Für einen Moment herrschte Verwirrung bei der Vorstellung des neuen Werder-Trainers Horst Steffen. Nach der Wortmeldung einer jüngeren Radioreporterin war nicht klar, ob man gerade den Start in ein neues Werder-Zeitalter erlebte oder einfach nur eine alberne Frage: Ob Werder mal einen richtigen „Aura Farmer“ verpflichten wolle, wurde Steffen gefragt. Also einen echten Star, so könnte man diese Jugendsprache übersetzen. Der neue Trainer übergab das Wort da mal lieber an seinen Chef Clemens Fritz. Und wo frühere Bundesligamanager vom Schlage eines Rudi Assauer auf den „Aura Farmer“ geantwortet hätten, dass man mit Bauernsöhnen oft gute Erfahrungen gemacht habe, meisterte Fritz diese Hürde sehr zukunftsgewandt: „Vielleicht sollten wir den selbst entwickeln. Dann könnten alle in Bremen stolz drauf sein.“
Denn es ist ja so: Dreimal haben es die Bremer zuletzt mit einem neuen Star versucht, doch die Experimente mit Naby Keita, Raphael Borré und zuletzt André Silva scheiterten alle – während Werder in dieser Zeit Toptalente wie die beiden gebürtigen Bremer Eren Dinkci und Nick Woltemade an die Konkurrenz verlor. Nach den ersten Eindrücken könnte es sein, dass Werders größter Star für die neue Saison erneut auf der Bank sitzt, diesmal aber auf dem Chefsessel: Denn mit seiner sympathischen und offenen Art erobert Horst Steffen den Verein gerade im Sturm.
Der neue Werder-Trainer ist eine spannende Personalie. Nach seinen Anfängen als Jugendcoach hat sich der frühere Bundesliga-Profi von der Landesliga bis zu Werder hochgearbeitet. Als er das letzte Mal einen neuen Job antrat, war das bei der SV Elversberg in der Regionalliga Südwest. Der erste Gegner im Herbst 2018 hieß Balingen. In sechseinhalb Jahren führte er Elversberg bis in die Spitzengruppe der 2. Bundesliga. Für seinen Heidenheimer Kollegen Frank Schmidt ist er deshalb „der Trainer des Jahres“. Mit 56 arbeitet Steffen nun erstmals in der Bundesliga.
Das klingt märchenhaft, birgt aber Risiken: Die Fallstricke einer mit Egos gespickten Bundesliga-Kabine kennt Steffen nur aus seiner Spielerzeit. Deshalb war es clever, bei seinem Start nicht nur über die Förderung von Talenten zu sprechen, sondern ungefragt zu betonen, dass sich unter ihm in Elversberg auch ältere Spieler verbessert haben. Gerade bei Werder, wo sich eine routinierte erste Elf etablierte, achten die Profis genau darauf, was der bevorstehende Umbruch für sie bedeutet. Werder wird beides brauchen: junge und erfahrene Spieler.
Viele Videos muss Steffen nicht schauen, um sich ein Bild seiner neuen Mannschaft zu machen. Denn Werder spielte fast immer gleich. Genau das will Steffen ändern: Auch mal mit Viererkette spielen, die Formationen und Spieler je nach Gegner wechseln und nicht alles so lassen, weil es mal funktioniert hat. Für viele bei Werder wird das völlig neu. Seine klare Botschaft an die Spieler war: Wer einen Stammplatz will, bekommt den im Tausch gegen Fleiß, Leidenschaft und eine hohe Laufbereitschaft.
Sein Vater war Nationalspieler
Sein Erfolg in Bremen wird auch von der Qualität des Kaders abhängen. Sollte Werder Stammkräfte wie Romano Schmid, Marvin Ducksch und Jens Stage ersatzlos verlieren, könnte auch ein Star-Trainer wie Pep Guardiola nicht viel erreichen. Und wenn Werder mit diesem ausgewiesenen Spieler-Entwickler Talente formen möchte, könnte es auch mal schmerzhafte Niederlagen geben oder schlechtere Platzierungen als den achten Platz, den Ole Werner erreichte. Das müsste man dann aushalten.
Statt des jüngsten Trainers hat Werder nun den ältesten der Liga. Steffen ist 56, tritt sein Werder-Abenteuer aber mit der Begeisterung eines Jungspundes an. Fußball liegt ihm im Blut: Sein Vater Bernhard war Nationalspieler unter Sepp Herberger. Und neuerdings hat Horst Steffen den gleichen Berater wie Bundestrainer Julian Nagelsmann: Volker Struth, den einflussreichsten Strippenzieher des Fußballs. Für Werder könnte sich dadurch ein spannendes Netzwerk öffnen. Er ist inzwischen halt auch selbst ein kleiner „Aura Farmer“, der neue Werder-Trainer.