Herr Rademacher, Sie waren bis zum 31. Mai fünf Jahre lang Trainer des Handball-Oberligisten HSG Delmenhorst. Was machen Sie gerade mit Ihrer freien Zeit?
Jörg Rademacher: Zuerst einmal genieße ich sie mit meiner Freundin, die ja sonst auf vieles verzichten musste. Normalerweise wäre ich um diese Zeit mit Kaderplanung, Trainingsplänen und der Saisonvorbereitung beschäftigt.
Vermissen Sie die Halle jetzt schon?
Nein, noch nicht. Ab Oktober kommt bestimmt das Kribbeln. Ich freue mich darauf, auch mal das ein oder andere Bundesligaspiel zu sehen. Ich werde sicherlich auch die ein oder andere Partie in der Oberliga anschauen.
Wie ordnen Sie die Zeit bei der HSG ein?
Insgesamt waren wir sportlich erfolgreich. Schade, dass es nicht weitergeht. Aber der Verein hat einen anderen Weg eingeschlagen und will sich jetzt konsolidieren und künftig – wie viele andere Vereine in der Corona-Zeit auch – auf Spieler aus der eigenen Jugend setzen. Ich hoffe, dass das funktioniert und drücke dem Verein die Daumen.
Als Sie vor mehr als fünf Jahren in Delmenhorst unterschrieben haben, befand sich das Team im Oberliga-Abstiegskampf. Dennoch gab es das Ziel, im Jahr 2020 in die dritte Liga aufzusteigen.
Und die HSG ist erstmal in die Verbandsliga abgestiegen. Dort habe ich sie dann übernommen. Das war so natürlich nicht angedacht, aber ich stehe zu meinem Wort und habe den Trainerjob übernommen. Im Nachhinein war es gar nicht schlecht, dass wir in der Verbandsliga waren. Es hat erstmal gedauert, bis Disziplin in der Mannschaft war und ich sie konditionell auf ein vernünftiges Level bekommen habe.
Der Wiederaufstieg gelang sehr souverän. Wie ging es in der Oberliga weiter?
Wir haben eine gute erste Saison gespielt und sind Fünfter geworden, im Jahr drauf Dritter. Dann kam die Corona-Zeit und in der zurückliegenden Saison haben wir erneut um den Titel gespielt. Ich bin mir sicher, dass wir ohne Corona beziehungsweise ohne das große Verletzungspech in der letzten Saison sportlich den Aufstieg geschafft hätten.
Es fing vor dieser Saison mit Jörn Janßens Kreuzbandriss in der Vorbereitung an.
Ja. Und in den ersten Spielen liefen wir schon auf der letzten Rille durch viele Verletzungen. Wir haben in der Hinrunde zu viele unnötige Punkte liegen lassen, die uns am Ende dann fehlten. Eigentlich war die Saison im Januar schon vorbei. Ich hätte nie gedacht, dass wir da noch oben angreifen können. Dann haben wir 13 Spiele in Folge gewonnen und haben um den Titel gespielt.
Und dann gab es, wie schon vor der Siegesserie, eine Niederlage gegen späteren Meister Nienburg.
Ja leider. Schade, dass wir da nicht unser volles Leistungsvermögen abrufen konnten.
Wie haben Sie die Jahre in Delmenhorst erlebt?
Von vornherein war mit Jürgen (Jürgen Janßen, damals Vorsitzender der HSG Delmenhorst, Anmerkung der Redaktion) abgemacht, dass es in Delmenhorst künftig nach dem Leistungsprinzip gehen soll. Wir haben vieles geändert in Bezug auf Trainingsintensität und Spielvorbereitung. Auch der Kader wurde an das Ziel angepasst, um den Titel zu spielen.
Wie lief es mit dem Umfeld und dem Drumherum?
Die Stadionhalle ist eine Katastrophe, da gibt es in der Region nicht viel schlechtere. Die sanitären Anlagen waren verkeimt, es gab nicht immer warmes Wasser in den Duschen. Im Winter zog es in der Halle und war kalt. Die Tribünen konnte man nicht mehr ausziehen, die waren verklemmt. Die Trennwände konnte man nicht mehr runterfahren. Dazu gab es immer wieder Ärger mit der Stadt wegen kleinen Backe-Resten auf dem Boden. Das sollte angeblich Verletzungsgefahr bedeuten für Schüler und andere Sportler. Die ganze Halle ist marode, aber das größte Problem soll die Backe sein?
Es kamen in Ihrer Amtszeit wenig Spieler aus der zweiten Mannschaft oder der Jugend hoch.
