Bremen. Es lässt sich nicht sagen, dass Dieter Burdenski in seiner Karriere unbedingt das beste Jahrzehnt in Werders Bundesliga-Geschichte erwischt hat. "Eigentlich", sagt er rückblickend, "war es nur eine Frage der Zeit, wann es uns treffen würde." Es – das war der Abstieg, und der war für die Bremer im Mai 1980 Realität.
Sie verloren die letzten fünf Bundesligaspiele der Saison ziemlich sang- und klanglos, 21 Gegentore und den Absturz auf Platz 17 verzeichnet die Statistik für dies Finale. Und wer stand im Tor des Absteigers? Eben jener Dieter Burdenski, der in diesen Wochen mehr verlor als die Bundesliga-Zugehörigkeit. "Unser Abstieg hat mich die Europameisterschaft 1980 gekostet", sagt er. "Vorher war ich die Nummer eins, ich habe in allen Qualifikationsspielen im Tor der Nationalelf gestanden. Doch nach dem Abstieg war ich weg vom Fenster."
So blieb es bei zwölf A-Länderspielen für einen Mann, dessen Karriere bei Werder in etlichen Punkten beispiellos ist. 16 Jahre lang, von 1972 bis 1988, war er Werder-Profi. Er bestritt über 1000 Spiele für Grün-Weiß, obwohl der Start alles andere als geglückt war. Denn in seinem ersten Bremer Jahr saß "Budde" vor allem auf der Tribüne. Ein komplizierter Ermüdungsbruch im Training sorgte für eine elfmonatige Zwangspause des teuersten Bundesliga-Transfers der Saison. Werder hatte an Arminia Bielefeld die damalige Rekordsumme von 340000 Mark gezahlt. "Zum Glück", erinnert sich Burdenski, "hatte Günter Bernard noch einmal ein tolles Jahr, vielleicht sein bestes überhaupt."
Torwart Günter Bernard war in Werders zweitem Bundesliga-Jahrzehnt neben Horst Höttges der einzige Spieler aus der Meister-Elf von 1965. Das Gesicht der Mannschaft hatte sich nicht unbedingt zu ihrem Vorteil verändert: Von den sechs neuen Stars der Millionen-Elf entsprach letztlich nur Willi Neuberger den Erwartungen. Nur er füllte Werders Kasse noch einmal halbwegs, als er 1973 für 400000 Mark nach Wuppertal verkauft wurde.
Doch sonst? Mehr Masse als Klasse. Nur wenige Namen blieben aus den ersten Jahren dieses Jahrzehnts in Erinnerung. Per Roentved etwa, der 1972 aus Kopenhagen geholte Weltklasse-Libero, Jürgen Röber, der 1974 aus Lingen kam, Norbert Siegmann (1976 von TB Berlin) , Uwe Reinders (1977 aus Essen), Benno Möhlmann (1978 aus Münster) oder Johnny Otten (aus Hagen bei Bremerhaven). Nicht zu vergessen: 1979 wurde auch ein junges Eigengewächs namens Thomas Schaaf Werder-Profi.
Assauer springt als Trainer ein
Doch das waren eher preisgünstige Glücksgriffe, für wirkliche Verstärkungen fehlte das Geld. "Wir haben jedes Jahr bis kurz vor Saisonschluss gezittert. Es konnte nicht immer gut gehen", sagt Burdenski und erinnert an nahezu abenteuerliche Geschehnisse auf der Trainer-Position: "Dreimal hat uns allein unser Manager Rudi Assauer trainiert." Insgesamt 13 Trainer-Namen verzeichnet die Statistik zwischen 1972 und 1982, mit etlichen von ihnen sind teilweise skurrile Geschichten verbunden.
Mit Hans Tilkowski etwa, dem legendären Nationaltorwart der 60er-Jahre, der Werder 1970 schon einmal in höchster Not gerettet hatte und deswegen 1976 mit viel Vorschusslorbeeren als Cheftrainer zurückkam. "Er hatte viel Ahnung. Aber er war selbstherrlich, duldete keinen Widerspruch, wurde in der Mannschaft immer unbeliebter", erzählt Burdenski.
Als es um die Vertragsverlängerung von "Til" ging, wurden auch die Spieler befragt. Es gab eine Abstimmung, die Mehrheit war gegen den Trainer. Das Dumme an der Sache: Im Trainingslager in Achim hielt einer nicht dicht (Burdenski: "Es ist nie herausgekommen, wer geredet hat."), Tilkowski reagierte tödlich beleidigt. Noch von Achim aus rief er Manager Assauer an und teilte ihm mit, dass er mit sofortiger Wirkung kündige. Alle Überredungsversuche halfen nicht, die Familie Tilkowski verließ Bremen praktisch über Nacht. Und Rudi Assauer kehrte auf den Trainingsplatz zurück, sicherte Werder mit Platz 15 den Klassenerhalt, ohne es laut DFB zu dürfen. Denn Assauer hatte keinen Trainerschein. So wurde Rentner Fred Schulz, ein Werder-Trainer der Vor-Bundesliga-Zeit, offiziell dem ziemlich erzürnten DFB als Chefcoach genannt.
