Auf einmal gab es kein Halten mehr. Nicht nur bei den Fans und den Spielern, die gemeinsam das späte Siegtor von Oliver Burke bejubelten, auch der sonst so kühle Ole Werner erlebte eine wahre Gefühlseskalation nach dem schottischen Kopfball ins Glück. „Das muss man machen. 90. Minute, erster Heimsieg – klar freut man sich da. Das darf dann auch jeder sehen!“, erklärte der Trainer des SV Werder Bremen seine Freudenschreie an der Seitenlinie, die er mit energisch nach oben gestreckter linker Faust begleitete. Hauchzart mit 2:1 (1:0) hatte seine Mannschaft den Aufsteiger Holstein Kiel bezwungen und somit die enttäuschte Grundstimmung nach der Niederlage in Mönchengladbach relativ schnell wieder korrigiert.
- Lesen Sie auch: Werders Stage macht sich das schönste Geburtstagsgeschenk selbst
Und hatte Werder somit auch automatisch die richtige Reaktion auf die Schmach bei der Borussia gezeigt? „Von den Punkten her schon“, meinte Niklas Stark. Doch der Innenverteidiger sparte auch nicht mit Kritik. „Wir können und sollten da dranbleiben mit dieser Intensität, die wir in der ersten Halbzeit gezeigt haben. Aber die Phasen, wo wir diesen Druck nicht aufrechthalten konnten, gilt es, in den nächsten Wochen zu trainieren und das Trainierte dann in unserem Spiel zu etablieren.“ Auch Ole Werner fällte ein Urteil mit Einschränkungen: „Wir standen direkt gut auf dem Platz und haben ein anderes Gesicht gezeigt als in Gladbach“, hatte der 36-Jährige beobachtet. „Trotzdem ist völlig klar, dass kein Spiel für uns so dahinläuft und wir das im Vorbeigehen gewinnen. So weit sind wir noch nicht. Wir müssen uns wirklich jeden Punkt in dieser Liga erarbeiten.“
In der Tat hätte Werder sich diesen Nachmittag im ausverkauften Weserstadion wesentlich einfacher gestalten können. Von Beginn an kontrollierten die Bremer das Geschehen, hätten bereits bei einer dicken Kopfballchance von Marvin Ducksch in Führung gehen können, ja eigentlich müssen. Das Versäumte holte dann später Jens Stage mit seinem Distanzkracher zum 1:0 nach (36.), kurz darauf verhinderte ein unglückliches Handspiel von Romano Schmid das 2:0 (39.). Und doch deutete zu diesem Zeitpunkt nicht viel darauf hin, dass sich die Verhältnisse auf dem Rasen großartig ändern würden. Taten sie aber. Die Gäste kamen wesentlich engagierter aus der Kabine, erzielten in Person von Phil Harres den Ausgleich (48.) und durften sogar vom zweiten Saisonsieg träumen. Weil Werder plötzlich mächtig schwächelte und in alte Muster verfiel.
„Es war ein harter Tag für uns, denn wir haben uns das Leben selbst schwer gemacht“, bilanzierte Kapitän Marco Friedl. „Wir stehen recht ordentlich in der ersten Halbzeit und haben das Spiel voll unter Kontrolle. Im zweiten Abschnitt machen wir dann viele Fehler und es ist ein offenes Spiel.“ Senne Lynen analysierte: „Die erste Halbzeit war sehr gut, in der wir das Spiel vielleicht schon entscheiden müssen, damit es ein bisschen entspannter läuft. Im zweiten Durchgang waren die ersten Aktionen nicht gut und es lief besser für den Gegner.“ Und Niklas Stark monierte: „Wir hätten es schon in der einen oder anderen Phase besser spielen können. Mitte der zweiten Halbzeit haben wir den Druck verloren, der nötig gewesen wäre.“
Was sich beinahe böse gerächt hätte. Unmittelbar vor dem Burke-Fest drohte nämlich eine tränenreiche Talfahrt: Nach einem Kieler Freistoß landete der Ball bei Fiete Arp, doch Werder-Keeper Michael Zetterer rettete gleich zweimal überragend (87.). Der Boden war endgültig bereitet für den Auftritt vom Schotten mit dem Bart, der herrlich vom ebenfalls eingewechselten Keke Topp per Flanke bedient wurde. Statt eines Unentschiedens oder gar einer Niederlage gab es doch noch den vierten Saisonsieg – erstmals auch vor eigenem Publikum. „Das freut mich extrem für die Mannschaft, weil sie Moral bewiesen hat, weil sie immer daran geglaubt hat und weil die Jungs, die reinkamen, gezeigt haben, dass jeder wichtig ist und jeder da sein muss in dem Moment, wo er gebraucht wird“, lobte Ole Werner.
Werner sieht enges Spiel mit verdientem Ergebnis
Werders Cheftrainer fühlte sich trotz oder gerade wegen des begeisternden Schlussakkords einmal mehr bestätigt. „Ich hatte nicht die Illusion, dass wir hier 4:0 gewinnen. Mir war klar, dass es ein Spiel sein würde, das in einzelnen Aktionen entschieden wird, vielleicht in puncto Effektivität“, erklärte der Ex-Kieler. „Deswegen bin ich insgesamt mit dem Auftreten zufrieden. Wir dürfen nicht schauen, welches Etikett von draußen auf einen Gegner gemacht wird. Es ist egal, ob es jetzt eine Topmannschaft oder ein Aufsteiger ist. Wir müssen immer schauen, dass wir uns richtig auf die jeweilige Aufgabe einstellen.“ Genau das hatte seine Mannschaft zunächst richtig gut, später nicht mehr ganz so überzeugend getan. Aber: „Wir haben uns dieses Ergebnis verdient – selbst wenn man sagen muss, dass es ein enges Spiel war. Aber wir haben alles dafür getan, dass wir am Ende das Quäntchen Glück auf unserer Seite haben, weil wir nicht aufgehört haben.“ Anders als die ekstatischen Jubelgesänge. Die waren auch noch weit nach Abpfiff rund um das Weserstadion zu hören.