Die Städtische Galerie ist um ein Kunstwerk reicher geworden. Eine massive Bronzefigur, die zwei sich vielleicht zankende Menschen darstellt, von denen nicht ganz klar wird, welches Geschlecht sie haben könnten und damit wohl maximal zeitgenössisch ist. Wieland Schönfelder, der Erschaffer der Figur, hatte im Jahr 2022 seine erste eigene Ausstellung – ausgerechnet in Delmenhorst. Ein Glücksfall für Delmenhorst, muss man wohl sagen. Denn weder die Leitung der Galerie um Matilda Felix, noch Mitglieder des Freundeskreises würden Wetten darüber ablehnen, dass der 1984 geborene Berliner eines Tages noch ganz groß rauskommen könnte. Schönfelder hatte im Frühjahr 2022 eine Reihe von Figurinen ausgestellt, die durch Zeichnungen des russisch-deutschen Künstlers El Lissitzky ergänzt worden waren.
Der Avantgardist El Lissitzky war vor Beginn des Ersten Weltkriegs von Smolensk nach Deutschland gekommen, weil man ihm den Wunsch, ein Studium an der Petersburger Kunstakademie aufzunehmen, mit der Begründung, dass man grundsätzlich keine Juden aufnehme, verwehrt hatte. Mit der Russischen Revolution sah El Lissitzky seine Chance gekommen und zog nach Moskau. Dort war rund um die Revolution ein reger Kunstbetrieb entstanden und ein Menschenbild, das auf Befreiung von Naturgewalten und Standesgesellschaft abzielte. Die Oper "Sieg über die Sonne", ein futuristisches Kollektivwerk verschiedener russischer Künstler, war ein solches zeitgenössisches Kunstwerk. Doch es kam zum Skandal, das Bühnenbild erlebte schon die zweite Aufführung nicht mehr bis zum Ende, im Petersburger Premierenpublikum kam es zu Handgreiflichkeiten. Das Stück setzte sich wohl gänzlich vom konventionellen Erleben einer Opernaufführung ab. Keine Handlung, undeutliches Gemurmel, ein gegenstandsloses Bühnenbild, die komplette Abstraktion. Grundidee: Die Sonne wird in einem Betonkörper eingesperrt. Doch die Sonne als Quelle sämtlicher Energie und sämtlichen Lebens war nur eine Metapher und zielte auf das spätzaristische Russland ab. Die Sonne war der Zar und dessen dramatisches Ende heute wohlbekannt. Die Hannoveraner Kestner-Gesellschaft hatte aber schon in den 1920er-Jahren bei El Lissitzky eine entsprechende Mappe in Auftrag gegeben, die zeigen sollte, was die Oper zu bieten hatte. Gesagt, getan, die Mappe kam und in Kopie auch in die Delmenhorster Sammlung.
Statik und Bewegung
Die Figurinen Schönfelders, die dieser nach Inspiration durch die El-Lissitzky-Mappe angefertigt hat, sind im Kern Bewegungsstudien. Anziehung und Abstoßung, Streit und Versöhnung, die Figuren wirken, als würden sie tanzen, so wie die Schauspieler auf der Bühne wohlgetan hätten. Auf jeden Fall wollte man in Delmenhorst etwas von Dauer: "Die Idee kam bei einer der Stippvisiten während der Ausstellung", sagt Ulla Lange vom Freundeskreis. Die Stippvisiten sind gewissermaßen die Kunstvermittlungsarbeit für Erwachsene und versammeln regelmäßig Kunstbegeisterte und Neugierige in der Galerie. Das entscheidende eine mal war der Künstler Wieland Schönfelder eigens angereist, um den Gästen der Stippvisite den technischen Hintergrund seiner Kunst zu erläutern. Denn die Skulpturen und Figurinen Schönfelders kommen allesamt aus dem 3D-Drucker. Und wie solch ein 3D-Drucker funktioniert, muss man erläutern und erklären. "Gut, dass zwei Künstlerinnen aus Bremen einen solchen 3D-Drucker mit nach Delmenhorst gebracht hatten", sagt Lange. Doch die aus Kunststoff-Granulat zusammengesetzten Figuren wirken zerbrechlich, nicht von Dauer, wenn man sie mit den massiven Bronzefiguren aus anderen Zeiten vergleicht. Deshalb sei der Gedanke schnell aufgekommen, eine Figur Schönfelders in Bronze zu gießen und in die Sammlung aufzunehmen. Denn in die Sammlung sollte Schönfelder unbedingt, da waren sich Galerie wie Freundeskreis sofort einig.
3600 Euro hat man sich das Vergnügen echter Bronze kosten lassen. Eigentlich ein Schnäppchen, könnte man meinen. 1600 Euro davon hatte der Freundeskreis zugeschossen, denn das Budget für Neuankäufe der Galerie ist klein, ohne den Freundeskreis liefe es nicht. Und Wieland Schönfelder sei sofort begeistert gewesen: "Das ist meine erste Bronzearbeit", berichtete der Künstler kürzlich beim Neujahrsempfang im Haus Coburg. Doch so ganz ohne Drama ging es nicht: "Wir wussten lange nicht, ob die Figur rechtzeitig fertig wird", sagt Ulla Lange. Nun ist sie aber da und bleibt. Mitsamt einem von Schönfelder konstruierten Sockel aus Edelstahl. Und der Bühnenrequisite aus dem 3D-Drucker.