Die Sache mit Hans Tilkowski ist schon die letzte einer ganzen Reihe von absonderlichen Trainer-Geschichten aus jener Zeit. Stichwort Hermann Eppenhoff: Der hatte zwar einen Trainer-Vertrag mit Werder, trat den Job jedoch nie an – weil er einige Monate vorher einen Herzinfarkt erlitten hatte. Er wollte trotzdem auf den Bremer Trainingsplatz, Werder jedoch wollte nicht mehr. Es kam sogar zu einem Prozess vor dem Arbeitsgericht, der mit einem Vergleich endete.
König Ottos erster Auftritt
Und dann ist da noch die Geschichte mit Herbert Burdenski, dem Vater des Zeitzeugen Dieter. Alt-Nationalspieler Herbert Burdenski übernahm – nachdem sich die Bremer ein halbes Dutzend Absagen eingehandelt hatten – den Trainer-Posten, nicht unbedingt zur Begeisterung seines Torwart-Sohnes. "Ich hatte es schwer in der Mannschaft. Kaum kam ich in die Kabine, verstummten oft die Gespräche. Viele glaubten, ich sei der Zuträger meines Vaters", erzählt der Sohn.
Zur Jahreswende 1975/76 stand eine Algerien-Reise mit mehreren Gastspielen der Mannschaft an. Mit dabei war auch Werders Neuverpflichtung des Vorjahres, der Ghanaer Ibrahim Sunday, der "Afrika-Fußballer des Jahres", dem die Fußballfans auf dem schwarzen Kontinent entgegenfieberten. Doch Herbert Burdenski ließ Sunday nicht eine Minute spielen. "Er bringt die Leistung nicht", argumentierte er. Das mochte gestimmt haben, dennoch verstand es keiner. Burdenskis Ruf jedenfalls hatte nachhaltigen Schaden genommen, noch auf dem Rückflug wurde über seine Ablösung debattiert.
Und es kam: Otto Rehhagel. Es war "König Ottos" erster Auftritt an der Weser. Er rettete die Mannschaft einmal mehr vor dem Gang in die 2. Liga – und musste trotzdem gehen. Weil der Vorstand zuvor schon Hans Tilkowski verpflichtet hatte.
Abgestiegen ist Werder dann mit Wolfgang Weber. "Bei dem mussten wir immer durch die Pauliner Marsch rennen, mit dem Ball wurde zu selten trainiert", sagt Burdenski. Es ging also mal wieder bergab, am 29. Januar 1980 zog der Vorstand die Reißleine. Und mal wieder streifte Assauer den Trainingsanzug über, Fritz Langner gab den Strohmann. Doch das Erfolgsrezept früherer Jahre scheiterte, Werder stieg ab. "Rudi war ein sehr guter Trainer, an ihm lag es nicht", sagt Burdenski dennoch.
Der Abstieg – das sollte sich in den kommenden Jahren zeigen – wurde letztlich zum Glücksfall für Werder. Man trennte sich notgedrungen von vermeintlichen Leistungsträgern (Karl-Heinz Geils, Werner Dressel, Hans-Jürgen Röber, Gerhard Steinkogler). Dafür kamen drei, die Werder als Bundesligist vermutlich nie geholt hätten: Klaus Fichtel, Erwin Kostedde und Norbert Meier.
Und auf der Kommandobrücke stand Otto Rehhagel, verpflichtet im Frühjahr 1981, weil Trainer Kuno Klötzer nach einem Autounfall noch nicht wieder voll hergestellt war. "Mit Otto", sagt Dieter Burdenski, "wurde alles ganz anders. Er hat der Mannschaft ein Selbstbewusstsein gegeben, wie keiner vor und nach ihm." Der Wiederaufstieg wurde durch ein 2:1 bei Hertha BSC in Berlin gesichert, die über 80000 Zuschauer dieses Spiels sind immer noch gültiger Zweitliga-Rekord. Schon 1982 tauchte Werder im UEFA-Cup wieder auf internationalem Parkett auf. Und das sollte mit Ausnahme von 1991 für mehr als ein Jahrzehnt auch so bleiben.
In dieser Woche startet die Fußball-Bundesliga in ihre 50. Saison: 49 Jahre davon war Werder Bremen dabei. Dies haben wir zum Anlass genommen, um die Erinnerungen an die Werderaner Bundesliga-Jahrzehnte noch einmal aufleben zu lassen. Im dritten Teil geht es kommende Woche um die 80er-Jahre. Günter Hermann erinnert sich daran, wie sich Werder in der 1. Liga und auf europäischem Parkett etablierte.