Ein Lächeln huscht über das Gesicht des Angeklagten und sein Blick geht in den mit Unterstützern besetzten Zuschauerbereich, denn gerade ist er vom Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs freigesprochen worden. Gemeinsam mit drei weiteren Werder-Ultras war er angeklagt, vor sechseinhalb Jahren, im Dezember 2017, nach dem Fußball-Bundesligaspiel des SV Werder gegen Mainz 05 an einer Auseinandersetzung mit Hooligans beteiligt gewesen zu sein. Die Richterinnen der Zweiten Großen Strafkammer am Landgericht waren sich nicht einmal sicher, dass er und ein weiterer Angeklagter bei dem Rückmarsch durch das Bremer Viertel überhaupt dabei waren, begründet die Vorsitzende den Freispruch für die beiden Männer. Die zwei anderen Angeklagten (27 und 29 Jahre alt) werden dagegen wegen einfachen Landfriedensbruchs zu 70 und 90 Tagessätzen á 60 Euro verurteilt.
Von ihrer Teilnahme sind die Richterinnen überzeugt. „Revierkampf“, nennt das die Kammervorsitzende, oder auch „Provokation“. Die begann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme schon im Stadion, als die Ultras die verfeindeten Hooligans auf der Westtribüne entdeckten. Von der Osttribüne aus skandierten sie „Nazis raus!“. Einer der Angeklagten sprach in der Halbzeit besorgt einen Fan-Betreuer an. Der verwies darauf, dass die Hooligans von der Polizei aus dem Stadion begleitet würden – was dann aber nicht geschah.
30 bis 40 Ultras griffen bei der "Schänke" an
Und so traf der Rückmarsch der Ultras im Viertel auf die Hooligans – zum Beispiel vor der Kneipe „Schänke“ im Viertel. Erster Akt des gefährlichen Schauspiels: 30 bis 40 Ultras zogen ihre Kapuzen über, Tücher vor das Gesicht, einige holten Handschuhe heraus. Dann liefen sie auf die „Schänke“ zu und warfen mit lautem Gebrüll („Nazis raus!“, „Scheiß Nazis!“) Pflastersteine, Flaschen und einen Heizpilz. Drei, vier Scheiben gingen zu Bruch. Bei dem verurteilten 29-Jährigen liege eine Beteiligung an diesem Angriff zwar nahe, sie „lässt sich aber nicht nachweisen“, sagt die Vorsitzende in ihrer 45-minütigen Urteilsbegründung.
Zweiter Akt: Als eine Gruppe Hooligans aus der „Schänke“ stürmte, mit Stühlen, dem Heizpilz und anderen Gegenständen bewaffnet, gaben viele der Ultras Fersengeld. Die beiden nunmehr verurteilten Angeklagten versuchten, mit verschiedenen Gesten, die als Aufforderung und Motivation verstanden werden konnten, die Gruppe zusammen zu halten und sich dem Kampf zu stellen. Dafür sind sie verurteilt worden. Der Kampf bestand bis dahin in den wechselseitigen Würfen der Gruppen mit Gegenständen.
Der dritte Akt ist das Geschehen auf oder nahe der Sielwallkreuzung, in deren Richtung die Ultras flüchteten. Ihnen setzten die Hooligans nach, es kam zu vereinzelten körperlichen Auseinandersetzungen. Gegen einen der Beteiligten, einen Hooligan, dürfte deshalb in den nächsten Monaten noch verhandelt werden; er hatte einen Ultra unter anderem mit einem Parkpfosten traktiert. Mindestens zwei Prozesse um dieses Geschehen sollen noch in diesem Jahr beginnen.
Zeugen konnten sich detailliert erinnern
Trotz des „dynamischen und unübersichtlichen Geschehens“ hätten sich Zeugen auch nach der langen Zeit detailliert erinnert, erklärt die Vorsitzende. Das „sehr konzentrierte, mehrmalige Hinsehen“ bei mehreren Handy-Videos habe dazu geführt, dass die zwei verurteilten Angeklagten an der getragenen Kleidung identifiziert werden konnten. Bei dem 29-Jährigen kam hinzu, dass bei einer Hausdurchsuchung auf seinem Handy ein Chat gefunden wurde, in dem er „von einer ersten Salve unsererseits“ schrieb und sich darüber beklagte, dass er in der ersten Reihe gestanden und wenig Unterstützung erfahren hätte. Bei dieser Sachlage „konnten keine vernünftigen Zweifel verbleiben“, erklärt die Vorsitzende.
Die Richterinnen entschlossen sich wegen der vielen für die Angeklagten sprechenden Umstände für eine niedrige Strafe, die nicht im polizeilichen Führungszeugnis auftaucht. So seien die beiden Verurteilten seit Jahren unbescholten und stünden in sozialen Einrichtungen „mitten im Berufsleben“. Wegen der überlangen Verfahrensdauer gelten zudem 60 Tagessätze als bezahlt.
Nach der Urteilsverkündung kommt es vor dem Gericht zu unzähligem Abklatschen und Umarmen der Angeklagten mit den Unterstützern. Schlüsse über den weiteren Verfahrensgang sollte man daraus nicht ziehen: Ob die Verurteilten Revision einlegen werden, dazu äußerten sich deren Verteidiger nicht.