Bei der HSG Delmenhorst herrscht Chaos: Chefcoach Thies Libchen, der erst im Sommer das Amt des Oberligisten übernommen hatte, ist gemeinsam mit Co-Trainer und HSG-Urgestein Stefan „Neitzi“ Neitzel zurückgetreten. Auch der Vorsitzende der Handballspielgemeinschaft, Jens Hafemann, warf hin. Die Delmenhorster stehen damit derzeit ohne Führung da. Wer das Sagen hat, ist unklar. Hinzu kommt die sportlich schlechte Situation der Herren, die auf einem Abstiegsrang stehen. Wie genau es in der kommenden Saison generell im Handballbereich in Delmenhorst weitergeht, ist offen. Vermutlich gibt es dann erstmals seit knapp drei Jahrzehnten wieder zwei separate Vereine, die ihr Glück versuchen. Der Verein HSG hat nämlich den Kooperationsvertrag mit dem VSK Bungerhof zum 30. Juni gekündigt – ob die Vereine einen neuen schließen, der ab 1. Juli gilt, ist unklar. Und damit ist auch unklar, welche Mannschaften in Delmenhorst künftig in welcher Liga unter welchem Namen antreten werden.

Jens Hafemann ist nicht mehr Vorsitzender der HSG Delmenhorst. Auch er trat zurück.
Vor rund einem Jahr befand sich die Spielgemeinschaft in einer ähnlich brenzligen Situation, da die ehemaligen Stammvereine TV Deichhorst und VSK Bungerhof nicht mehr auf einen gemeinsamen Nenner kamen und der TVD seine Handballabteilung letztlich ausgliederte. Zwischendrin war unklar, ob der Spielbetrieb überhaupt fortgeführt werden kann. Der Plan, nur noch einen Verein mit Namen HSG Delmenhorst in der Stadt zu haben, funktionierte jedoch nicht. Zwar wurde der Verein HSG Delmenhorst gegründet, doch gab es weiter eine Spielgemeinschaft an der Delme. Stammvereine sind der Verein HSG und der VSK Bungerhof.
Der Frust ist groß
Ab Sommer gehen die Vereine getrennte Wege, teilt Hafemann mit. „Es lief von Beginn an nicht gut. Kooperation braucht Vertrauen und Verständnis und Begegnung auf Augenhöhe. Es gab mit Bungerhof kein Übereinkommen“, fügt er hinzu. Er habe es nicht geschafft, die Parteien zusammenzubringen und er habe es auch nicht geschafft, die Gräben zu überbrücken, die es seit Jahren gebe. „Letztlich ist das meine Verantwortung als 1. Vorsitzender der Spielgemeinschaft und ich muss dann auch die Konsequenz ziehen. Da braucht man nicht um den heißen Brei herumzureden, auch wenn es schwierige Umstände waren. Die beiden Verein konnten nicht zusammenarbeiten, ich bin da dann nicht schuldlos. Wenn etwas so in die Hose geht, dann kann ich nicht Vorsitzender bleiben“, erklärt Hafemann. Zudem werde er aus persönlichen Gründen auch beim Verein HSG künftig nicht mehr als Vorsitzender agieren, jedoch im Hintergrund weiterhin mitwirken.
Hafemann kritisiert das Verhalten der Bungerhofer und schildert, wie er zu dem Entschluss kam, zurückzutreten. Die Vorstandsaufgabe der Spielgemeinschaft sei es gewesen, ein Konzept mit Budgetplanung etc. zu entwickeln. Der Termin für die Vorstellung sei von den Bungerhofern letztlich abgesagt worden. „Per E-Mail an die offizielle Adresse der HSG. Obwohl man sonst ständig über andere Wege kommuniziert. Das war schon verwunderlich, das kann man anders machen“, nennt er ein Beispiel für die schwierige Zusammenarbeit. Dann habe sich der VSK beschwert, dass die HSG Mitte Dezember bereits mit Trainern für die Libchen-Nachfolge gesprochen hatte. „Thies hatte ja signalisiert, dass er für die kommende Saison nicht zur Verfügung steht“, sagt Hafemann. Zudem seien Gerüchte aufgekommen, dass die erste Herren seitens der HSG nicht mehr finanziert werden sollte. „Das entbehrte jeglicher Grundlage. Und dann geht Jürgen Janßen zu den Spielern hin und sichert zu, dass Bungerhof die Oberligaherren unterstützt und investieren will. Ich war dann natürlich verbrannt und für mich war klar, dass ich es nicht geschafft habe, die beiden Vereine zu einen“, erklärt Hafemann. Es benötige einen gewissen Respekt und der sei nicht vorhanden gewesen.
