Ein paar Wochen sind es noch, die Eren Dinkci in seiner kleinen Wohnung vor den Toren Heidenheims verbringt. Eine hübsche möblierte Unterkunft, in der es sich der 22-Jährige gemütlich gemacht hat. „Ich bin jetzt komplett selbstständig, habe nicht mehr das ,Hotel Mama‘ bei mir und muss mich komplett um alles selbst kümmern – sei es putzen, kochen, bügeln“, erzählt der Offensivspieler lachend in der Sendung „Meine Geschichte“ beim Pay-TV-Sender Sky. „Das war brutal wichtig.“ Im Normalfall hätte Dinkci trotzdem ab kommendem Sommer wieder die familiären Vorteile in der Heimat genießen können, doch aus einer Rückkehr zum SV Werder Bremen wurde nach der Leihe in den Süden bekanntlich nichts. Stattdessen wechselt der Angreifer lieber fest zum SC Freiburg – und bei der Suche nach den Gründen ist deutlich durchzuhören, wie groß die Enttäuschung auf mehreren Ebenen über das Verhalten der Werder-Verantwortlichen ist.
„Ich kann es ja jetzt sagen: Freiburg hat sich sehr, sehr früh bei meinen Beratern gemeldet – unüblich früh, wie sie mir gesagt haben“, schildert der gebürtige Bremer. „Das war schon letztes Jahr im Winter. Das ist nicht normal. Ich glaube, wenn solch ein Verein wie der SC Freiburg da schon nach einem Spieler fragt, wirklich jeden Monat, jede Woche hinterher ist und sich erkundigt, wie die Situation ist, dann ist das ein Statement. Das ist ja auch eine gewisse Art von Wertschätzung.“ Genau die habe er in diesem Umfang von seinem Herzensverein nicht mehr gespürt. „Ich wusste natürlich, dass Werder mich für die nächste Saison haben möchte, aber es kam nicht so zum Ausdruck wie beim SC Freiburg“, urteilt Dinkci und beklagt: „Ich hätte mir schon ein bisschen mehr gewünscht, um ehrlich zu sein. Ich brauche hier jetzt auch nicht herumzulügen.“
Es ist nicht die einzige verbale Schelte, die er viele Kilometer gen Norden schickt. Auch Werder-Coach Ole Werner rückt Dinkci in kein besonders gutes Licht – ohne dass er den Namen des 35-Jährigen überhaupt in den Mund nimmt. „Vertrauen ist bei mir sehr weit oben“, leitet der Profi ein, ehe er einen kleinen Streifzug durch seine Werder-Vergangenheit beginnt: „Ich hatte in der U19 in Marco Grote einen Trainer, der mir brutales Vertrauen gegeben hat. Und in der U23 hatte ich das anschließend auch, unter Markus Anfang dann ebenfalls. Doch danach ist das peu á peu weggegangen.“ Eben in jener Zeit, seit Werner am Osterdeich das Sagen hat. „Und man muss halt ehrlich sein, dass es jetzt zurückkommt in diesem Jahr durch Frank Schmidt.“ Der Trainer der Heidenheimer setzt komplett auf die Leihgabe, in 29 Liga-Partien gab es einen Platz in der Startelf des Aufsteigers. Eren Dinkci nutzte die Chance, schaffte endgültig den Durchbruch im deutschen Fußball-Oberhaus und bringt es bislang auf neun Saisontreffer und fünf Torvorlagen. Es geht ihm inzwischen so gut, dass er sich an längst vergangene Tage erinnert fühlt: „Ich habe momentan wieder die Freude am Fußballspielen wie damals in der U19.“
Entwicklungsschub dank mehr Vertrauen
Es war eine Zeit, in der die Entwicklung des Torjägers noch einmal einen richtigen Schub erhielt. Lange flog Dinkci unterm Radar, schaffte nicht den ersehnten Sprung in die Nachwuchsabteilung eines namhaften Clubs. Zu U17-Zeiten misslang beispielsweise ein Probetraining bei Rot-Weiß Erfurt. „Um ehrlich zu sein, hatte ich da meinen Glauben an mich verloren“, gibt er heute zu. „Es klingt jetzt ein bisschen blöd, aber ich habe mir gedacht, dass, wenn es nicht einmal dort ohne echtes NLZ klappt, es sehr schwierig für mich wird.“ Mehr als die Regionalliga schien für ihn deshalb später nicht mehr möglich.
Doch es kam bekanntlich anders. Bei einem U19-Sichtungsturnier in Duisburg geriet Dinkci doch noch in den Fokus, neben Werder bekundete anschließend auch der FC Ingolstadt Interesse. Wenig überraschend erhielt der SVW den Zuschlag. „Für mich ist da ein Traum in Erfüllung gegangen. Jeder weiß, dass ich Werder-Fan durch und durch gewesen bin“, sagt Dinkci und ergänzt schmunzelnd: „Trotzdem war es auch immer eine Hassliebe, weil es mit den Probetrainings dort nicht geklappt hat. Ich habe mich aber riesig gefreut, auch wenn es ein wenig riskant war. Bei Ingolstadt hatte ich ein Angebot für einen längeren Vertrag, bei Werder nur für ein Jahr. Doch ich wollte unbedingt zu Werder.“
Nach und nach ging es für Eren Dinkci nach oben – und der denkwürdige 19. Dezember 2020 sollte alles noch toppen. Werder hatte in der Bundesliga vier Spiele in Folge verloren, sogar insgesamt neunmal in Serie nicht gewonnen. Kurz vor Weihnachten stand dann noch eine Auswärtspartie beim 1. FSV Mainz 05 an. Dinkci ging erstmals mit dem Profiteam auf Reisen. „Die Berufung war schon krass. Ich bin direkt nach Hause, habe meine Sachen gepackt“, blickt er zurück. „Keiner war zu Hause, nur meine Mama. Dann habe ich ihr gesagt, dass ich im Kader bin. Ich werde das nie vergessen: Sie stand auf der Treppe, hat mich angeschaut mit einem so breiten Grinsen, wie ich es noch nie von ihr gesehen hatte.“ Und es kam ja noch besser. Beim Stand von 0:0 wurde der Youngster dann tatsächlich kurz vor Schluss eingewechselt – und köpfte prompt mit seinem ersten Ballkontakt das Siegtor. „Es war wie in einem Traum, alle Jungs sind auf mich los“, erinnert sich der Shootingstar. „Ich dachte, dass das nicht sein kann. Schade, dass das Stadion wegen Corona komplett leer war, denn das passierte alles genau vor dem Gästeblock.“
All das ist Vergangenheit. Eren Dinkci bastelt mittlerweile an einer neuen, einer anderen Geschichte. Nicht mehr in Bremen. Vielen Fans tut das weh, auch Werder-Kollege Justin Njinmah bleibt enttäuscht zurück. „Tatsächlich habe ich mit Justin geschrieben und er meinte, dass es brutal wäre, wenn wir beide bei Werder auf dem Flügel sind. Am Ende hat es nicht geklappt – aber das kann man jetzt nicht mehr ändern.“ Dinkci freut sich auf die neue sportliche Herausforderung in Freiburg, wo die finanziellen Bedingungen inzwischen besser sein dürften als in Bremen. Davon wird sicher auch der Stürmer profitieren, doch der wird bei dem Thema ziemlich deutlich: „Klar, die Leute denken immer, dass Wertschätzung Geld hier oder da heißt, aber mir ist das eigentlich scheißegal, weil ich auch weiß, wie es ohne Geld ist.“