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Werders Sportchef im Interview Baumann: "Der Frauenfußball muss eigene Wege gehen"

Die Nachricht überraschte: Frank Baumann hat bei Werder nun auch die Verantwortung für den Frauen-Fußball übernommen. Hier spricht er über seine Pläne für den Frauenbereich und das große Spiel im Weserstadion.
24.11.2022, 18:00 Uhr
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Baumann:
Von Jean-Julien Beer

Herr Baumann, am Sonnabend spielen Werders Frauen erstmals in der Bundesliga im Weserstadion – vor einer Rekordkulisse von mehr als 15.000 Zuschauern. Wird das Spiel gegen Freiburg ein einmaliges Event – oder der Anfang von etwas Größerem?

Frank Baumann: Ich glaube nicht, dass es ein einmaliges Event sein wird. Wir möchten mit diesem Spiel ein größeres Publikum ansprechen und mehr Menschen für den Frauenfußball begeistern, um auch in den nächsten Heimspielen auf Platz 11 eine größere Kulisse zu haben. Letztlich hängt es daran, wie stark die Nachfrage sich entwickelt. Auf Platz 11 sind die Zuschauerkapazitäten begrenzt – wenn wir sehen würden, dass dort regelmäßig 5000 Zuschauer kämen, dann müsste man die Stadionfrage neu bewerten. Kurzfristig haben wir jetzt erst einmal das eine Frauen-Bundesligaspiel im wohninvest-Weserstadion. Aber für die nächsten Jahre kann ich mir sehr gut vorstellen, dass wir häufiger dort auflaufen werden.

Wie wichtig wird es sein, den Zuschauern dabei auch Tore und ein Spektakel zu bieten – damit sie nicht nur das eine Mal zum Frauenfußball gehen?

Ich glaube schon, dass sich die Zuschauerinnen und Zuschauer auch mit der Tabelle beschäftigen und wissen, dass es gegen den SC Freiburg ein sehr schwieriges Spiel wird. Es ist viel mehr als ein Event, es hat auch eine sportliche Komponente: Wir brauchen die Punkte. Gegen einen starken Gegner wie Freiburg kann es aber nicht die Erwartung geben, dass wir die aus dem Stadion schießen. Unsere Mannschaft wird aber wieder alles geben, mit viel Leidenschaft auftreten und mit ihrer Laufstärke. Für uns zählt jeder Punkt, das darf man bei der großen Aufmerksamkeit rund um das Spiel nicht vergessen. Allein schon ein Punkt gegen Freiburg wäre ein gutes und wichtiges Zeichen – auch wenn wir natürlich versuchen, drei Punkte zu holen.

Sie sind bei Werder als Geschäftsführer nun auch für den Frauenfußball verantwortlich und wollen den Bereich professionalisieren. Wie lange wird es dauern, bis Werders Spielerinnen alle Profis sind?

Bei dieser Frage geht es auch darum, was die Spielerinnen wollen und was für sie wichtig und richtig ist. Wir haben bereits Spielerinnen, die vom Fußball leben können – die aber trotzdem aus verschiedenen Gründen nebenbei arbeiten oder studieren wollen. Weil sie das für den Kopf brauchen und weil sie genau wissen – und das ist kein Unterschied zu den Männern –, dass die Zeit einer Fußballkarriere begrenzt ist. Deshalb kann ich allen, männlichen und weiblichen Profis, nur raten, sich schon während der Karriere mit der Planung für das Arbeitsleben danach zu beschäftigen. Trotzdem brauchen wir eine Entwicklung bei den Gehältern der Spielerinnen. Ich bin optimistisch, dass das durch den neuen Fernsehvertrag und eine bessere Vermarktung Stück für Stück erfolgt. Wir werden aber in den nächsten drei bis vier Jahren nicht erleben, dass es im Frauenfußball Gehälter gibt wie in der Männer-Bundesliga. So realistisch muss man sein.

Kann Werder in absehbarer Zeit mit Frauenfußball wirtschaftlich erfolgreich sein?

Es muss unser Ziel sein, dass wir vielleicht schon in den kommenden zwei Jahren kostendeckend arbeiten. Man muss ja mal festhalten, dass wir bei Werder trotz der wirtschaftlich extremst schwierigen Situation der vergangenen zwei Jahre die Ausgaben für den Frauenfußball kontinuierlich gesteigert haben, wenn auch auf niedrigem Niveau – und das, obwohl die Einnahmen im Frauenfußball konstant niedrig geblieben sind. Diese Einnahmen müssen wir nun erhöhen, wir wissen aber auch, dass wir die Ausgaben weiter erhöhen müssen. Dabei geht es nicht nur um die Gehälter der Spielerinnen oder die Verbesserung der Qualität im Kader, um in der Liga bleiben zu können. Es geht auch darum, die Rahmenbedingungen insgesamt zu verbessern und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Frauenfußball nach und nach hauptamtlich zu beschäftigen.

Hilft dabei die allgemeine Euphorie um den Frauenfußball?

