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Warum Werder so viele Spieler verletzt fehlen Das Muster

Sie haben wochenlang gesucht bei Werder, aber keinen Grund für die vielen Ausfälle gefunden. Dabei ist die Erklärung offenbar einfach. Der Kader ist arg vorgeschädigt. Manager Frank Baumann erklärt die Gründe.
22.10.2019, 11:10 Uhr
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Von Jean-Julien Beer

Auf den ersten Blick sind es nur Zahlen. Die 5000 zum Beispiel. 400 und 650. Auch die 11 kommt häufig vor. Sie sind in Datenbanken zu finden, die sich mit dem europäischen Vereinsfußball beschäftigen. Und auf die auch Werder Zugriff hat. Es geht bei den Zahlen nicht um die Ernährung und auch nicht um die Härtegrade der Rasenflächen. Vielleicht gerieten die Zahlen deshalb nicht so in den Fokus, als sie bei Werder in den vergangenen Wochen nach eigenen Worten jeden Stein umdrehten, um die Ursache für das unglaubliche Verletzungspech zu finden. Gefunden haben sie wenig bis nichts. Was aber nicht überrascht, weil es den wohl einleuchtendsten Grund für die vielen verletzungsbedingten Ausfälle gar nicht in den Essens-Portionen, in der medizinischen Abteilung oder im Zuständigkeitsbereich der Greenkeeper zu finden gibt. Beschäftigt man sich mit den Zahlen in den Datenbanken, ergibt sich ein ganz anderes Muster. Demnach häuften die derzeit bei Werder unter Vertrag stehenden Profis in den vergangenen Jahren ihrer Karriere eine überdurchschnittlich hohe Zahl an verletzungsbedingten Fehltagen an, nämlich erheblich mehr als 5000.

Allein Neuzugang Ömer Toprak, der seit dem zweiten Spieltag wegen einer Muskel- und Sehnenverletzung an der Wade ausfällt und als Führungsspieler wie als Top-Innenverteidiger schmerzlich vermisst wird, fiel während seiner Zeit in Leverkusen und Dortmund wegen zwölf schwererer Verletzungen aus. Neunmal waren die Muskeln der Auslöser, zweimal das Sprunggelenk. In seiner Zeit in Freiburg kamen noch Operationen am Knie und an der Schulter hinzu. Ohne seinen Kartunfall, der ihn zu Beginn der Karriere lange bremste, summiert sich seine Ausfallzeit auf deutlich mehr als 400 Tage; kleine Blessuren oder Infekte ausdrücklich nicht eingerechnet, dafür aber ein Sehnenriss.

Für Kohfeldt „die logischste Erklärung“

Bei Sebastian Langkamp, der diese Saison in Folge eines Muskelfaserrisses noch keine Sekunde spielte, sind in den vergangenen neun Jahren acht Faserrisse gelistet, dazu weitere muskuläre Verletzungen. Mit Leisten- und Sprunggelenksproblemen steuert er inzwischen auf 700 Fehltage zu. Abwehrchef Niklas Moisander, den Werder nur wegen einer Sprunggelenksverletzung aus Genua verpflichten konnte, haben zwölf erhebliche Verletzungen in den letzten zehn Jahren auch weit mehr als 400 Fehltage beschert; meist waren Muskeln oder Knie betroffen.

Man kann das für viele Spieler im Kader so durchgehen. Mit diesem Muster konfrontiert, hält inzwischen auch Trainer Florian Kohfeldt die Vorschädigungen vieler seiner Spieler „für die logischste Erklärung, auch wenn es uns jetzt geballt getroffen hat“. Schon in normalen Zeiten haben er und sein Trainerteam alle Hände voll damit zu tun, einzelne Spieler dieses Kaders möglichst sanft durch eine Trainingswoche zu bekommen, damit sie am Wochenende spielen können. Der Trainer verweist auf ein grundsätzliches Problem: „Ich habe das schon bei der Verpflichtung von Niclas Füllkrug gesagt. Spieler mit dieser Qualität können wir als Werder Bremen nur bekommen, weil das Verletzungsrisiko eingepreist ist.“ Füllkrug kostete wegen drei Knorpelschäden in den Knien nur 6,3 statt der zuvor verlangten 20 Millionen; nach wenigen Einsätzen für Werder riss er sich das Kreuzband. In sieben Jahren als Profi musste auch er schon mehr als 500 Tage zusehen.

Ein auffallend alter Kader

Sportchef Frank Baumann kann das Muster nicht wegdiskutieren. Im Gespräch mit dem WESER-KURIER erklärt er die Ursachen, nimmt die Spieler aber auch in Schutz: „Niklas Moisander haben wir nach einer Operation bekommen, danach ist er aber bei uns sehr gut durch die letzten Jahre gekommen. Sebastian Langkamp hat bei uns viele Spiele gemacht und uns in einer schwierigen Situation als Spieler und als Typ sehr geholfen. Wir haben in den vergangenen Jahren bewusst erfahrene Spieler geholt, auch wegen unserer sportlich kritischen Situation. Wir haben das auch nie bereut, weil sie uns geholfen haben. Ich würde sie alle zu 100 Prozent wieder verpflichten.“

