Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Von Wolle zu Garn Ein Rundgang zur Geschichte der Nordwolle-Fabrik in Delmenhorst

Ein Rundgang durch das Fabrikmuseum und über das Nordwolle-Gelände in Delmenhorst zeigt die Geschichte hinter der "kleinen Stadt in der Stadt". Der Delmenhorster Kurier war mit dabei.
14.07.2024, 08:02 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Ein Rundgang zur Geschichte der Nordwolle-Fabrik in Delmenhorst
Von Teuta Bekteshi

Als Gruppe von fünf Besuchern gehen wir der Museumsführerin Ingrid Heimann fleißig hinterher, hören gespannt ihren Erzählungen zu. Das Gelände des Nordwolle-Museums macht Eindruck – besonders, wenn man die historischen Hintergründe kennenlernt. Der Delmenhorster Kurier hat bei einer Rundführung durch das Industriemuseum und über die Nordwolle der ehemaligen Fabrik mitgemacht und lernte etwas über die Delmenhorster Geschichte.

Zuerst erzählt Heimann von der Unternehmerfamilie Lahusen. Martin Christian Lahusen hat die Nordwolle-Fabrik 1884 gegründet, nachdem die Eisenbahnlinie in Richtung Delmenhorst gebaut wurde. Die Fabrik ging dann vier Jahre später an dessen Sohn Carl Lahusen, der ihr einen "wirtschaftlichen Schwung" verpasste, so die Museumsführerin. "Carl Lahusen war einer der größten Wollehändler europaweit", erzählt sie. 33 Jahre lang hat der Kaufmann die Fabrik geführt, bis er 1921 starb. In den Jahren haben er und seine Frau Armine vieles für die Arbeiter ermöglicht, was zu der damaligen Zeit eher untypisch war. Für die Frauen gab es etwa die Möglichkeit, sich nach einer Entbindung 14 Tage im naheliegenden Krankenhaus zu erholen. "Dort haben die Frauen sogar Lebensmittel kostenlos bekommen", sagt Heimann. Jedoch wurde erwartet, dass sie nach den 14 Tagen wieder voller Kraft in der Fabrik arbeiten konnten – die gute Versorgung hatte also ihren eigenen Zweck.

Von der Familie zu den Arbeitern

Als Carl Lahusen das Unternehmen übernahm, sorgte er sofort für entsprechende Unterkünfte für die Arbeiterfamilien. "Man sollte aber davon nicht ablenken, dass diese sehr teuer für die Arbeiter waren. Sie haben nicht in den besten Bedingungen gelebt", betont Heimann. Aber die Familie Lahusen galt als die "Guten" unter den anderen Unternehmerfamilien. Sie haben sich um ihre Arbeiter gekümmert, wie es zu der Zeit kaum jemand gemacht hat. Die Familie hat auf dem Gelände der Fabrik gelebt. Die sogenannte Lahusen-Villa war aber recht abgeschottet von dem Geschehen der Fabrik. "Carl wollte immer in der Nähe des Werkes sein", sagt die Museumsführerin. "Sie waren für ihre Verhältnisse sehr bescheiden." Jedoch hat der Sohn, Georg Carl Lahusen, nach dem Erbe von seinem Vater über seine Verhältnisse gelebt und die Fabrik in die Insolvenz getrieben. Untermalt werden die Fakten mit Bildern der Familie, die an den Wänden der Ausstellung hängen, und auch verschiedene Gegenstände, wie die unterschiedlichen Mützen der Arbeiter, die ausgestellt sind.

Nach dem Hintergrund der Familiengeschichte geht es weiter in die neue Ausstellung, die es seit einem dreiviertel Jahr im Museum gibt. Auf der einen Seite des langen Raumabteils werden die verschiedenen Arbeitsschritte erklärt, wie von der Wolle aus Argentinien ein Garn zur weiteren Verarbeitung wird. Die andere Seite des Raumes zeigt Fotos und Texte, die beschreiben, wie die Arbeitsbedingungen der Menschen aussahen – also von Arbeitszeiten über Krankheiten bis hin zu Unfällen in der Fabrik. Für Schulklassen gibt es auch sogenannte Mitmach-Räume, in denen die Schüler dann Wolle fühlen oder gewisse Aufgaben machen können.

