Werder-Legende Torsten Frings kehrt an diesem Sonnabend als Trainer des SV Darmstadt ins Weserstadion zurück — und dann will er zeigen, dass der Trainer Frings mehr ist als nur eine Art Fortsetzung des Spielers Frings.
Nach Hause kommen, das ist eine feine Sache. Auch für diesen Mann, der aus Würselen stammt. Seine Heimat liegt im Raum Aachen und ist ganz schön weit weg von Bremen. Torsten Frings kommt trotzdem nach Hause, wenn er nach Bremen kommt. Hier hat er – im und am Weserstadion – fast die Hälfte seines Lebens verbracht. Hier wurden seine Kinder geboren. Er hat hier ein Haus, in Oberneuland. Wenn Torsten Frings an diesem Sonnabend als Trainer des SV Darmstadt ins prall gefüllte Weserstadion zum Anpfiff des Spiels gegen Werder marschiert, dann ist das etwas sehr Emotionales. Vor allem für ihn.
Das hat er in diesen Tagen oft genug zugegeben. Dazu war er viel zu lange hier. Dazu ist viel zu viel passiert, und vor allem: So zu tun, als wenn das nichts mit ihn gemacht hat, das kann er gar nicht. Leute, die es wissen müssen, wie dieser Torsten Frings, Nationalspieler, WM-Held, Werder-Legende, so drauf ist, erwähnen in ihrer Frings-Beschreibung oft schon im ersten Satz dieses emotionale Element.
„Er wird Darmstadt heißmachen“, hat Werders Kapitän Clemens Fritz neulich prognostiziert, der mit Frings fünf Jahre lang zusammen gespielt und ihn später als Co-Trainer an der Seite von Viktor Skripnik erlebt hat. Theo Gebre Selassie sagt: „Torsten ist ein Motivator. Sehr energisch und impulsiv.“ Und auch Frings’ Berater Marc Kosicke sagt: „Torsten ist ein unheimlich emotionaler Trainer.“

Die enge Bande: An der Seite von Trainer Thomas Schaaf, der zu einer Art zweiter Vater wurde, startet Torsten Frings im Sommer 2009 wieder einmal mit einer Überfahrt nach Norderney in die Saison. Wenige Wochen zuvor hatten Schaaf und Frings den Triumph im DFB-Pokal feiern können.
Vom Frechdachs zum Big Boss
Man muss sich dabei keinen Mann vorstellen, der immer alle in den Arm nimmt, bei dem es einem gleich warm ums Herz wird. So ist er nicht. So war er noch nie. Er hat eine eher bollerige Art, er hat kein Problem mit Schimpfwörtern. Er war schon als Bremer Jungprofi vor 20 Jahren ein Frechdachs und hat den Boss im Team, Andreas Herzog, „Lutscher“ gerufen.
Schon bald nannten sie Frings bei Werder nur noch Lutscher. So sehr er bollern konnte, so sehr mochte man den Lutscher. Aus dem kleinen Frechdachs wurde nach und nach der Big Boss im Team. Ein Mann, der Klartext redete. Ein Mann, der Harleys und dicke Autos fuhr, sich Tattoos stechen und die Haare wie ein Rockstar wachsen ließ – und der trotzdem nicht abdrehte. Er war der, der sich voll reinhängte. Sein Trikot war nach dem Spiel oft das dreckigste von allen.
Er krempelte die Ärmel auf, und er wusste schon früh, was er wollte. Er wollte weg aus Bremen, unbedingt. 2002 war das, da war ihm Werder zu klein geworden. Er wollte in den großen Fußball. Und genauso unbedingt wollte er 2005 zurück nach Bremen. Der Fußball in Bremen war inzwischen sehr groß geworden. Hier konnte er wieder bei seinem Thomas Schaaf sein und musste keinen Felix Magath mehr in München ertragen. Magath hatte Frings einst angeblich verkaufen wollen, als er Werder trainierte.