Die Konsequenz davon ist aber auch, dass Werder einen auffallend alten Kader hat, auch ohne Routinier Claudio Pizarro (41). Das birgt ein größeres Risiko. „Mit dem Alter kann sich im Laufe einer Profi-Karriere die Verletzungsanfälligkeit erhöhen. Das sind alles Hochleistungssportler, zudem ist Fußball ein Kontaktsport. Da bleiben Verletzungen über die Jahre nicht aus“, sagt Baumann, „will man Spieler ohne Verletzungen verpflichten, müsste man nur ganz junge Spieler holen, wobei sich heutzutage viele Spieler bereits im Übergang zum Herrenfußball mit schweren Verletzungen auseinandersetzen müssen.“

Baumann muss „das Risiko abwägen“

Milot Rashica zum Beispiel litt schon bei Vitesse Arnheim unter Problemen an der Leiste, auch das Knie machte Probleme. Zwei weitere Werder-Profis, die jetzt nach Knie-Operationen monatelang fehlen, hatten schon in jungen Jahren schwere Knieverletzungen: Ludwig Augustinsson und Kevin Möhwald. „Manche Spieler sind robuster, andere sind anfälliger“, sagt Baumann mit Blick auf den Kader, „wir gehen sehr behutsam damit um, deshalb ist die individuelle Belastungssteuerung ja seit zwei Jahren einer der meistbenutzten Begriffe in Bremen.“

Weil Werders finanzielle Möglichkeiten im Bundesligavergleich sehr begrenzt sind, gehört ein Risiko bei vielen Transfers dazu. „Wir schauen uns jeden Spieler und seine Verletzungshistorie vor einer Verpflichtung genau an, unabhängig vom Alter“, erzählt Baumann, „dabei muss man auch schon mal abwägen: Was ist wichtiger? Seine Qualität und seine Lust, bei Werder etwas zu bewegen? Oder das Risiko, dass er auch mal ausfällt?“ Er habe auch schon mal zwei Spieler gegen den klaren ärztlichen Rat verpflichtet, „weil ich von ihnen überzeugt war und sie für uns die bestmöglichen Option waren. Die beiden sind jetzt nicht mehr bei Werder, aber der Plan ging auf“.

Ohne Delle nicht zu Werder

Transfers laufen bei Werder quasi ohne Wunschzettel, weil viele gute Spieler unerreichbar sind. „Wir können einen fitten und gesunden Stammspieler von einem Spitzenklub wie beispielsweise dem BVB nicht bekommen, unabhängig von seiner Verletzungsgeschichte“, betont Werders Sportchef, „oft werden Spieler mit einer gewissen Qualität erst dann für uns realisierbar, wenn sie in ihrer Karriere gerade eine kleine Delle erleben. Zum Beispiel, weil sie bei ihrem Verein sportlich nicht zum Zug kommen, wie bei Davy Klaassen. Oder wegen eines plötzlichen Abstiegs, so war es bei Yuya Osako. Oder weil sie eben wegen einer Verletzung zurückgeworfen wurden.“

Zwei Spezialfälle sind Urgestein Philipp Bargfrede und Angreifer Fin Bartels. Nach insgesamt mehr als 20 schweren Verletzungen gilt ihnen das Mitgefühl vieler Fans, allein diese beiden haben mehr als 1600 Fehltage erreicht. „Wir stehen auch zu ihnen“, betont Baumann, „weil sie grundsätzlich wichtige Kaderbestandteile sind und eine hohe fußballerische Qualität besitzen. Dass sie so häufig fehlten, ist bedauerlich.“

Baumann erinnert an den Fall Naldo

Mit Blick auf die vielen Vorschädigungen in Werders Kader verweist Baumann aber auch auf den Fall Naldo. Der Brasilianer war bei Werder gesetzter Topspieler, bis der Körper streikte. „Bei Naldo haben wir doch das Gegenteil erlebt“, erinnert Baumann, „bei ihm dachten viele, dass das mit seinen Verletzungen tendenziell nichts mehr wird und man war nicht so unglücklich, dass Wolfsburg ihn verpflichtete. Und dann hat er für den VfL und für Schalke noch fünf Jahre auf hohem Niveau konstant starke Leistungen gebracht. Das zeigt, welches Top-Niveau ein Spieler auch trotz Vorschädigungen noch erreichen kann.“

Was Baumann nun Mut macht? Die vergangene Saison habe gezeigt, dass Werder „die meisten Spieler in der Bundesliga hatte, die mehr als 30 Spiele gemacht haben“. Es sei einfach so, „dass uns die Ausfälle nun sehr geballt getroffen haben. Hoffentlich bleiben wir dann den Rest der Saison von weiteren längeren Ausfällen verschont.“ Zum Beispiel auch Milos Veljkovic, der sich nicht zum ersten Mal einen Zeh brach und damit sehr lange ausfiel.

Es ist das Prinzip Hoffnung. Das 1:1 gegen Hertha machte einmal mehr deutlich, wie sehr die eingeplanten Stammspieler vermisst werden. Dass sie jedoch keine Saison durchspielen würden, war anhand des Musters fast zu erwarten. Die nächsten Transferperioden werden zeigen, ob Werder trotz finanzieller Zwänge daraus Lehren ziehen kann.

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