Bremen. Nach dem Nordderby ging Sebastian Mielitz für seine Verhältnisse geradezu aus sich heraus. Werders sonst so ruhiger Torwart kletterte nach dem 2:0 auf den Zaun vor der Osttribüne und heizte mit dem Megafon die Fans an. Oliver Matiszick unterhielt sich mit Werders neuer Nummer eins über das, was sich sonst noch alles für ihn in den vergangenen zweieinhalb Monaten verändert hat.
Während der Vorbereitung haben Sie erzählt, dass es immer schon Ihr Traum war, für Werder als Nummer eins aufzulaufen. Wie ist es denn so, wenn man seinen Traum leben kann?
Sebastian Mielitz: Als erstes habe ich mir ja schon mal den Traum erfüllt, überhaupt Fußballprofi geworden zu sein. Jetzt die Nummer eins bei Werder zu sein, das ist ein weiterer Schritt. Es macht mich stolz, dass ich das geschafft habe – aber es ist auch eine Verpflichtung. Ich darf mich nicht ausruhen.
So eine Verpflichtung kann ja auch belasten. Haben Sie vor dem Saisoneröffnungsspiel in Dortmund womöglich schlechter geschlafen als sonst?
Auf keinen Fall. Nein.
Keinerlei Nervosität? Obwohl sich der Blick auf Sie verändert hat? Vorher waren Sie der Vertreter – nun sind Sie der Platzhirsch, der auch kritischer beäugt wird.
Die Situation ist eine andere als in den Jahren davor, der Druck auch. Das lässt sich nicht bestreiten. Aber ich habe auch schon als Ersatzmann jedes Training so bestritten, als ob ich dann im Spiel dabei wäre.
So ruhig wie Sie das jetzt erzählen, wirken Sie dann auch auf dem Platz. Woher nehmen Sie das? Sie sind 23.
Weshalb sollte ich denn irgendwas rausposaunen? Ich bin von Haus aus ein eher ruhiger Mensch – und man muss als Torwart ja auch Ruhe ausstrahlen. Natürlich muss man auf dem Platz auch mal laut werden, wenn es nötig ist.
Mal abgesehen davon, dass Sie ein ruhiger Typ sind, weiß man über den Privatmenschen Mielitz recht wenig.
Das ist ja auch gut so... Freunde treffen, etwas mit meiner Freundin unternehmen, Rad fahren – es ist aber auch nichts Außergewöhnliches dabei. Ich versuche, das alles so diskret wie möglich zu halten.
Geht das denn jetzt noch so einfach? Ist es schon schwieriger geworden, unbehelligt durch die Stadt zu gehen?
Das ist schon anders als noch vor einem halben Jahr. Die Blicke sind mehr geworden – vielleicht nehme ich das aber auch nur anders wahr.
Wie geht man damit um? Wenn man einfach nur ausgehen will und merkt, dass die Leute auf einen schauen und tuscheln?
Solange das positiv ist...
Es kann aber auch schnell in die andere Richtung gehen. Wie bereitet man sich darauf vor?
Bis jetzt gar nicht – weil ich ein von Grund auf positiver Mensch bin. Natürlich wird es auch Phasen geben, in denen es nicht so läuft. Da muss man dann mit harter Arbeit, Besonnenheit und Geduld rangehen.
Das sind Tugenden, die auch ein Ersatztorhüter braucht – manche bleiben es ihre ganze Karriere lang. Sie nicht. Lässt sich sagen, dass Sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren?
Es gab tatsächlich viele für mich günstige Umstände. Wäre Christian Vander damals nicht lange verletzt ausgefallen, wäre ich nicht zum Ersatzmann aufgestiegen. Hätte Tim Wiese nicht mal krank oder gesperrt gefehlt, hätte ich nie gespielt.