Ein Arbeitsprozess in vollem Gange

Die erste Station in der Wolle-Verarbeitung war, dass diese zuerst sortiert werden muss. Sie war ungewaschen und wurde aus Argentinien importiert. "Lahusen besaß in Buenos Aires Land, auf dem 30 Millionen Schafe für ihn gezüchtet wurden", sagt Heimann. Um die Zucht der Schafe haben sich Familienangehörige Lahusens gekümmert, die nach Argentinien ausgewandert sind. In Delmenhorst mussten oftmals jüngere Frauen diese sortieren. Sie hatten das Fingerspitzengefühl, welches bei dem Schritt essenziell war. Dieser Arbeitsbereich war mitunter am beliebtesten, obwohl manche Frauen an Milzbrand erkrankt sind. Dieser wurde über die ungewaschene Wolle übertragen, aber die Situation wurde von den Lahusens möglichst unter Verschluss gehalten.

Nach dem Sortieren wurde die Wolle gewaschen. Diesen Part übernahmen dann die Männer, da das eine starke körperliche Anstrengung bedeutete. Zum Fühlen gab es dann für die Besucher in der Halle Wolle – ungewaschene und gewaschene. Zur Überraschung der Besucher fühlte sich die ungewaschene Wolle weicher an. "Das kommt wegen des Fetts, dass noch nicht ausgewaschen wurde", erklärt die Museumsführerin. Dieses wurde im weiteren Prozess zur Fettfabrik auf dem Gelände gebracht. Daraus wurden dann Seifen, Düfte und auch Lotionen hergestellt.

Im nächsten Schritt des Arbeitsprozesses wurde die Wolle in die Krempelmaschine getan. Dort verarbeiteten die Arbeiter diese zu Vlies. Bei der großen Maschine war jedoch Vorsicht geboten: "Hier haben die Menschen oft Arme oder Finger abgerissen bekommen, wenn sie nicht vorsichtig genug waren", so Heimann. Es ist eine schnell arbeitende Maschine, die viele Nadeln hat. Danach kam das Produkt zur Verarbeitung in die Kammstühle, wo das Vlies gekämmt wurde. Daraus entstand sogenanntes Krempelband. Dieses wurde dann in einem komplizierten Prozess in eine Ringspinnmaschine geklemmt und zu Garn gesponnen.

Das gesamte Gelände

Im weiteren Bereich des Museums befinden sich dann noch Stationen, die die Zwirnerei, Färberei sowie Werkstatt zeigen. Unsere Führung ging aber nicht mehr dadurch. Dafür ging es noch durch einige Räume, die weitere Eindrücke geliefert haben – wie das 3-D-Modell des gesamten Nordwolle-Geländes. Nicht umsonst nannte Carl Lahusen das Gelände "Meine Stadt in der Stadt", so Heimann. Dadurch konnten wir einen guten Eindruck davon erhalten, wie groß das gesamte Gelände in Wirklichkeit war und wo die verschiedenen Gebäude standen. Das half dabei, die Gebäude zuzuordnen, als wir dann anschließend nach draußen gingen, um den Rundgang fortzuführen.

Einen Zwischenstopp auf dem Weg nach draußen machten wir in der Turbinenhalle. Dort zeigte die Museumsführerin, wo die verschiedenen Turbinen und Generatoren standen. Einige davon waren sogar noch im Originalzustand. Beeindruckend war jedoch die Speicherlok, welche vor der Turbinenhalle zu sehen ist. Ein mit Dampf gefüllter Kessel konnte die Lok für acht Stunden antreiben. Zum Ende der Führung zeigte Heimann noch die Wohngebäude: "An den Bauarten der Gebäude sieht man, dass die Lahusens doch anders gestellt waren als die Arbeiter", erklärt die Museumsführerin. "Die Gebäude der Vorarbeiter, die Lahusen als 'seine Beamten' bezeichnete, hatten die gleiche Fassade wie die der normalen Arbeiter und die Villa Lahusen eine ganz andere." Das setzt die Arbeiter alle auf einen gleichen Stand – egal welche Position sie in der Fabrik hatten. Damit ging die Führung dann zu Ende und jeder Besucher lernte etwas über die Geschichte Delmenhorsts.

Info

Das Nordwolle-Museum bietet verschiedene Führungen an. Teilweise werden diese auch auf dem Rad angeboten. Wer auch über die Industriegeschichte lernen will, kann jeden ersten Sonntag im Monat teilnehmen. Die Nächste ist am Sonntag, 4. August, um 11 Uhr. Fragen zu den Führungen können per E-Mail an nordwollemuseen@delmenhorst.de gestellt werden.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)