Bei der Europameisterschaft 2022 in England sorgten die deutschen Frauen mit dem Finaleinzug für Euphorie im Land, bei der Weltmeisterschaft danach gab es beim Vorrunden-Aus lange Gesichter. Wo steht die Nationalmannschaft vor Beginn der EM, Frau Kromp?
Friederike Kromp: Das wird sich jetzt erst zeigen. Die Mannschaft hat einen Umbruch hinter sich und ist mit vielen neuen Gesichtern gerade noch dabei, sich zu festigen. Ich glaube, die letzten Siege in der Nations League haben gezeigt, in welche Richtung es gehen könnte. Da war so manches Ausrufezeichen dabei. Man hat allerdings nun viele junge Spielerinnen in Schlüsselpositionen. Bestes Beispiel ist Janina Minge, die bei der WM in Australien noch gar nicht dabei war und dann beim olympischen Bronzemedaillen-Gewinn in Paris nachrückte. Daneben gibt es Spielerinnen wie Linda Dallmann, Elisa Senß oder Lea Schüller, die jetzt aufblühen, weil sie deutlich mehr Verantwortung bekommen haben. Man kann gespannt sein, wie gefestigt das Ganze schon ist und ob man wirklich schon in der Lage ist, vorne mitzuspielen – oder ob das Turnier ein bisschen zu früh kommt.
Wie empfinden Sie die Stimmung rund um die Mannschaft?
Ich habe das Nationalteam im Quartier besucht und auch das Training angeschaut. Dort herrschte eine sehr, sehr gute Stimmung. Das hat man spüren und sehen können. Ich habe auch mit ein paar der Mädels sprechen können, die sind natürlich völlig euphorisch und freuen sich, dass die EM jetzt losgeht. Nichtsdestotrotz hat man große Namen und erfahrene Spielerinnen nicht mehr dabei, wie zum Beispiel Alexandra Popp, Marina Hegeringoder derzeit Lena Oberdorf. Es muss sich zeigen, wie schnell die Mannschaft das wegsteckt.
Was dürfen die Deutschland-Fans beim Turnier erwarten?
Ich traue der jungen Mannschaft viel zu. Im Turnierverlauf wird es auch um Kleinigkeiten gehen. Und anfangs natürlich darum, die Gruppe zu überstehen. So ehrlich muss man nach dem frühen Aus bei der Weltmeisterschaft sein. Nach der Gruppenphase mit den Gegnern Polen, Dänemark und Schweden könnten schon die großen Brocken warten. Es wird sich also recht schnell zeigen, wo man steht.

Friederike Kromp bei ihrer Vorstellung als neue Cheftrainerin am Montag in Bremen.
Bei den Männern heißt es, eine Europameisterschaft sei schwieriger als eine Weltmeisterschaft, weil die exotischen Außenseiter fehlen. Gilt das für die Frauen auch?
Auch hier ist die Leistungsdichte bei der EM höher als bei einer WM. Der Vorteil ist aber, dass du bei einer EM sehr genau weißt, was auf dich zukommt. Auch bei den Männern spielen die Asiaten oder die Afrikaner anders als die Europäer, aber bei den Frauen ist es echt noch mal extremer, weil man sehr viel weniger über solche Gegner weiß. Für das Trainerteam ist eine EM deswegen besser planbar.
Einen der starken Siege in der Nations League, von denen Sie vorhin sprachen, gab es zuletzt im Weserstadion beim 4:0 gegen die Niederlande. Die Bremer Zuschauer waren begeistert. Gibt das Rückenwind für die EM?
Ja, zu einhundert Prozent. Wie ich von den Mädels gehört habe, waren viele total begeistert von der Stimmung. Sie kannten Bremen noch nicht so sehr als Fußballstadt der Frauen. Es gab zwar das große Nordderby im Pokal gegen den HSV und Werders Pokalfinale gegen Bayern in Köln, aber diese Spiele fanden eben nicht in Bremen statt. Deshalb war es jetzt die Gelegenheit, um Fußballdeutschland und den Frauen zu zeigen, dass Bremen bereit ist für solche Länderspiele und Stimmung machen kann. Ich denke, diese Begeisterung wirkt bei der Nationalmannschaft noch nach. Das war schon ein tolles Erlebnis auf dem Weg zur EM. Es hilft bei dem Prozess, als Team zusammenzuwachsen. Und trotzdem geht es im Auftaktspiel am Freitag gegen Polen erst einmal von null los.
Es war das erste Spiel einer Frauen-Nationalmannschaft im Weserstadion. Sollten Weitere folgen?
Ja, unbedingt. Ich konnte kaum glauben, dass es tatsächlich eine Premiere war. Hoffentlich war das der Startschuss für zahlreiche weitere Länderspiele im Weserstadion.
Im Vorfeld der EM und der Nominierungen musste sich Bundestrainer Christian Wück einer Debatte über fehlende oder unzureichende Kommunikation stellen – ausgelöst von Nationalspielerinnen. Muss man bei diesem Thema im Frauenfußball sensibler sein oder war die Diskussion übertrieben?
Das ist eine gute Frage. Grundsätzlich möchte ich betonen, dass es schwer ist, das aus der Ferne im Detail zu beurteilen. Aber was ich als Trainerin sagen kann: Kommunikation ist ein ganz, ganz großes Thema, vielleicht sogar mit das Wichtigste neben dem Sportlichen. Das richtig gut zu machen, ist die höchste Kunst. Der Bundestrainer hat gemerkt, dass es im Umfeld der Nationalmannschaft noch viel wichtiger ist als vorher bei den Nachwuchsmannschaften. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das Thema bei den Frauen wirklich so viel anders ist als bei den Männern.
