Das wird eine besondere Atmosphäre, wenn Florian Kohfeldt im Achtelfinale des DFB-Pokals ins Weserstadion kommt. In sein Weserstadion, möchte man sagen, denn er hat sich dort lieber und länger aufgehalten als andere Kollegen. Zu sagen, dass er jeden Betonpfeiler im Stadion kennt, wäre keine Übertreibung: Von einem bestimmten Fleck am Mittelkreis aus konnte er sogar zeigen, wo es bei den Tribünen hinter dem Tor offenbar einen Planungsfehler gab, tatsächlich wirkt das Bauwerk an einer Stelle nicht stimmig. Der moderne Kabinentrakt, den die Mannschaft heute nutzt, ist sogar nach Kohfeldts Plänen entstanden.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
In der ersten Dezember-Woche wird er mit dem SV Darmstadt im Weserstadion spielen, ein Abendspiel unter Flutlicht. Jetzt werden sich wieder viele bei ihm melden, aus Bremen und der erweiterten Werder-Familie. Dieses Los im DFB-Pokal hätte es dazu nicht einmal gebraucht, denn Kohfeldt ist auf der Achterbahn des Trainerlebens gerade wieder oben. Der Rücken dürfte schon schmerzen vor lauter Schulterklopfern, nachdem er am Wochenende in Fürth mit 5:1 gewann.
Er kennt das auch anders. Nach seiner umstrittenen Entlassung in Wolfsburg gab es viele, die sagten: Seht ihr, er kann es eben nicht. Als er zum belgischen Erstligisten KS Eupen ging, überraschte er mit diesem Schritt. Als er dort im Abstiegskampf zurücktrat, urteilten viele, die nichts von seiner Arbeit dort oder von den Umständen im belgischen Ligabetrieb wussten. Schon war der Ruf da, den viele Trainer nicht loswerden. Der schlechte Ruf, bei dem die Anrufer und Fußballfreunde weniger werden.
Legendärer Konter von Lienen
Als er den Bundesliga-Absteiger Darmstadt im Zweitligakeller übernahm, wagte das sonst so fachliche Fußballmagazin Kicker die These, das sei Kohfeldts letzte Chance. Ernsthaft? Wer legt so etwas fest? Im Fußball hat jeder eine Chance, der das nächste Spiel gewinnt. Legendär übrigens, wie Ewald Lienen als Gladbach-Trainer mal im Sport1-Doppelpass die Frage von Moderator Rudi Brückner konterte, ob Gladbach seine letzte Chance im Profifußball sei. „Herr Brückner“, sagte Lienen, „ich weiß nicht, was der Blödsinn soll. Ist das Ihre letzte Chance, der Doppelpass?“
Kohfeldt begann seinen Dienst in Darmstadt mit der gleichen Begeisterung und ehrlichen Art, wie er das bei Werder tat. Er überzeugt dort bisher mit 1,88 Punkten pro Spiel in acht Partien. Er verließ dadurch die Abstiegsränge und gleich in drei dieser Spiele schoss Darmstadt fünf Tore. Das erinnert an seine Anfänge bei den Werder-Profis, die er ebenfalls im Abstiegskampf übernahm und mit mutigem Offensivfußball rettete. In Deutschland wurde er damals zum „Trainer des Jahres“. Auch das ist Teil der Achterbahn: Es geht viel zu schnell hoch und noch schneller runter.
Ole Werner widersteht den Verlockungen
Werders heutiger Trainer Ole Werner ist stets darauf bedacht, den Verlockungen des Rampenlichts zu widerstehen. Er dreht nach Siegen nicht durch und bewahrt nach Niederlagen die Fassung. Am Wochenende gab es die kuriose Situation, dass ihm vor dem Spiel beim Sender Dazn im Interview vorgeworfen wurde, er sei in seinen Aussagen nicht euphorisch genug. Nach der 1:4-Niederlage wird ihm das keiner mehr unterstellt haben. Werner ist immer: realistisch.
Kohfeldt war anfangs vielleicht zu fasziniert vom Profifußball, es ging für ihn steil nach oben. Er musste lernen, dass die Begeisterung für Fußball dort enden kann, wo das Geschäft beginnt. Viele Trainer reden von einem „Drecksgeschäft“, wenn es um das Zusammenwirken von Geld, Eitelkeit und persönlichen Interessen geht. Auch Kohfeldt weiß heute, was damit gemeint ist. Was man ihm anrechnen muss: Er hat seine guten Manieren und seine Einstellung nicht geopfert. Er ist höflich, authentisch, respektvoll und weit über den Tellerrand des Trainerjobs hinaus interessiert. Er informiert sich, holt andere Meinungen ein und ist nie zufrieden. Damit erinnert er an Ralf Rangnick. Der brauchte Jahre, bis er damit im selbstherrlichen Fußballbetrieb nicht mehr als nervig und störend wahrgenommen wurde.
Kohfeldt die Nummer 3 der Werder-Trainer
In der Bundesliga ist Kohfeldt die Nummer 3 der Werder-Trainer, nur Otto Rehhagel und Thomas Schaaf waren länger im Amt. Rehhagel 5203 Tage, Schaaf knapp dahinter mit 5119 Tagen. Bei Kohfeldt sind es 1292 Tage, vom November 2017 bis Mai 2021 – bis kurz vor dem Abstieg. Dass er den einen Sieg nicht holte, der zum Klassenerhalt gereicht hätte, gehört dazu.
Werner ist 1073 Tage im Amt. Er wird Kohfeldt demnächst wohl überholen. Bei den Punkten pro Spiel hat er das schon: 1,41 Punkte holte Werner, 1,34 Punkte holte Kohfeldt. Im Achtelfinale des DFB-Pokals wird nur einer jubeln können.