Der Auftritt war ein echter Wirkungstreffer. Einer, der sich nicht so einfach wegreden lässt. Dafür war die Leistung des SV Werder Bremen in Stuttgart zu erschütternd. Mit einer ruhigen, aber präzisen Analyse soll das Gezeigte – oder eben Nicht-Gezeigte – aufgearbeitet werden. Und es gibt viel zu analysieren. Werder hat schließlich nicht einfach nur verloren, sondern in gnadenloser Deutlichkeit aufgezeigt bekommen, wo es hakt. Da ist es nur logisch, dass es auch tabellarisch immer ungemütlicher wird. Als 13. haben die Bremer elf Zähler auf dem Konto, der Vorsprung auf den Relegationsrang beträgt mickrige zwei Pünktchen. „Wir wissen alle ganz genau, worum es geht – und leider geht es auch in diesem Jahr wieder darum“, sagt Kapitän Marco Friedl mit Blick auf den Klassenerhalt. Und Trainer Ole Werner meint: „Die Situation ist sicherlich schwierig, aber das ist nichts, was uns vollkommen überraschen darf.“ In der vergangenen Woche jährte sich seine Amtsübernahme zum zweiten Mal, die Baustellen werden nicht weniger. Doch es müssen Lösungen her. Die nächsten Partien sind deshalb richtungsweisend. Für Werder und auch für ihn selbst.
Wie sehr schadet das Torwartthema?
Michael Zetterer war nach eigener Aussage durchaus verwundert, wie häufig ihn die Journalisten nach dem Stuttgart-Spiel auf die Entstehung der Gegentore angesprochen haben und auch mit Kritik nicht sparten. „Verunsichern lasse ich mich davon aber nicht“, betonte er am Sonntagabend im „Sportclub“ des NDR. „Ich glaube, ich habe in den letzten Wochen gezeigt, dass Werder kein Torwartproblem hat.“ Wenn man es genau nimmt, hatte das auch Jiri Pavlenka zuvor getan. Jahrelang war der Tscheche die Nummer eins, eine kurze Verletzungspause genügte Ole Werner und seinem Trainerteam nun, um die Verhältnisse umzukehren. Doch zahlt sich der Schritt wirklich aus? Zetterer hätte gegen den VfB ohnehin gespielt – schließlich fehlte Pavlenka krankheitsbedingt. Dem gebürtigen Münchener in einer gänzlich schwachen Mannschaft die Alleinschuld an der Niederlage zu geben, wäre obendrein völlig falsch. Aber die Beteiligung daran ist eben nicht zu leugnen. All das passiert zu einem Zeitpunkt, der unpassender kaum sein könnte. Denn so gibt es nun einen weiteren Reibungspunkt bei Werder, der für Brisanz sorgt.
Was passiert in der Defensive?
In Stuttgart wurden die Bremer Schwachstellen offensichtlich. Personell wie taktisch. Von der viel gelobten Kompaktheit der Vorwochen war im Schwabenland nichts zu sehen. „Wir müssen Situationen schneller erkennen und Abstände verringern. Wenn die Abstände nicht gut sind und wir nicht erkannt haben, rechtzeitig rauszuschieben, dann müssen wir es individuell verteidigen“, erklärt Werner. Doch genau das war gegen – zugegeben – bärenstarke Stuttgarter überhaupt nicht gelungen. Nach etwas mehr als einer Stunde reagierte Werner, brachte Niklas Stark für Veljkovic – und keine neun Minuten später hatte der Eingewechselte einen Elfmeter verursacht. Seine stärksten Partien hat Stark ohnehin im Zentrum der Kette gemacht, wo aktuell jedoch Marco Friedl spielt, der in Stuttgart noch den gefestigtsten Eindruck machte. Was also tun? Aufgrund des Knöchelbruchs von Amos Pieper sind weitere Alternativen zudem rar gesät. Alles keine rosigen Aussichten, doch es muss ja weitergehen. Irgendwie. „Ab Dienstag müssen wir uns konzentriert auf das Spiel vorbereiten und vor allem zusammenbleiben“, appelliert Clemens Fritz, Werders Leiter Profifußball, einmal mehr an den Zusammenhalt des Teams. „Es ist das Entscheidende, dass jeder das Beste unter der Woche auf den Trainingsplatz bringt, dass wir die Spannung hochhalten und jeder sich einbringt.“
Was bringen die Wechsel?
Streng genommen hätte Ole Werner in Stuttgart bereits zur Pause handeln können. Oder sogar müssen. Zu desolat waren die ersten 45 Minuten, zu zahlreich die individuellen Unzulänglichkeiten. Werders Coach tauscht erfahrungsgemäß meist etwas später das Personal, weshalb sein Handeln nach 63 Minuten fast schon außergewöhnlich war. Neben dem erwähnten Veljkovic musste auch ein enttäuschender Marvin Ducksch vom Feld. Ziemlich überraschend tat sich dagegen im Mittelfeld zunächst nichts, obwohl weder Jens Stage noch Leonardo Bittencourt oder Romano Schmid einen längeren Einsatz gerechtfertigt hatten. Doch auch in diesem Bereich krankt es an verlässlichen Optionen – weshalb nicht einmal auf den mitgereisten Naby Keita zurückgegriffen wurde. Auch das lässt tief blicken.
Offensiv enttäuschte Werder deshalb gegen den VfB auf ganzer Linie. Weil eigene Aktionen unzulänglich ausgeführt wurden und der Gegner jeglichen Wind direkt aus den Segeln nahm. „Wenn man sehr tief steht, ist der Weg zum gegnerischen Tor natürlich sehr weit. Wenn du dann noch viele Bälle im Gegenpressing verlierst, wie wir es getan haben, wird es schwer“, sagt Ole Werner. Mit der Hereinnahme von Justin Njinmah änderte sich das immerhin ein wenig, weil der schnelle Youngster während seines halbstündigen Einsatzes in der Lage war, auch ungenau nach vorne geschlagene Bälle zu erlaufen. Aber ob das jetzt das Heilmittel ist? Weitere „Offensivpower“ brachte Werders Coach dagegen erst in der 89. Minute – als das Spiel längst entschieden war. Der wochenlang abgemeldete Dawid Kownacki durfte sich noch kurz zeigen, Nick Woltemade wartete dagegen vergeblich auf eine Berücksichtigung.
Wie soll die Wende gelingen?
Nun nehmen die beiden jüngsten Gegner Leverkusen und Stuttgart in gewisser Hinsicht eine Ausnahmestellung im Spielplan ein, beide Clubs überzeugen aktuell mit einem schönen Angriffsspiel und schnellen Akteuren. Werder muss die Punkte woanders holen, denn ein sogenannter Überraschungssieg gegen einen Großen der Liga scheint derzeit nicht im Bereich des Möglichen. Folglich ist das kommende Duell mit dem FC Augsburg von ganz besonderer Bedeutung. Auch um die frustrierten Anhänger nicht weiter zu verprellen. „Wir müssen einfach direkt am Samstag ein ganz anderes Gesicht zeigen und das ganze Stadion, alle Fans wieder mit ins Boot holen“, fordert Michael Zetterer. Und Kapitän Friedl betont: „Das ist ein unfassbar wichtiges Spiel gegen Augsburg. Das müssen wir gewinnen.“ Wird aber gar nicht so einfach: Die Augsburger sind in ihren sechs bisherigen Spielen unter Neu-Trainer Jess Thorup tatsächlich noch ungeschlagen (drei Siege, drei Unentschieden).