Getrennte Wege
Etwas anders sieht Rolf Heitmann, Vorsitzender des VSK, die Situation. „Wir haben deutlich gemacht, dass wir als Grundlage unsere vertraglich zugesicherte finanzielle Verpflichtung sehen. Wir sind auch, ohne Zahlen zu nennen, bereit, darüber hinauszugehen. Aber nur im Zusammenhang mit der Unterstützung der Herrenmannschaft. Das ist das Aushängeschild der HSG“, sagt er. Natürlich unterstütze der VSK auch die Jugend. „Wir wären bescheuert, das nicht zu wollen“, meint er. Aktuell habe die Spielgemeinschaft aber kaum Jugendteams und um Jugendliche zu bekommen, brauche es eine starke Herrenmannschaft. „Da haben wir offenbar sehr verschiedene Ansichten“, teilt Heitmann mit. In diesem Punkt sind er und Hafemann sich einig. Der ehemalige HSG-Vorsitzende wollte Geld eher in die Jugend stecken.
Bis zum 30. Juni besteht die Spielgemeinschaft noch, dann gehen die Vereine ihrer Wege. „Wir haben dem VSK angeboten, ab er sofort die Herren bernehmen kann. Ab der kommenden Saison kann die Mannschaft dann als VSK Bungerhof in der Oberliga spielen“, sagt er. Das Angebot sei ja schön und gut, entgegnet Heitmann. „Ob das spielrechtlich möglich ist, muss man erstmal überprüfen“, sagt er. Einen Trainer braucht es zudem, doch wer soll diesen organisieren? Hafemann schiebt den Ball nach Bungerhof, da der VSK für sich die Leistungsbereich-Kompetenz beanspruche. „Das ist nicht die Aufgabe von Bungerhof“, sagt hingegen Heitmann. Auch wenn Hafemann zurückgetreten sei, gebe es einen Vorstand der Spielgemeinschaft, deren Aufgabe das sei. „Die Stellvertreter sind ja schließlich auch Verpflichtungen eingegangen“, sagt Heitmann.
Wichtig ist, betont Hafemann, dass es nun keine Schlammschlacht gebe. Letzteres will auch Heitmann vermeiden. „Wir müssen auf jeden Fall miteinander reden“, sagt er. Der Ausgang ist offen.
HSG-Coach tritt zurück
HSG-Coach Thies Libchen tat sich schwer damit, die Reißleine zu ziehen: „Ich weiß auch, dass es blöd aussieht, wenn der Trainer mitten in der Saison hinschmeißt – und das bei seiner ersten Station. Aber ich, und auch Neitzi sehen das als letzte Chance, dass bei der HSG was passiert“, erklärt er. In den vergangenen Monaten seien diverse Zusagen seitens des Vorstandes nicht eingehalten worden und er habe vieles in Eigenregie betrieben. Von der Suche nach Spielern über Gespräche mit Sponsoren hin zur Zahlung verschiedener Posten. „Ich war im Grunde auch der Sportliche Leiter und ich hätte zur kommenden Saison und darüber hinaus auch eine schlagkräftige Truppe mit jungen Leuten zusammengestellt. Die Zusagen waren da. Doch der Vorstand hat abgelehnt“, sagt Libchen.
Er habe den Verantwortlichen schon länger mitgeteilt, dass er in der kommenden Spielzeit nicht zur Verfügung stehe. „Man muss die Weichen jetzt stellen und die Leute holen und nicht im Februar oder März damit anfangen“, erklärt er. Ähnlich sei es bereits vor der Saison bei Torwart Mika Brokmeier gewesen, der letztlich in Cloppenburg anheuerte. „Er wollte zu uns, aber der Vorstand hat ihn wochenlang hingehalten“, erinnert sich Libchen. Jens Hafemann erklärt, dass das in der Sache stimme, allerdings seien ihm und dem Spielgemeinschaftsvorstand die Hände gebunden gewesen. "Letzte Saison zu dem Zeitpunkt und auch jetzt bis in den Dezember war jeweils nicht klar, wie der Spielbetrieb ab dem jeweils kommenden Jahr weitergeht. Wir konnten da keine Verträge unterschreiben", erklärt er.
Der letzte Ausweg
Libchen teilte der Mannschaft nun mit, dass er als Trainer nicht mehr weitermacht. Und zwar nicht erst am Saisonende, sondern ab sofort. „Ich hatte dem Vorstand sechs Wochen vorher schon gesagt, dass ich der Mannschaft am Montag nach dem Oldenburg-Spiel reinen Wein einschenke. Bis dahin wollte ich die Sachen im Umfeld vom Team fernhalten. Vom Vorstand kam aber niemand zu dem Termin“, berichtet Libchen. Zusammen mit Neitzel habe er dann beschlossen, komplett zurückzutreten, um den Verein aufzurütteln und um zu retten, was zu retten ist. „Ich finde es total schade, dass Thies aufhört, aber konsequent ist es. Er und Neitzi mussten sich mit Umständen zufriedengeben, die alles andere als gut waren. Der Kader war mit heißer Nadel zusammengezimmert und das ist noch nett ausgedrückt. Den beiden gebührt Respekt, sie waren nicht zu beneiden“, ordnet Hafemann ein.
