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Sportgericht TV Jahn kritisiert Sportgericht-Urteilsbegründung im Youm-Fall

Ist der Satz "Dir Flüchtling hätte man Gelb geben müssen" gegen Alioune Badara Youm beleidigend oder rassistisch? Laut Sportgerichtsurteil ist er das nicht. Das widerum kritisiert der TV Jahn scharf.
25.05.2022, 12:00 Uhr
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TV Jahn kritisiert Sportgericht-Urteilsbegründung im Youm-Fall
Von Michael Kerzel

Die Fußballer des TV Jahn Delmenhorst waren im April gegen den VfL Stenum II geschlossen vom Platz gegangen, nachdem aus dem Zuschauerbereich der Satz "Dir Flüchtling hätte man Gelb geben sollen" an Alioune Badara Youm gerichtet gefallen sein soll. Das Spiel wurde abgebrochen, der Fall landete beim Sportgericht. Dieses wertete das Spiel mit 5:0 für Stenum und verdonnerte den TV Jahn zudem zu einer Geldstrafe in Höhe von 200 Euro, der Verein muss zudem die Verfahrenskosten tragen. Mit dem Urteil selbst können die Delmenhorster leben – es steht es Aussage gegen Aussage, ob der Satz überhaupt gefallen ist und das Schiedsrichtergespann hatte nichts gehört – doch mit der Urteilsbegründung nicht. In dieser teilt das Gericht mit, dass es nicht von Bedeutung ist, ob der Satz gefallen ist. Denn selbst wenn, besitze dieser "weder eine beleidigende noch eine rassistische Komponente". Das sehen die Jahn-Verantwortlichen anders.

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Es gehe hier um Alltagsdiskriminierung, sagte Fußball-Abteilungsleiter Marco Castiglione. Der Verein könne zwar den Wunsch des Sportgerichts nachvollziehen, dass nicht laufend Partien abgebrochen werden, doch stelle das Urteil für den Verein und den betroffenen Spieler eine "gewisse Tragödie" dar. Das Gericht legitimiere mit diesem Urteil, dass Spieler aufgrund ihrer schwarzen Hautfarbe "gepiesackt" werden. Youm saß, das bestätigte auch Jahn-Coach Arend Arends, nach dem Spiel weinend in der Kabine. "Coach, warum werde ich wegen meiner Hautfarbe beleidigt? Der Satz von ihm hat sich bei mir eingeprägt", berichtete Arends. Und nun solle er seinem Schützling erklären, dass er gar nicht beleidigt worden sei. "Das kann ich nicht, weil ich das Urteil nicht verstehe. Es ist für mich unfassbar und steht gegen alle Werte des Sports", meinte er. Damit müsse laut Gericht nun jeder Schwarze akzeptieren, laufend als Flüchtling bezeichnet zu werden.

Es geht um respektvollen Umgang

Castiglione ärgere, dass das Urteil den Kontext nicht berücksichtige und den Rassismus-Vorwurf sogar umkehre. Im Urteil heißt es, dass Äußerungen zu einer ethnischen Herkunft, einer religiösen Weltanschauung oder einer sexuellen Orientierung keine Beleidigungen sind, sofern nicht ein beleidigender Zusatz hinzugefügt wird. Das gelte für "Flüchtling" ebenso wie beispielsweise für Türke, Engländer, Jude, Christ oder Moslem. "Würde man ein solches Wort mit einem negativen Sinngehalt belasten, so läge hierin bereits ein beleidigender oder rassistischer Gedanke", heißt es im Urteil. Das bedeute, sagte Castiglione, dass angeblich derjenige rassistisches Gedankengut habe, der "Dir Flüchtling hätte man Gelb geben müssen", als rassistisch empfinde. "So einen Spruch bekommt nur ein Schwarzer und kein Weißer ab. Das ist ja kein Zufall. Der Subtext ist klar. Und da müssen wir uns schützend vor den Spieler und auch den Sport stellen", erklärte der Abteilungsleiter.

