geholt hatte, übernahm Atlas die Initiative und bot den 615 Zuschauern mitunter schönen Kombinationsfußball. Einen herrlichen Volleyschuss von Schindler nach einem Chip-Pass von Marco Stefandl parierte Gästetorwart Antonio Brandt gut (9.). Auch gegen Touray war er auf dem Posten (11.).
Die Führung für die Hildesheimer fiel überraschend und unter Delmenhorster Mithilfe: Touray verlor den Ball in der Nähe der Mittellinie, die Gäste kombinierten sich daraufhin schnell in den Strafraum, wo ihr Topstürmer Moritz Göttel nach einem Pass von Thomas Sonntag gewohnt eiskalt vollstreckte (21.). Eine Einzelaktion brachte die zunächst konsternierten Gastgeber zurück ins Spiel: Nach einer abgewehrten Ecke traf Stefandl, der die Kapitänsbinde trug, aus 18 Metern mit einem platzierten Schuss zum 1:1 (35.).
Schwächephase nach der Pause
Der Treffer verlieh den Blau-Gelben allerdings keinesfalls Rückenwind: Direkt nach der Pause waren sie zunächst komplett von der Rolle. "Für die 15 Minuten nach der Halbzeit habe ich keine Erklärung. Wir haben den Gegner selbst zurück ins Spiel geholt", sagte Riebau. Fehlpässe und Unkonzentriertheiten am Fließband leisteten sich die Delmenhorster. Zunächst rettete Wiewrodt noch gegen Göttel (48.), doch wenig später flog ein Abwurf des Torhüters ins Niemandsland. Dadurch kam Hildesheims Niklas Rauch an den Ball und Kevin Kalinowski traf in der Folge aus elf Metern zum 2:1 (49.). "Ich wollte meinen Stürmer anwerfen, der ist aber nach vorne gelaufen. Es war ein Missverständnis", sagte Wiewrodt.
In der 62. Minute reagierte Riebau auf die bis dahin katastrophale zweite Hälfte, nachdem Efkan Erdogan einen Göttel-Schuss gerade noch vor der Linie aufgehalten hatte (61.). Steffen Rohwedder, Florian Stütz und Julian Stöhr kamen für Dimitrios Ferfelis, Mustafa Azadzoy sowie Philipp Eggert in die Partie. "Durch die drei Wechsel haben wir wieder zu uns gefunden und waren danach griffiger", sagte der Atlas-Coach. Stütz ordnete das Mittelfeldzentrum und trat eine hervorragende Ecke, die Schindler verlängerte und Raoul Cissé am zweiten Pfosten zum 2:2 einköpfte (65.). Es war der erste Regionalliga-Treffer des Innenverteidigers. "Wir haben Geschenke verteilt", ärgerte sich Hildesheims Trainer Markus Unger.
In der 71. Minute wechselte Riebau dann Ousman Touray für dessen Bruder Lamin ein, und auch das sollte sich auszahlen. Nach einem Ballgewinn von Willem Hoffrogge landete Tourays Hereingabe bei Rohwedder, der zum 3:2 einschoss (81.). Fünf Saisontore hat der Stürmer bereits auf dem Konto, alle erzielte er nach Einwechslungen. "Rohwedder brennt immer", lobte Riebau seinen Edeljoker. "Es ist eigentlich schade, dass er bei seiner Quote nicht öfter von Anfang an spielt, aber er zerreißt sich auf dem Platz für Atlas."