Libchen zeigt sich enttäuscht. „Mir wurde unter anderem zugesagt, dass ein Fitnesstrainer finanziert wird. Der wurde aber nicht bezahlt, also habe ich das von meinem Trainergehalt abgezweigt. Ich habe auch die Hallenmiete für Trainings in Hoykenkamp übernommen, als die Halle in Delmenhorst gesperrt war“, teilt Libchen mit. Insgesamt habe er das Gefühl gehabt, dass die Verantwortlichen alles einfach nur laufen ließen. Unterstützung habe er kaum bekommen. Als „extrem frustrierend“ bezeichnet er die Situation.
Spieler überrascht
Teambetreuer Marcian Markowski bedauert, dass Libchen zurückgetreten ist. „Es ist super schade. Ich habe sehr gerne mit Thies zusammengearbeitet. Das ist meine persönliche Sicht“, sagt er. Aus sportlicher/technischer Sicht könne er die Entscheidung nachvollziehen. „Es war von Tag eins an nicht einfach. Immer war irgendwas, das seine Arbeit behindert hat. Verletzungen und Krankheiten haben die Mannschaft geplagt, hinzu kam alles, was um den Verein herum passiert ist. Es war vieles in der Schwebe“, sagt der Teambetreuer. Zum Vorstand und dessen Arbeit wolle und könne er nicht viel sagen. „Ich habe mich da herausgehalten. Das sind die Jobs anderer Leute. Es bleibt jetzt abzuwarten, wie es weitergeht. Für den Bereich Leistungshandball sind es sicherlich entscheidende Wochen“, meint er.

HSG-Urgestein und Co-Trainer Stefan Neitzel (links) zieht sich ebenfalls zurück. Betreuer Marcian Markowski (mitte) bedauert den Rücktritt Libchens.
Für die Spieler kam Libchens Abschied überraschend. „Bis zu dem Montag wussten wir nichts. In der Woche vor Weihnachten in einer sportlich eh schwierigen Lage hat es das Ganze sportlich jetzt noch schwieriger gemacht. Aber die Stimmung im Team war super und sie ist auch jetzt positiv“, sagt HSG-Routinier Frederic Oetken.
Die sportliche Situation
An der Delme sieht es aus sportlicher Sicht nicht nur beim Herren-Oberliga-Team schlecht aus, das auf einem Abstiegsplatz steht. Die Damenmannschaft in der Landesliga ist mit null Punkten letzter und spielt aller Voraussicht nach in der kommenden Saison in der Bremenliga.
In der Jugend sieht es nicht besser aus: Die HSG stellt von der C- bis zur A-Jugend bei den Jungen kein Team. Ob die aktuellen E- oder D-Jugendlichen Stück für Stück hochrücken und in einigen Jahren bei den Herren spielen, kann niemand seriös vorhersehen. Bei den Mädchen ist die A-Jugend Letzter in der Oberliga, sonst gibt es nur noch einige C- und D-Mädchen.
Wohin führt der Weg der HSG?
Generell, das sagt Oberliga-Spielmacher Frederic Oetken, geht es jetzt darum, herauszufinden, wo der Verein hinwill: Will er Leistungshandball mit einer guten Oberligatruppe oder eher breitensportmäßig Teams zusammenstellen, die tiefer spielen? Weg eins wäre, anziehungsstarke Zugpferde bei den Damen und Herren zu etablieren und so Jugendliche für Handball zu begeistern und im Idealfall fortwährend Nachschub aus den Jugenden zu generieren. Für diesen Plan stand jahrelang Jürgen Janßen, der zuletzt mit Jörg Rademacher als Coach eine erfolgreiche Ära bei den Herren prägte. Jedoch erodierten hier die Jugendteams. Nur selten schaffte ein Talent den Sprung in die erste Herren. Der VSK Bungerhof steht für den Zugpferde-Weg.
Das Team Zukunft, das den Umbruch im Sommer einleitete, wollte mehr in die Richtung Breitensport gehen. Dafür wurde in Kauf genommen, dass die erste Mannschaft schwächer besetzt ist. Dafür sollte die Chance größer werden, dass Talente aus den eigenen Reihen und der zweiten Mannschaft aufrücken und so mehr Jugendliche zum Handball kommen. „Der Verein HSG stellt ab Sommer Mannschaften in den unteren Ligen. Da soll es um hohe Identifikation und Respekt auf Augenhöhe gehen. Wir wollen einen Verein, der Spaß macht und das war bei der Spielgemeinschaft in den letzten Jahren nicht mehr der Fall“, meint Hafemann.
