Bremen. Am Sonnabend haben die Double-Sieger von 2004 das Weserstadion besucht. Bei ihrer Visite an alter Wirkungsstätte schlug ihnen noch immer eine große Welle der Sympathie entgegen. Vor allem einer wurde umjubelt.
Ümit Davala ahnte, wie es sein wird. Er war schon letztes Jahr da, beim Abschiedsspiel von Torsten Frings. „Da habe ich eine Gänsehaut bekommen, und heute werde ich die auch bekommen“, sagte der Rechtsverteidiger von Werders Meistermannschaft 2004. Das sagte er im Werder-Museum, wo sich eine Stunde vor dem Anstoß gestern zahlreiche Double-Helden eingefunden hatten. In der Halbzeitpause des Hertha-Spiels gingen Davala und die anderen dann hinaus auf den Rasen des Weserstadions – und er bekam eine Gänsehaut.
Das kann nicht anders gewesen sein, auch wenn juristisch wasserdichte Informationen darüber nicht zu bekommen waren. Aber diese Halbzeitpause wurde genau das, was viele sich von ihr erhofft hatten: ein weiterer emotionaler Höhepunkt an einem Fußball-Nachmittag der Emotionen. Einer nach dem anderen liefen die Jubilare in die Arena ein, um sich für den zehnten Geburtstag des Werder-Doubles feiern zu lassen. Andreas Reinke, Nelson Valdez, Ümit Davala, Fabian Ernst, Mladen Krstajic, Pascal Borel, Markus Daun. Als die Reihe an Johan Micoud war, verwandelte sich der anständige Beifall in einen anständigen Orkan. Micoud war auch zehn Jahre danach wieder: Micoud. Also der Mann mit der maximalen Eleganz. Der Coolste. Der Lässigste. Er hatte damals den größten Fußball von allen gespielt – und hat heute den größten Abstand von allen zum Fußball.
"Le Chef" hat Abstand vom Fußball genommen
Alles laufe prima auf seinem Weinberg bei Bordeaux, erzählte er den Journalisten, und nein, ein Trainerschein würde ihn nicht reizen. Der Weinberg, die Familie, das Leben, und ab und zu mal zum Fußball als TV-Experte – man konnte nicht anders, man musste diesen inzwischen 40-jährigen Mann beneiden. Wenn man es nicht geschafft hatte, ihn zu bewundern.
Der zweite Orkan in der Halbzeitpause galt Ailton, dem Werder-Liebling auf ewig. Wer zuvor in der Reporterrunde auf ein wenig Ailton-Rhetorik gehofft hatte, wurde nicht enttäuscht. „Heute müssen wir präsentier’“, sagte er zum Tagesprogramm der Double-Helden und präsentierte Geschichten von damals, die fürs Herz waren. Dieses Meister-Spiel am 8. Mai 2004 in München, das sei „für mein Herz zuviel“ gewesen, als es schließlich 3:1 gewonnen war und alle sich in den Armen lagen. Nix gegessen und nix getrunken habe er damals angeblich am Tag vorm Spiel, weil nur Bayern, Bayern, Bayern, Bayern in seinem Kopf gewesen sei. Am Morgen vor dem Spiel habe er dann beim Frühstück ordentlich gespachtelt, um dann ein Traumtor für die Ewigkeit zu schießen.
Ein dritter Beifallsorkan konnte verzeichnet werden, gestern, in der womöglich herzergreifendsten Halbzeitpause in der Geschichte von Bremer Halbzeitpausen. Auftritt Thomas Schaaf. Grüner Pullover, braune Lederjacke und vor allem: eine Brille, die man eher auf der Nase einer aufgeregten Mode-Ikone erwartet hätte als auf der eines ehemaligen und ehemals sehr unaufgeregten Fußballtrainers.
Schaafs Worte ins Stadion-Mikro gingen unter, weil er zuvor – unfreiwillig – dafür gesorgt hatte. Er schob „Le Chef“ Micoud vor die Fankurve. Die Fankurve stimmte dröhnend das Micoud-Lied an, während Schaafs Worte zunehmend unhörbar verhallten. Geheimnisse, etwa zur beruflichen Zukunft, hätte er allerdings auch nicht verraten. Er stellte sich zuvor den Reportern in fast schon tiefenentspannt zu nennender Verfassung und verwies auf den nicht zu widerlegenden Umstand, dass er heute da sei wegen der Double-Feier. Nicht aber, um über seine Pläne zu informieren.
Zum Anlass Double sprach er jedoch ausführlich, sprach von „dieser Glückseligkeit, Verbundenheit und Identifikation“, der Bremer Stimmung damals. Und gab zu, dass er keine Ahnung hat, „was auf dem Ding drauf war“. Das Ding war die Videokamera, mit der er damals aus dem Cockpit der Werder-Maschine die jubelnden Fan-Massen filmte. Angeblich ist alles verwackelt, oder nur eine Betonmauer zu sehen, weil die Kamera zu hoch gehalten wurde.
Geschichten wie diese werden den gestrigen Abend geprägt haben, an dem die Meister von einst noch lange zusammensaßen. Paul Stalteri ahnte: „Sicher kommen die alten Geschichten raus – und sie werden jedes Jahr besser.“