Mit gemischten Gefühlen startet der SV Werder an diesem Wochenende ins neue Fußballjahr. Einerseits ist der neunte Tabellenplatz, auf dem Bremen überwintern durfte, eine freudige Überraschung. So weit vorne hätte kaum jemand den Aufsteiger erwartet. Andererseits spielte Werder für diese Platzierung am Limit, was keine Mannschaft eine ganze Saison lang durchhält. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die nächsten Monate bis zum Saisonende eher turbulenter verlaufen.
Die nun anstehenden Spiele beim 1. FC Köln und am Mittwoch im Weserstadion gegen Union Berlin werden erste Hinweise liefern, ob Werder die Euphorie nach dem Aufstieg ins neue Jahr retten konnte. Beide Partien gehören noch zur Hinrunde der Saison, die wegen der Wüsten-Weltmeisterschaft lange unterbrochen wurde. Die Rückrunde beginnt erst in einer Woche mit dem Heimspiel gegen Wolfsburg.
Natürlich hängt für den weiteren Saisonverlauf viel davon ab, ob Nationalstürmer Niclas Füllkrug an der Weser bleibt. Er ist der beste Spieler der Mannschaft, sein Wirken hat nicht nur wegen seiner zehn Saisontore enormen Einfluss auf die Ergebnisse. Es gibt aber auch andere Gründe für die neue Stabilität. Vor zwei Jahren musste Werder leidvoll erfahren, dass der Profifußball keine Fehler bei der Kaderzusammenstellung verzeiht. Damals stieg der Verein wegen einer verletzungsanfälligen Mannschaft ab. Heute sieht man: Wer aus solchen Fehlern lernt, wird dafür belohnt.
Dass Werder als Aufsteiger in der oberen Tabellenhälfte rangiert, hängt nämlich auch mit diesen Zahlen zusammen: 14 von 15, 15 von 15, 15 von 15 und 10 von 15. Das sind die Einsatzstatistiken der Defensivspieler Amos Pieper, Anthony Jung, Mitchell Weiser und Niklas Stark. In den bisherigen 15 Saisonspielen standen sie fast immer zur Verfügung. Das gilt auch für die etablierten Milos Veljkovic und Marco Friedl. Vorbei sind die Zeiten, als Trainer Florian Kohfeldt fragen musste, wer bei Werder überhaupt spielen kann. Der jetzige Trainer Ole Werner muss häufiger die Frage klären, wen er am Spieltag draußen lässt.
Dass die genannten Pieper, Jung, Weiser und Stark nach dem Abstieg ablösefrei kamen, rechnet sich für die finanzschwachen Bremer längst doppelt und dreifach. Natürlich haben die Manager Frank Baumann und Clemens Fritz mit diesen Neuzugängen nicht in das hochklassige Regal gegriffen, in dem sie selbst einst als Nationalspieler rangierten. Dafür bringen diese Profis aber eine Zuverlässigkeit mit, die für einen klammen Aufsteiger mit kleinem Kader unersetzlich ist. Hier passt der alte Spruch, dass ein fahrender Kleinwagen nützlicher sein kann als eine kaputte Luxuslimousine. Wie oft hatte Werder auf den unersetzlichen Ömer Toprak verzichten müssen? Oder auf Niklas Moisander?
Nach der WM-Pause ist Werder nun der Verein, der wegen des deutschen Katar-Debakels nicht mit mieser Stimmung zu kämpfen hat, sondern mit ausufernder Euphorie: Füllkrug war der Gewinner im deutschen Team, der Spätberufene wird ein Jahr vor der Heim-Europameisterschaft weiter zum Kader von Bundestrainer Hansi Flick gehören. Nach seinen WM-Toren waren sie bei Werder gerne bereit, die schöne Geschichte von ihrem Niclas zu erzählen, dem Bremer Eigengewächs. Der als Teenager im Internat im Weserstadion lebte und an der Weser heimisch wurde. Seine Ausbildung war ja auch eine starke Leistung von allen, die im Nachwuchsleistungszentrum daran beteiligt waren.
Doch es gibt halt auch eine zweite Wahrheit: Die Doku-Serie, die der Sender DAZN ausstrahlte, zeigt in aller Deutlichkeit, dass Füllkrug zu Zeiten des Werder-Trainers Markus Anfang fast aus dem Verein gedrängt worden wäre. Glücklos und unglücklich wirkte er. Und dann im Sommer, nachdem seine Tore zum Aufstieg führten, kürzte ihm Werder bei der Vertragsverlängerung auch noch das Gehalt. Bei der WM war Füllkrug der Kleinverdiener unter den deutschen Spielern. Der Schlechteste war er nicht. Bis zum 31. Januar ist das Transferfenster noch offen. Dass er danach noch in Bremen spielt, ist dem Verein und den Fans zu wünschen. Aber selbstverständlich wäre es nicht.