Der zerstörte Traum: Wegen einer Rangelei nach dem WM-Viertelfinal-Sieg gegen Argentinien sperrt die Fifa Torsten Frings (rechts) 2006 fürs Halbfinale gegen Italien. Noch heute sagen viele: Mit Frings wäre Deutschland Weltmeister geworden.
"In der Nationalmannschaft geht es nicht nach Leistung"
Frings macht keinen Hehl daraus, dass er Magath nicht mochte. Er macht selten einen Hehl daraus, wenn ihn etwas ärgert, stört, enttäuscht. Er sagt oft, dass er seine Ruhe haben will, und kann das nicht so: sich auf die Zunge beißen, wie man so schön sagt. Er nörgelte an der Schönspielerei des Mitspielers Diego herum, er prangerte als älterer Nationalspieler an, dass sich junge Nationalspieler zu schnell zu groß fühlen würden. Er geriet mit dem Bundestrainer aneinander. „Dass es in der Nationalmannschaft nicht nach Leistung geht, das weiß doch jeder“, sagte Frings 2010, als Joachim Löw ihn nicht mitnahm zur WM.
Als im September 2016 Frank Baumann, jahrelang Mitspieler und nun als Werders Sportchef der Vorgesetzte von Co-Trainer Frings, ihn von der Freistellung unterrichtete, war das etwas, was ihm wehtat. Womöglich nicht so sehr wie damals 2006, als wegen einer letztlich lächerlichen und rein politisch motivierten Fifa-Sperre sein WM-Traum kaputtging. Aber als Werder-Legende gehen zu müssen? Das kann einen wie Torsten Frings nicht anders als ganz tief treffen. „Natürlich war ich enttäuscht“, hat er neulich auf einer Pressekonferenz bestätigt. Alles andere würde man ihm ohnehin nicht abnehmen. „Er ist immer gerade heraus“, sagt Kosicke.
Kosicke weiß auch, dass sein Klient ein Typ ist, der seine Enttäuschung rauslässt, aber nicht in ihr versinkt. Frings sei bewusst gewesen: Als er bei Werder 2014, nach zwei letzten Spieler-Jahren in der Major League Soccer beim FC Toronto und ersten Anfängen als Nachwuchstrainer, einen Vertrag als Assistent von Cheftrainer Viktor Skripnik unterschrieben hat, da hat er quasi auch sein Ende bei Werder unterschrieben.

Das letzte Werder-Kapitel: Als Assistent von Cheftrainer Viktor Skripnik stand Torsten Frings knapp zwei Jahre lang in sportlich schweren Zeiten in der Verantwortung. Im ersten Jahr lief es gut, im zweiten nicht mehr.
Frings wollte schon lange Cheftrainer werden
Die Enttäuschung, es nicht länger versuchen zu dürfen an Skripniks Seite und mit neu verpflichteten Top-Spielern wie Gnabry oder Kruse, trug eine Chance in sich. Die Chance auf das, was er wollte: Cheftrainer werden. Das war schon lange das Ziel. Irgendwann sollte es so weit sein.
„Und er wäre auch Cheftrainer bei einem engagierten Drittligisten geworden“, sagt Kosicke. Wirklich? Frings, der große Frings, beim Schlusslicht Darmstadt, diesem Mauerblümchen der Bundesliga, das sich „Lilien“ nennt? Ja, genau. Kampf und ehrlicher Schweiß, das sind die 98-Merkmale, deswegen passt das irgendwie doch: großer Frings und kleine Lilien. Man habe jemanden gesucht, „den es nicht stört, dass die Fliesen angekratzt sind“, erzählt Kosicke von den Verhandlungen.
Frings soll im Abstiegsfall bleiben und an einem Konzept für die Etablierung in der zweiten Liga basteln. Er soll der Mann für die mittelfristige Strategie sein statt nur für den kurzfristigen Glanz. Die 98-Spieler sprechen mit hohem Respekt von ihrem neuen Trainer. Profis wie Hamit Altintop sind vor allem wegen Frings nach Darmstadt gekommen.
Alte Schule, neues Denken
Trainer-Talente wie Björn Müller auch. Müller war zuvor Assistenz-Coach der U 19-Nationalmannschaft und beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) in der Fußballlehrer-Ausbildung tätig. Frings hatte ihn in seiner Ausbildungszeit kennengelernt. Die Verpflichtung erzählt etwas darüber, wie der Trainer Frings tickt. Der Trainer Frings ist mehr als nur die Fortsetzung des Spielers Frings. Er ist einer, der aus der Zeit der alten Platzhirsch-Kultur stammt. Alte Schule, wenn man so will. Er weiß das.
Ganz bewusst holte er darum noch im Wintertrainingslager jemanden aus der DFB-Akademie in sein Trainerteam. Die Trainerteams in der Liga bestehen schon längst nicht mehr vorwiegend aus Männern mit langer, erfolgreicher Spielerkarriere. Ob dieser Torsten Frings seine Karriere als Trainer so erfolgreich gestalten kann wie die als Spieler, das kann niemand wissen. Dass er mehr ist als einer aus der alten Zeit, der außer gut gebrüllten Heißmacher-Parolen in der Kabine nicht so viel draufhat, muss man aber auch nicht denken.
Bei Werder sagen sie, sie müssen intelligent spielen gegen diese Darmstädter des Torsten Frings. Das könnte schon sein, dass den Darmstädtern des Frings nicht anders beizukommen ist. Der SV Darmstadt verlor zwar auch mit Frings, seit Januar im Amt, auswärts alles. Aber Klatschen waren es nicht. Die Tore fielen oft erst sehr spät. Das Spiel gegen Frings, es könnte spannend werden. Für den Fall, dass es noch nicht gesagt wurde: Emotional wird es auf jeden Fall auch.