Wer zehn Tage vor dem Start der 2. Liga eine emotionale Diskussion unter Werder-Fans auslösen möchte, muss nur einen Namen sagen: Johannes Eggestein. Die Beziehung zwischen dem Stürmer und dem SV Werder ist kompliziert. Und je genauer man sich mit dieser Personalie beschäftigt, desto komplizierter wird es. Schon im vergangenen Sommer hatte der Verein keine Verwendung mehr für sein einst größtes Sturmtalent. Das Ergebnis ist bekannt: Während Eggestein für ein Jahr nach Österreich zu Europacup-Teilnehmer Linzer ASK verliehen wurde und dort regelmäßig Tore schoss, stieg Werder Bremen ab.
Diesen Abstieg hätte auch ein Johannes Eggestein nicht verhindert, sagen die einen. Nach ihrer Logik hat sich der nun 23 Jahre alte Angreifer schon bei drei Werder-Trainern nicht durchsetzen können. Was soll man also mit ihm?
Andere sagen: Johannes Eggestein, der allein in der U19-Bundesliga sensationelle 39 Treffer in 28 Spielen erzielte, kann das Toreschießen nicht plötzlich verlernt haben. Nach ihrer Logik hat der Stürmer bei Werders Profis nie eine ernsthafte Chance bekommen.

Die Werder-Kolumne im WESER-KURIER.
Nach der erfolgreichen Leihe schienen die Aussichten gut: Werder bekam ein treffsicheres Eigengewächs zurück, rechtzeitig zum geplanten Wiederaufstieg. Die schöne Alternative: Nachdem sich Eggestein in Linz ins Rampenlicht geschossen hatte, hätte Werder den Torjäger zu einem guten Preis verkaufen können. Dass nun wohl beides nicht eintritt, muss man erst einmal hinbekommen – und das kam so: Der neue Trainer Markus Anfang fand in seinem System mit einem Stoßstürmer und zwei Flügelspielern keine Verwendung für Eggestein, gleichzeitig schaffte es der für seine unglücklichen Äußerungen inzwischen bekannte SV Werder, den Spieler immer schlechter zu reden. Dabei wäre es gar nicht so schwierig gewesen, ihn nach seiner guten Saison zu loben und ins Schaufenster zu stellen. Kaufinteressenten gibt es nun nicht, weil sich alle in der Branche natürlich fragen, wo hier das Problem liegt.
Der Vertrag des früheren Kapitäns der deutschen U21-Nationalmannschaft läuft nur noch ein Jahr. Findet sich jetzt kein Käufer, würde Werder ihn im nächsten Sommer ablösefrei verlieren. Dabei könnte der SVW eigentlich Spieler gebrauchen, die Tore schießen. Die Hoffnungen ruhen derzeit allein auf dem gesetzten Niclas Füllkrug. Er ist Werders bester Stürmer, fällt aber häufig mit Verletzungen aus. Bei seinen Ersatzleuten Josh Sargent und Yuya Osako weiß man nicht, ob sie bei Werder bleiben. Man weiß aber, dass sie keine Torjäger sind.
Und was weiß man über Johannes Eggestein? Auf den ersten Blick wirken seine fünf Tore in 48 Bundesligaspielen ernüchternd. Es waren aber viele Kurzeinsätze dabei, er spielte insgesamt nur rund 1700 Minuten. Allein in einer Saison in Österreich spielte er viele Minuten mehr. Das Ergebnis: zwölf Tore und sieben Vorlagen in der Liga, sechs Tore im Pokal. War ja nur Österreich, sagen manche bei Werder. Er traf aber auch gegen den Topklub RB Salzburg (zwei Tore) und international gegen Tottenham. Er ist langsam, sagen manche, auch bei Werder. Es war aber ein schönes Kontertor in der Europa League gegen Antwerpen dabei, der Siegtreffer. Man sieht ihn oft nicht im Spiel, sagen andere Kritiker. Aber dann trifft er halt.
Es ist eine schwierige Diskussion, zumal Eggestein zuletzt im Testspiel gegen ZSKA Sofia den 1:0-Siegtreffer machte – wieder ein Tor. In seiner Laufbahn traf Eggestein bisher alle 124 Minuten. Zum Vergleich: Der gesetzte Füllkrug brauchte 170 Minuten pro Tor.
Nach all den Fehleinschätzungen der vergangenen Monate trauen viele Fans Werder nicht wirklich zu, hier richtig zu entscheiden. Mit Max Kruse fing das Dilemma an, mit dieser absurden Vorstellung, man könne sich ohne den Topscorer breiter aufstellen. Die cleveren Planer von Union Berlin, ein Verein, der deutlich weniger für seinen Kader ausgibt als Werder das in der Bundesliga machte, stellten sich mit Kruse breiter auf und blieben erstklassig.
Sollte Johannes Eggestein den Verein verlassen, könnte er wie Kruse zum Bremer Quälgeist werden. Bei jedem Tor würde man wieder fragen: Hätte er das nicht auch für Werder schießen können? Die Sache ist wirklich kompliziert geworden – dabei hätte es eigentlich ganz einfach werden können.