Ich habe immer gesagt, dass es auch in der zweiten Mannschaft leistungsorientierten Handball geben muss und dass die Mannschaft aufsteigen sollte. Das ist aber nicht passiert. In der A-Jugend hatten wir mit Dag (Dag Rieken, Anmerkung der Redaktion) einen sehr guten Trainer. Aber dann kam Corona und die Jugendmannschaft ist auseinandergefallen und musste abgemeldet werden. Corona hat ohnehin viel kaputtgemacht beim Handball. Viele Leute, ob Spieler oder Trainer, haben in den eineinhalb Jahren ohne Spiele andere Hobbys gefunden und machen jetzt andere Sachen. Und es stimmt auch nicht, dass wir keine Jugendspieler hochgezogen haben. Wir haben in der letzten Saison mit Kai Ebeling sowie Sam und Sohail Ramin drei Spieler aus der Jugend in die erste Herren integriert.
Wie sehen Sie die HSG für die kommende Saison aufgestellt?
Die ersten Sieben ist gut, aber da darf nicht viel passieren. Jörn Janßen war ein Jahr lang verletzt. Da muss man schauen, wie er zurückkommt. Da geht es auch nicht nur um das Körperliche, sondern ob der Kopf nach dem Kreuzbandriss mitspielt. Ich wünsche der Mannschaft persönlich alles Gute und viel Glück für die neue Saison.
Wie sehen Sie das Niveau in der Oberliga?
Die kommende Saison wird sehr spannend, es gibt keine Übermannschaft. Ich sehe aber auch keine klaren Absteiger. Insgesamt ist das Niveau in den letzten Jahren sehr viel höher geworden. Wirtschaftlich steckt jetzt mehr dahinter. Und da wären wir wieder beim Punkt: Für sportlichen Erfolg braucht es auch Geld – und leistungsbereite Spieler. Aber die kosten eben auch.
Sie haben also aktuell keine neue Aufgabe im Handball?
Es gab das ein oder andere Angebot, aber bisher habe ich keines angenommen. Ich war jetzt 20 Jahre lang Trainer und werde nur einen Job nehmen, der mir auch wirklich gefällt.
Welche Bedingungen stellen Sie an einen Verein?
Es muss leistungsorientiert gearbeitet werden. Ich bin ehrlich: Ich habe keine Lust, in der Oberliga um Platz neun zu spielen. Natürlich reizt mich die 3. Liga sehr.
Was genau meinen Sie mit leistungsorientiert?
Zunächst mal müssen die Spieler das wollen. Sie müssen sich dem Erfolg verschreiben. Das bedeutet Disziplin, Wille und Bereitschaft. In der Oberliga muss man mindestens dreimal pro Woche trainieren. Man sollte wissen, wie ein Fitnessstudio von innen aussieht. Natürlich muss man dafür viel Freizeit opfern und das wollen viele Leute nicht. Ich lebe das als Trainer vor.
Was braucht es noch für Erfolg?
Das Umfeld muss stimmen. Die Verantwortlichen müssen hinter dem Konzept stehen. Und das Wirtschaftliche muss stimmen. Es braucht Sponsoren. Wenn man das Ziel hat, in die 3. Liga aufzusteigen oder in der 3. Liga vernünftig mitzuspielen, braucht man dafür Geld.
Hatten Sie so ein Angebot?
Ja hatte ich. Von welchem Verein genau, ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.
In Cloppenburg übernimmt mit Janik Köhler nun ein ehemaliger Spieler von Ihnen das Traineramt, bei der HSG Delmenhorst ist es mit Thies Libchen ein weiterer, der auch kurzzeitig Co-Trainer bei Ihnen war. Was erwartet die Trainer-Neulinge?
Mit dem Traineramt übernimmt man viel Verantwortung. Das ist was ganz anderes, als Spieler oder Co-Trainer zu sein. Janik hat den Vorteil, dass er höherklassig in der 2. Bundesliga gespielt hat. Aber jeder Trainer fängt mal an und muss sich seine Sporen verdienen, das musste ich auch. Die Oberliga ist anspruchsvoll. In Cloppenburg ist das Ziel sicher nicht, die Klasse zu halten. Die kommen aus der 3. Liga und wollen sicherlich mindestens in die Top drei. Wie Thies und Janik sich als Trainer schlagen werden, kann ich nicht einschätzen. Das wird man sehen.
Könnten Sie sich denn vorstellen, künftig eine Frauen- oder Jugendmannschaft zu trainieren oder ein anderes Handball-Amt als Trainer anzunehmen?
Ich würde schon lieber im Herrenbereich bleiben. Im Oberligabereich kenne ich viele Spieler. Und wie gesagt, reizt mich die 3. Liga auch noch immer.
Sie haben die Oberliga mehrfach angesprochen. Was muss ein Spieler für den Topbereich mitbringen?
Vor allem Wille und Disziplin. Den Körper kann man sich antrainieren. Die Taktik kann der Spieler erlernen. Man sieht kaum noch Spieler mit Doppelspielrecht. Früher mussten junge Spieler samstags im Herrenbereich und sonntags in der Jugend oder zweiten Mannschaft spielen.
Das Interview führte MIchael Kerzel