Wenn man dem Gerichtsurteil folge, müsste es so was wie ein Wörterbuch der Beleidigung und des Rassismus geben. Und was da nicht drinstehe, sei auch nicht diskriminierend. Doch der Kontext sei entscheidend. Castiglione nannte einige Beispiele: "Wenn ich eine Gelbe Karte bekomme und dann dem Schiedsrichter applaudiere, bekomme ich berechtigterweise noch eine. Der Applaus ist ja nicht als Lob gedacht." Auch der Ausspruch "Bist du behindert?" sei theoretisch nur eine Frage, doch die Intention sei eben klar. Wenn es legitim sei, Schwarze als Flüchtlinge zu bezeichnen, dann sei es auch legitim, wenn ein Verantwortlicher von außen "Jungs, lasst den Schiri in Ruhe. Der ist bestimmt Sonderschüler" rufe. Auch hier sei die Intention jedoch klar und diese sei nicht, dass der Schiedsrichter ernst gemeinte Hilfe brauche. "Das Urteil stärkt die pöbelnden Personen. Das Gegenteil sollte der Fall sein. Das Urteil hat eine Wirkung, darauf können sich jetzt andere beziehen. Es ist wenig menschlich und einseitig", meinte Castiglione.

Diskussion in der Öffentlichkeit

Die hässlichen Helfer von Alltagsdiskriminierung, fügte der Jahn-Verantwortliche an, seien Ignoranz, Einfältigkeit und Desinteresse. Dafür spreche auch folgender Teil des Urteils: "Bezeichnenderweise handelt es sich bei dem Spieler, zu dessen Lasten die Äußerung gefallen sein soll, um einen Spieler mit senegalesischer Nationalität. Möglicherweise trifft es sogar zu, dass es sich bei diesem Spieler um einen (zumindest ehemaligen) Flüchtling handelt." Doch der Senegal ist ein seit Jahrzehnten stabiles, demokratisches Land, aus dem kaum jemand flüchtet. "Vielleicht wird hier sogar Migrant mit Flüchtling verwechselt", sagte Castiglione und verwies in diesem Zusammenhang auf Einfältigkeit und Desinteresse. Im Grunde spiele es jedoch auch keine Rolle, ob Youm Flüchtling sei oder nicht und aus welchem Land er stamme.

Grundlegend gehe es um den Umgang und das Verhalten auf dem Feld und auch in der Gesellschaft. "Der NFV schreibt in seiner Satzung, dass er jeder Form von diskriminierender oder menschenverachtender Einstellung und Verhaltensweise entschieden entgegentritt. Das ist aktiv und präventiv. Und es vermittelt eine Wertvorstellung. Es geht um Anerkennung und Respekt. Und die Botschaft des Gerichtsurteils ist, dass Erniedrigungen ertragen werden sollen. Das kann niemanden zufriedenstellen. Wir wollen keine Empörungswelle lostreten, aber die Diskussion muss jetzt in die Öffentlichkeit", ordnete Castiglione ein.

Kein Einzelfall

Auch Arends betonte, dass es nun Zeit sei, solche Fälle öffentlich zu diskutieren. "Rassismus darf nicht den Hauch einer Chance haben", sagte er. Der Beleidigte entscheide, was ihn beleidige. Das stehe keinem Dritten und schon gar nicht dem Beleidigenden zu. Bereits im Hinspiel sei Youm als "Affe" bezeichnet worden. Das sei mit den Stenumern hinter den Kulissen besprochen worden. In einem anderen Fall sei Youm ebenfalls rassistisch beleidigt worden, der Verein habe jedoch den Übeltäter nicht ausfindig machen können. "Wir sind da jeweils nicht an die Öffentlichkeit gegangen. Aber wir haben uns als Team zusammengesetzt und gesagt, dass wir vom Platz gehen, wenn das noch mal passiert. Egal, wie es steht. Und wir waren zu dem Zeitpunkt noch im Meisterschaftskampf. Und das werden wir auch wieder tun", erklärte Arends.

Dass seine Mannschaft die Punkte aberkannt bekomme, sei okay. "Aber dass das Verhalten der Mannschaft auch noch bestraft wird, ist falsch", meinte er. Bei DFB-Länderspielen gebe es große Spruchbänder mit "Say no to racism." Nun habe eine Mannschaft ein Zeichen gesetzt und "No to racism" gesagt und wurde dafür mit einer Geldstrafe belegt. "Dabei sollten Leute zu solchen Aktionen eigentlich ermutigt werden", sagte der Jahn-Coach. Ein Wort nutzte er mehrfach in Bezug auf das Urteil: absurd.

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