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"Da hat sich was entwickelt" Welche Lehren Werder aus dem irren 4:3 gegen Hoffenheim zieht

Es war ein Spektakel: Nach 0:3-Rückstand gewannen die Grün-Weißen noch 4:3. Allerdings gibt es zwei Seiten der Medaille. Welche Lehren Werder aus der irren Auswärtspartie zieht.
30.09.2024, 11:48 Uhr
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Welche Lehren Werder aus dem irren 4:3 gegen Hoffenheim zieht
Von Malte Bürger

Köpfe wurden gleich reihenweise geschüttelt. Immer und immer wieder. Auch Peter Niemeyer wusste nicht, wie ihm geschah. So wie schon einige Zeit vorher. Die Uhr auf der Anzeigetafel hatte zwar gerade erst bei 17.42 Uhr gestanden, in der Sinsheimer Pro-Zero-Arena genügten diese läppischen zwölf Minuten nach dem Anpfiff jedoch, um gegen die TSG Hoffenheim für ein 0:3 aus Sicht des SV Werder Bremen zu sorgen. „Das war schon bitter, da auf der Bank zu sitzen und zu sehen, dass dir jeder Ball ins Tor fliegt“, meinte der Leiter Profifußball später, dessen Glaube daran, dass dieser Abend aus grün-weißer Sicht doch noch ein schöner werden könnte, auf ein Minimum geschrumpft war. Doch dann begann der Werder-Wahnsinn erst so richtig.

Was in den ersten zwölf Minuten passiert ist, sollte nie wieder passieren.
Michael Zetterer

„Ich bin ja ehrlich: Man nimmt den ersten Strohhalm, den man greifen kann. Das war der Platzverweis. Dann kommt gleich das Tor als zweiter Strohhalm“, sagte Niemeyer. Und je länger die Partie dauerte, desto größer wurde plötzlich das Bündel an Strohhalmen in den Bremer Händen. Und am Ende gab es tatsächlich – und zum ersten Mal überhaupt in Werders langer Bundesliga-Geschichte – einen 4:3-Triumph nach einem 0:3-Rückstand. Was neben den Strohhalmen für einen ziemlich bunten Mix an Emotionen sorgte.

Da war zuerst die Fassungslosigkeit. „Was in den ersten zwölf Minuten passiert ist, sollte nie wieder passieren“, mahnte Torhüter Michael Zetterer. „Wir müssen das analysieren und kritisieren, weil uns das gegen kein Team aus der Bundesliga passieren darf“, forderte Romano Schmid. Und Marvin Ducksch meinte entgeistert: „Über die ersten 15 Minuten brauchen wir nicht zu sprechen, weil ich selbst noch keine Worte dafür habe.“ Aber natürlich wusste auch der Stürmer, dass die desolate Anfangsphase sehr wohl noch einmal Thema sein wird. Genauer gesagt am Montagmorgen bei der Teamsitzung im Weserstadion. „Die ersten 15 Minuten waren ein Totalausfall“, urteilte Ole Werner gnadenlos. Werders Cheftrainer kündigte deshalb schon kurz nach dem Sieg an: „Über die erste Viertelstunde wird zu reden sein. Wir haben wirklich jeden entscheidenden Zweikampf verloren.“

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Nach all der berechtigten Kritik war dann aber Platz für die gleichermaßen berechtigte Anerkennung. Den Stolz auf das Erreichte. „Das ist heute definitiv ein besonderer Moment, den wir hier erleben durften“, erklärte Schmid. „Wir sind eine eingeschworene Truppe und wussten, dass nach dem 1:3 hier noch etwas geht und hatten auch im Gefühl, dass wir noch vor der Halbzeit das 3:3 machen.“ Stück für Stück robbten sich die Norddeutschen heran, über kleine Ziele zum ganz großen Wurf.