Wie meinen Sie das?
Ich denke, die heutige Generation möchte grundsätzlich bei Entscheidungen mehr mitgenommen werden. Für uns als Trainer ist es im Alltag wichtig, das sehr gut hinzubekommen. Fehlerfrei, glaube ich, kann man es nicht machen. Letztlich wiederholen sich zwar die Dinge, aber man hat mit Menschen zu tun, die unterschiedlich reagieren. Da ist gerade bei Nominierungen immer auch viel subjektives Empfinden dabei.
Zuletzt gab es schöne Bilder aus dem deutschen Quartier, als Wolfgang Petry mit den Spielerinnen sang. Aus Trainersicht: eine willkommene Abwechslung oder störende Ablenkung?
Es war eine sehr schöne Aktion. Die Mannschaft hat in dieser EM-Vorbereitung sehr fokussiert und intensiv gearbeitet, an vielen Tagen sogar doppelt trainiert. Deshalb war das kein Problem. Als ich die Bilder von diesem Mannschaftsabend mit Wolfgang Petry sah, dachte ich mir: Ja, das passt. Davon werden die Spielerinnen noch lange erzählen. Ich finde, so etwas gehört zu einer EM-Vorbereitung dazu.
Es gibt keine Werder-Spielerin im deutschen Kader. Der Bundestrainer betonte aber, die Bremer Angreiferinnen Tuana Mahmoud und Larissa Mühlhaus im Blick zu haben. Können beide Nationalspielerinnen werden?
Das ist bei beiden definitiv realistisch. Sie spielen bereits eine gute Rolle in der U23-Nationalmannschaft. Jetzt ist es noch ein weiterer Schritt. Deswegen dürfen sie sich berechtigte Hoffnungen machen. Es geht jetzt darum, dass sie sich persönlich weiterentwickeln, denn der Schritt in die A-Nationalmannschaft ist groß. Beide sind noch junge Talente, die ihre guten Leistungen in der Bundesliga bestätigen müssen. Dann werden die nächsten Schritte folgen. Ich finde aber, es fehlt auf jeden Fall eine andere Werder-Spielerin.
Sie meinen Michelle Ulbrich, die zuletzt an den FC Bayern ausgeliehen war?
Genau. Aus meiner Sicht kann sich auch Michelle Hoffnungen machen. Natürlich ist sie kein U-Talent mehr, sondern schon eine erfahrene Werder-Spielerin. Aber sie spielt als Innenverteidigerin auf einer Position, die sehr gefragt ist. Leider konnte sich Michelle zuletzt beim FC Bayern nicht so präsentieren, wie es erhofft oder gedacht war. Es wird nun unsere Aufgabe bei Werder sein, dass wir sie wieder zu alter Stärke bringen. Das dürfte uns schnell gelingen. Denn sie ist sehr erfahren, hat enorme Qualität und einen starken Charakter. Ich bin sicher, dass auch Michelle in Zukunft auf dieser Liste der zu beobachtenden Spielerinnen erscheinen wird. Es wäre mein Wunsch und sicher auch ihrer, dass sie dann auch die Chance bekommt, sich im Nationalteam zu präsentieren. Sie hätte es verdient.
Wie wichtig sind die Nationalmannschaft und das Turnier, um den Frauenfußball in Deutschland weiter zu stärken?
Extrem wichtig. Diese Turniere sind für unsere junge Sportart sehr bedeutend, denn sie können bei der Entwicklung als Beschleuniger wirken oder als Bremse. Gerade für den Nachwuchsbereich gilt: Wenn das deutsche Team bei Turnieren gut abschneidet, explodieren schnell die Zahlen der jungen Mädels, die anfangen, selbst Fußball zu spielen. Dadurch wird auch das Interesse geweckt, die Spiele der Frauen-Bundesliga anzuschauen.
Viele kennen Sie als Fußball-Expertin des ZDF und denken: Die war bestimmt selbst Nationalspielerin. Waren Sie aber nicht, weil Sie Ihre Karriere wegen einer Verletzung früh beenden mussten. Bedauern Sie das – oder muss man vielmehr sagen: Ohne die Verletzung würde es die Trainerin und ZDF-Expertin in der Form nicht geben?
Ich habe keinen Grund, etwas zu bedauern. Natürlich war das alles nie so geplant, aber die Leidenschaft für Fußball war bei mir schon immer sehr groß. Wenn schon nicht als Spielerin, so wollte ich als Trainerin früh meinen Weg gehen. Im Nachhinein war es alles gut, so wie es war. Denn dadurch kann ich jetzt eben schon auf eine lange Erfahrung zurückblicken und habe viele Dinge erlebt, die mich als Trainerin geprägt haben.
Während der EM werden Sie im WESER-KURIER Kolumnen schreiben. Können unsere Leserinnen und Leser die Offenheit und Klarheit erwarten, die man aus dem ZDF von Ihnen kennt?
Ich war schon immer jemand, der recht klar sagt, was er denkt. Manchmal vielleicht ein bisschen zu klar und nicht so diplomatisch, aber das bin ein Stück weit ich. Ich vertrete meine Meinung. Was ich sage, ist aber immer sachorientiert gemeint und geht nie gegen eine Person. Ich freue mich sehr darauf, jetzt auch in der Zeitung über Fußball schreiben zu können.