Leistung versus Breitensport?
Libchen war nun damit konfrontiert, dass das Gefälle innerhalb der Mannschaft sehr groß ist. Gesund und fit gehören Tim Coors, Frederic Oetken oder Jörn Janßen zu den besten Spielern der Liga. Im Kader, und aufgrund von großem Verletzungspech auch auf dem Parkett, standen immer Spieler, die kein Oberliganiveau haben, beziehungsweise es nicht haben können. Jungs, die zuletzt in der A-Jugend spielten und danach ein Jahr pausierten oder Spieler, die drei Ligen nach oben wechselten.

Bei der HSG Delmenhorst läuft es sportlich nicht rund: Sie steht in der Oberliga auf einem Abstiegsrang.
Generell ist, sagt Teambetreuer Marcian Markowski, die Stimmung innerhalb der Herrenteams und auch bei den Damen gut. „Bei den zweiten Herren ist der Teamspirit super. Ich habe mich auch mit den Spielern in der ersten Mannschaft unterhalten. Das sind Sportler durch und durch. Ich sehe da nicht, dass die Mannschaft auseinanderbricht“, sagt Markowski, der selbst in dieser Spielzeit bereits in der Oberliga ausgeholfen hat und jahrelang mit Coors, Oetken und Co. zusammenspielte. Es gehe nun darum, eine vernünftige Rückrunde zu spielen. Was dann komme, bleibe abzuwarten. „Die Spieler wollen das zu Ende bringen, so will ja niemand aufhören. Klar ist aber auch, dass einige Spieler bereits angekündigt hatten, im Sommer zu schauen, wie und wenn ja in welcher Form sie weiter Handball spielen wollen“, berichtet der Teambetreuer.
Sportliche Misere erklärbar
Falls routinierte Spieler wie Coors, Jansen oder Oetken künftig kürzertreten würden, wäre Oberligahandball schwer aufrechtzuerhalten an der Delme. Erstmal geht es jedoch um diese Saison. „Wir müssen jetzt zusehen, einen neuen Trainer zu bekommen. Dann heißt es: Arschbacken zusammenkneifen und weitermachen“, meint Markowski. Das Team müsse auf jeden Fall an einem Strang ziehen, das Gemeinschaftliche sei entscheidend. „Nach so einer Phase muss man sich aufraffen und neue Motivation finden. Ich glaube nicht, dass sich die Jungs hängen lassen und sagen: ‚Nö, ich bin dann jetzt auch raus‘. Da wird es keinen großen Knacks geben“, blickt Markowski voraus.
Das sieht auch Oetken so: „Die Stimmung ist weiterhin positiv. Ich glaube nicht, dass da jetzt Spieler zurücktreten. Jeder will die Spielzeit vernünftig zu Ende bringen. Das Training soll eigentlich in der ersten Januarwoche wieder losgehen.“ Ob dann ein neuer Trainer an Bord ist, ist noch unklar. „Es sollte schon jemand sein, der die Oberliga kennt und weiß, wie Oberligatraining abläuft und uns auf den nächsten Gegner vorbereitet“, sagt Oetken. Von dem neuen Coach hänge viel ab. „Er muss die Mannschaft jetzt abholen und es muss menschlich passen. Es bringt nichts, alles auf links zu drehen, dafür fehlt die Zeit. Wir müssen punkten, neue Experimente sind jetzt nicht sinnvoll", meint er.
Die aktuelle sportliche Misere sei erklärbar: „Man muss nur mal schauen, wer den Verein verlassen hat“, sagt Oetken. Acht Mann zählt er auf, die bei den meisten Vereinen der Liga in der Stammformation stünden. Unter anderem gingen Abwehrchef Jannik Köhler, der wurfgewaltige Thies Hermann oder der laut Oetken beste Linksaußen der Liga, Mario Reiser. Die Neuzugänge waren großenteils unerfahrene Spieler aus niedrigeren Klassen. „Dazu hatten wir viele Verletzte wie Tim Coors, Dominik Ludwig oder auch mich. Wo will man es dann noch hernehmen?“, schildert er. Natürlich hätten auch die aktuellen Akteure eine gewisse Mitschuld. „Aber man kann der Mannschaft keinen großen Vorwurf machen unter den Umständen. Die Oberliga ist zu stark, um das zu kompensieren. Für Thies und das Trainerteam war es sehr schwierig“, meint Oetken.