Das Thema wird auch für die Sponsoren und Partner immer wichtiger, das merkt man. Die wollen sich dort engagieren. Dabei wird auch oft die Frage in den Raum gestellt, ob es für Unternehmen heute noch darstellbar ist, sechs- bis achtstellige Summen im Herrenfußball zu bewegen, aber keinen Cent im Frauenfußball zu investieren. Wir werden versuchen, in diesem Bereich durch zusätzliche Ressourcen und Mitarbeiter die richtigen Partner für den Frauenfußball bei Werder zu finden und vielleicht andere Geschichten zu erzählen, als wir es bei den Männern in der Bundesliga machen.

Ausgerechnet jetzt, wo der Frauenfußball boomt, steckt Werders Team im Abstiegskampf fest. Tut das gleich doppelt weh, weil man weder punktet noch diese Begeisterung nutzt?

Es ist nicht neu, dass wir uns aufgrund unserer begrenzten Mittel entweder im unteren Bereich der Bundesliga bewegen oder im oberen Bereich der zweiten Liga. Zuletzt konnten wir zweimal die Klasse halten. An dieser Realität wird sich so schnell nichts ändern. Auch in der Frauen-Bundesliga gibt es eine extreme wirtschaftliche Schere zwischen Topklubs wie Bayern und Wolfsburg und Vereinen wie Werder. Wer aber den SV Werder kennt, der macht sein Interesse am Frauenfußball bestimmt nicht vom Tabellenplatz abhängig.

Werder braucht offensichtlich eine Torjägerin. Bei den Männern würden sie nun einen entsprechenden Transfer machen. Bei den Frauen auch?

Grundsätzlich laufen viele Dinge bei der Kaderplanung ähnlich wie bei den Männern. Wenn man zu wenig Tore schießt oder zu viele bekommt, sollte man sich in den Bereichen verbessern. Das muss in unserer Situation aber nicht unbedingt eine neue Stürmerin sein. Wir haben sehr interessante junge Angreiferinnen, die wir entwickeln wollen. Leider fällt uns Agata Tarczynska aus, eine erfahrene Stürmerin, die ihre Torgefahr schon nachgewiesen hat. Aber wir halten Augen und Ohren offen, wie man so schön sagt. Wir haben aber auch vergangene Saison wenig Tore geschossen. Diese Saison spielen wir besser, müssen aber die Fehlerquote insgesamt verringern.

Viele große Vereine spielen in der Frauen-Bundesliga noch nicht mit, wie Borussia Dortmund, RB Leipzig oder Schalke. Erwarten Sie, dass es künftig schwieriger wird, dort erstklassig zu bleiben – oder erwarten Sie eine Aufstockung der Liga, in der bisher nur zwölf Mannschaften spielen?

Ich erwarte beides. Wenn andere, finanzstarke Vereine in die Frauen-Bundesliga aufsteigen, wird sich der Konkurrenzkampf verschärfen. Andererseits glaube ich schon, dass eine Aufstockung zumindest mittelfristig realistisch ist.

Wären Sie für eine Bundesliga mit 18 Vereinen, wie bei den Männern?

Ich weiß nicht, ob es direkt 18 sein müssen. Vielleicht geht man Zwischenschritte mit 14 und dann 16 Vereinen. Das wäre für mich, Stand heute, eine vernünftige Ligagröße. Denn man muss dabei bedenken: Der neue Fernsehvertrag wurde zwar höher dotiert, wenn man das aber auf mehr Vereine verteilen müsste, würde sich das nicht mehr groß auswirken. Der ganze Kuchen muss deshalb größer werden, bevor man ihn an noch mehr Vereine verteilt. Vielleicht muss der Frauenfußball da auch eigene Wege gehen und nicht alles so machen wie bei den Männern.

Am Sonnabend geht es nicht nur um eine Rekordkulisse in Bremen, sondern auch um wichtige Punkte für den Klassenerhalt. Was würde ein Abstieg für die Zukunft des Frauenfußballs beim SV Werder bedeuten?

Ich bin optimistisch, dass wir auch bei den Frauen unser Ziel Klassenerhalt erreichen werden. Natürlich wäre ein Abstieg nicht schön. Wir haben das aber schon bei den Frauen und bei den Männern erlebt und gesehen, dass die Welt sich auch dann weiterdreht. Natürlich würden wir den Frauenfußball bei Werder auch im Falle eines Abstiegs weiterentwickeln wollen. Es braucht niemand die Sorge zu haben, dass wir uns dann aus dem Frauenfußball zurückziehen und unser Engagement verringern würden.

Das Gespräch führte Jean-Julien Beer.

Zur Person

Frank Baumann (47) kam 1999 als Spieler zum SV Werder und ist seit 2016 Geschäftsführer für den Bereich Fußball. Auf Wunsch des Aufsichtsrates übernahm er nun auch die Verantwortung für den Frauenfußball.

Zur Sache

Hoffen auf den ersten Sieg

So ein Spiel hat es in Bremen noch nicht gegeben: Am Sonnabend empfängt Werder den SC Freiburg in der Frauen-Bundesliga und spielt dabei erstmals im Weserstadion. Es werden mehr als 15.000 Zuschauer erwartet. Anstoß der Partie ist um 16 Uhr. Werder ist als Tabellenvorletzter nur Außenseiter gegen Freiburg (Platz 5), hofft aber trotzdem vor der Rekordkulisse auf den ersten Saisonsieg.

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