Es hätte – bei einem neuen Vertrag für Tim Wiese – aber auch noch drei Jahre so weitergehen können. Und wenn der entscheidende Schritt dann doch nicht gelingt, muss man doch als Fußballprofi sehen, wo man selbst bleibt.
Ich war immer überzeugt, dass mein Weg hier noch nicht zu Ende ist – und zum Glück ist es ja Werder geblieben. Natürlich ist es so, dass man als Profi nur eine begrenzte Zeit hat, in der man sein Geld in trockene Tücher bringen muss. Andererseits: Es hätte ja auch als Fußballer nicht klappen können, also habe ich damals mein Abitur gemacht.
Und was wäre dann Plan B gewesen?
Ich hätte studiert. Auf jeden Fall etwas mit Sport.
Plan A funktioniert aber – wie könnte der weiter verlaufen? Andere junge Torhüter wie ter Stegen oder Zieler haben sehr schnell den Schritt nach ganz oben gemacht. Gibt es bei Ihnen auch Träume?
Träume sind immer gut, aber man darf auch nicht zu lange träumen. An oberster Stelle steht bei mir, dass ich mit Werder eine gute Saison spielen möchte. Und was danach kommt? Ich denke, wenn die Leistung stimmt und das ganze Drumherum passt, dann kann noch eine Menge passieren.
Wie sehr haben Sie das Gefühl, dass Sie sich auf Ihre Abwehr schon verlassen können, dass die schon gefestigt ist?
Das sind schließlich alles Nationalspieler...
...die sich in dieser Zusammenstellung aber auch erst einmal finden müssen.
Ja, aber sie haben für ihr Alter alle schon eine recht große Erfahrung. Es müssen noch kleine Zahnrädchen gedreht werden, damit alles richtig ineinander passt. Und das wird von Spiel zu Spiel besser.
Sind Sie selbst überrascht, wie gut die Zahnräder in der neuen Mannschaft insgesamt schon ineinandergreifen?
Eigentlich nicht.
Weshalb nicht?
Weil fast alle die Vorbereitung komplett mitgemacht haben und zu sehen war, dass jeder will. Jeder ist für den anderen da und kämpft für den anderen. Das war im Vorjahr vielleicht nicht so ausgeprägt.
Aber muss dieses Wollen bei Profis nicht selbstverständlich sein?
Ja. Aber jetzt holt jeder vielleicht noch ein Prozent mehr aus sich heraus.
Wohin könnte das im Idealfall führen?
Dass wir viele schöne Spiele gewinnen, guten Fußball spielen und die Fans begeistern, auf dass sie immer hinter uns stehen.
War das Nordderby da schon ein Aha-Erlebnis der neuen Mannschaft mit den Fans? Werder hatte zuvor seit März kein Heimspiel mehr gewonnen.
Wenn man das Nordderby gewinnt, ist doch immer Ausnahmezustand.
Gehörte zu dem Ausnahmezustand, dass Sie hinterher mit dem Megafon auf den Zaun vor der Fankurve geklettert sind? Das hat man von Ihnen noch nie gesehen.
Doch – nach einem Spiel gegen Nürnberg (Werder gewann 4:2; d. Red.) habe ich das schon ein einziges Mal gemacht. Aber eigentlich war das ja auch immer das Ding von Tim Wiese.
Das haben Sie also von ihm geerbt?
Nein, ich möchte ihn da auch gar nicht kopieren. Aber die Fans haben mich gefordert – und ich dachte, dann tue ich ihnen den Gefallen. Alle hatten Spaß, und am Ende war es eine Riesenparty.
Ihrem Vorgänger Tim Wiese dürfte die Partylaune in Hoffenheim inzwischen vergangen sein.
Zehn Gegentore in drei Pflichtspielen – das ist für einen Torhüter immer unbefriedigend. Von daher kann ich gut mit ihm fühlen. Aber ich verfolge das nur am Rande.
Im Gegensatz zu früher würden Sie jetzt aber wohl nicht mit ihm tauschen wollen.
Sicher nicht.