Er kennt das alles, sehr genau sogar. Die Anfahrt mit dem Bus über den Osterdeich. Die Katakomben, inklusive Spielertunnel. Und natürlich: das Brodeln des Bremer Weserstadions, wenn es endlich auf den Rasen geht. So betrachtet, wird der kommende Samstag für Eren Dinkci ein Erlebnis sein, das für ihn alles andere als neu ist. Erleben wird er es allerdings in völlig ungewohnter Rolle. Erstmals in seiner Laufbahn tritt der 22-Jährige nämlich nicht als Profi des SV Werder Bremen im Weserstadion an, sondern als dessen Gegner. Mit dem 1. FC Heidenheim, an den Dinkci noch bis Saisonende ausgeliehen ist, möchte er gleich zwei Erfolgsgeschichten fortschreiben: die des mutigen Aufsteigers, der bisher eine starke Saison spielt, und natürlich auch seine eigene.
Dinkci will mehr Spielzeit in Bremen
Nun gehört es zur Natur der Sache, dass Spieler vor Duellen gegen ihre Ex-Vereine (oder in diesem Falle: Stammvereine) in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Bei Dinkci ist das nicht anders. Nur, dass er diesen Fokus, wenn man so möchte, mit forschen Aussagen noch zusätzlich scharf gestellt hat. „Wenn ich zurückkommen soll, dann würde ich aber schon gerne mehr Spielzeit haben als zuletzt“, hatte der schnelle Angreifer unlängst gegenüber der „Sportbild“ gesagt, um wenig später im Gespräch mit „Radio Bremen“ zu betonen: „Es klingt immer so böse, aber es ist einfach so: Hier in Heidenheim ist die Wertschätzung irgendwie höher als bei Werder.“ Schon im Spätsommer, kurz nach seinem Abgang aus Bremen, hatte Dinkci im Interview durchblicken lassen, dass er sich am Osterdeich nicht immer angemessen behandelt gefühlt hat. So habe es mit Cheftrainer Ole Werner kaum Gespräche gegeben. Seit Dinkci nun das Heidenheimer Trikot trägt, läuft es für ihn. Und wie.
In 19 von bisher 20 Bundesligaspielen (gegen RB Leipzig war er gesperrt) stand Dinkci in der Startelf des Aufsteigers. Sein Leistungsnachweis: sieben Tore (zwei davon im Hinspiel gegen die Bremer) und eine Vorlage. Mehr Leistungsträger geht eigentlich kaum, Heidenheim-Trainer Frank Schmidt setzt voll auf die Leihgabe – und wird dafür belohnt. Was natürlich auch bei Werder höchst aufmerksam registriert worden ist. „Wir sehen Erens positive Entwicklung, die er in Heidenheim genommen hat“, sagt Leiter Profifußball Clemens Fritz – und erklärt: „Er hat natürlich unheimlich viel Selbstvertrauen im Moment und weiß, dass die Wahrscheinlich sehr groß ist, dass er auch nach ein, zwei vielleicht etwas schwächeren Spielen wieder auf dem Platz steht.“ In Bremen war das nicht der Fall. Für Grün-Weiß bringt es das Eigengewächs bis dato auf 25 Bundesliga- sowie 21 Zweitliga-Einsätze mit einer Gesamtspielzeit von 930 Minuten, also rund 20 pro Partie. Weil Dinkci das zu wenig war, wollte er im Sommer weg. Dass er sich jetzt durchaus kritisch äußert, stört Fritz nicht: „Für mich ist das überhaupt kein Problem.“
Werders Cheftrainer Ole Werner zeigt sich von Dinkcis Leistungsexplosion vom Ergänzungs- hin zum gestandenen Bundesligaspieler derweil nicht überrascht. „Ich wundere mich überhaupt nicht darüber, wie gut er aktuell drauf ist“, sagt er, „weil wir grundsätzlich an ihn und seine Fähigkeiten glauben. Deswegen haben wir ihn im Sommer ja auch verliehen und nicht fest abgegeben.“ Man dürfe aber nicht vergessen, dass zu dem Zeitpunkt, als Dinkcis Ausleihe besiegelt wurde, das Bremer Sturmduo noch Niclas Füllkrug und Marvin Ducksch hieß. „Da konnten wir Eren nicht garantieren, dass er mehr Spielzeit bekommt“, erklärt Werner. Dazu, dass der gebürtige Bremer diese nun erfolgreich beim kommenden Gegner sammelt, sagt Fritz: „Das war der Plan der Ausleihe, und er geht voll und ganz auf.“ Ab Sommer sei Dinkci dann wieder fest bei Werder eingeplant. Dafür, dem Spieler schon jetzt konkrete Perspektiven für die Saison 2024/25 aufzuzeigen, ist es laut Fritz und Werner aber noch zu früh.
Durchaus denkbar, dass Dinkci seine Zukunft trotz Vertrags bis 2025 nicht mehr in Bremen sieht, sollten ihn besagte Perspektiven nicht überzeugen. Interessenten dürfte er mit seinen guten Auftritten in der laufenden Saison jedenfalls genug auf den Plan gerufen haben. Schon jetzt. Grundsätzlich sieht Dinkci „seinen“ SV Werder aber nach wie vor als erste Anlaufstelle, ja fast schon als so etwas wie einen Sehnsuchtsort an. „Ich liebe den Verein und die Fans – und natürlich die Stadt. Ich wurde in Bremen geboren, meine Familie und Freunde leben dort. Das ist meine Heimat, und das wird sich niemals ändern“, hatte er gegenüber der DeichStube gesagt. Im Gespräch mit „Radio Bremen“ erneuerte er unlängst diesen Standpunkt und versicherte, dass Werder immer „mein Top-eins-Verein in Deutschland blieben wird“. Wenig überraschend musste der Bremer Dinkci im Vorfeld seines besonderen Gastspiels an der Weser viele private Kartenanfragen abarbeiten. Zahlreiche Menschen aus seinem Umfeld dürften sich freuen, sollte der Stürmer in der neuen Saison tatsächlich wieder für Werder auf dem Platz stehen, am besten natürlich: regelmäßig und häufiger als vor seinem Abschied.