Die Rote Karte war unter dem Strich spielentscheidend, trotzdem muss man das in Überzahl auch erst mal so gut spielen wie wir. Da kann ich der Mannschaft nur ein Kompliment machen, sie hat richtig Moral gezeigt.
Ole Werner

Oder wie Marvin Ducksch die Philosophie der kleinen Schritte umschrieb: "Wir hatten zwei, drei Spieler auf dem Platz, die nach dem dritten Gegentor gesagt haben, dass wir nur ein Tor brauchen, damit sich alles noch mal drehen kann." So wurde aus der Hoffnung eine Mentalität. Eine Siegermentalität. Ein Signal an die Konkurrenz, dass Werder sich nicht einfach so aufgibt, wenn es mal katastrophal läuft. Auch Ole Werner lobte den vorbildlichen Teamgeist: „Die Rote Karte war unter dem Strich spielentscheidend, trotzdem muss man das in Überzahl auch erst mal so gut spielen wie wir. Da kann ich der Mannschaft nur ein Kompliment machen, sie hat richtig Moral gezeigt.“

Nach Treffern von Marius Bülter (5./8.) und Adam Hlozek (12.) egalisierten Julian Malatini (21.) sowie Jens Stage (26./39.) nach einem Platzverweis für TSG-Akteur Stanley Nsoki (18.) noch vor der Pause den Spielstand – wodurch der Appetit auf mehr im Bremer Lager erst so richtig geweckt war. „Es war für alle nach zwölf Minuten ein Schock, aber der Glaube war trotzdem da“, betonte Marvin Ducksch. „Wir haben uns in der Halbzeitpause gesagt, dass wir jetzt aufs vierte Tor gehen. Und wenn wir das vierte Tor gemacht haben, dann gehen wir auf das fünfte und sechste und lassen uns nicht mehr hinten reindrängen.“ Der Plan ging auf, der überragende Jens Stage traf kurz nach dem Seitenwechsel tatsächlich zum 4:3 (49.). Im Gästeblock gab es endgültig kein Halten mehr, irgendwo zwischen Freudentaumel und Unglaube lagen sich die Werder-Fans in den Armen.

Erst kürzlich hatte Werder gegen Borussia Dortmund beim 0:0 ideenlos in personeller Überzahl gewirkt, nun stimmten Esprit und Kampfgeist. „Wie wir es da gespielt haben, zeigt, dass wir einen Schritt weiter sind im Vergleich zu den letzten Wochen“, sagte Ducksch, während auch sein Coach meinte: „Da hat sich etwas entwickelt. Dass wir in Überzahl vier Tore schießen, davor kann ich nur den Hut ziehen.“

Ich durfte in den letzten Jahren viele besondere Momente mit diesem Verein erleben – und da gehört dieser bestimmt auch dazu.
Romano Schmid

Werner imponierte wie schon in Mainz beim 2:1-Erfolg in Unterzahl vor allem die Willensleistung seiner Profis: „Das war ein Wahnsinns-Spiel von meiner Mannschaft.“ Bleibt noch das Staunen. Und zwar über einen Spielverlauf, der alles andere als alltäglich ist. 1993 hatte Werder mal an einem legendären Champions-League-Abend gegen den RSC Anderlecht aus einem 0:3 zur Pause ein 5:3 gemacht. Für magische Nächte wie diese war einst das Prädikat „Wunder von der Weser“ kreiert worden. Die jetzigen Turbulenzen in der Fremde verfügen über einen ähnlich wundersamen Charakter.

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„Ich habe noch nie so ein Spiel erlebt“, erklärte Werner schmunzelnd: „Und mir wurde gesagt, dass es das in der Historie von Werder auch nicht so oft gegeben hat.“ Romano Schmid speicherte das Erlebte deshalb schnellstmöglich in seinem Gedächtnis ab: „Das gab es noch nie? Vielleicht gab es nach einem 0:3 auch noch nie eine Rote Karte“, sagte der Österreicher zunächst: „Aber das ist schon krass. Ich durfte in den letzten Jahren viele besondere Momente mit diesem Verein erleben – und da gehört dieser bestimmt auch dazu.“ Mit Werder wird es eben nie langweilig. Da kann der Abend auch noch so schlecht beginnen und die Suche nach Strohhalmen mühselig sein.

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