Bei aller Freude über die gute Platzierung des SV Werder in der abgelaufenen Saison: Das Thema Neuzugänge war vom ersten Spieltag an ein Problem – und bei genauer Betrachtung ist die Sache sogar heikler, als man es bei einem Bundesligaverein erwarten sollte. Denn die gute alte Werder-Familie, in der sich jeder gerne um den anderen kümmert, wurde an einer Stelle nicht so gelebt: nämlich in der Mannschaft selbst.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Wenn Neuzugänge nicht spielen, sind die Schuldigen schnell gefunden. Oft liegt es am Trainer, weil er die neuen Spieler nicht einsetzt. Das kann an einer Sprachbarriere liegen, an der Umgewöhnung an eine andere Liga oder ein anderes Land – oder auch daran, dass er lieber den etablierten Kräften vertraut. Der zweite Schuldige ist oft die Vereinsführung, weil Spieler geholt wurden, die nicht gut genug sind. Taktisch oder technisch schlecht ausgebildet, körperlich (noch) zu schwach, zu wenig Erfahrung auf hohem Niveau: Trifft nur eins davon zu, fehlt dem neuen Spieler die Klasse, einem Verein wie Werder zu helfen. Dann hat die Scoutingabteilung schlecht gearbeitet, oder es fehlten Geld und Mut, um rechtzeitig bessere Spieler zu holen.
Der Kern des Teams kennt sich lange
Bei Werder gibt es einen dritten Schuldigen: die Mannschaft. Und auch das ist nun Thema hinter den Kulissen, wenn es um die Saisonanalyse geht. Wie konnte es passieren, dass kein Neuzugang Stammspieler wurde und alle mehr oder weniger in der Versenkung verschwanden? Die Antwort lautet, vereinfacht gesagt: Die Mannschaft hat die neuen Spieler nicht mit offenen Armen empfangen. Der harte Kern der Stammelf ist schon mehrere Jahre zusammen, viele sind den Weg durch die 2. Bundesliga gegangen oder direkt nach dem Aufstieg gekommen. Wenn man es positiv sehen will, kann man sagen: Diese Jungs verstehen sich gut und halten zusammen. Drückt man es negativer aus, muss man sagen: Die etablierten Profis haben die Neuzugänge weggebissen.
Würde es einen Preis geben für die beste Integration von neuen Spielern, dann würde Werder ihn nicht gewinnen. Ob junge Spieler wie Julian Malatini und Skelly Alvero, ob nachverpflichtete Kräfte wie Issa Kaboré, ob im Vorjahr die Nationalspieler Olivier Deman und Dawid Kownacki oder zuletzt sogar der in der Bundesliga hoch angesehene Stürmer André Silva: Sie alle ereilte dieses Schicksal, sie fanden keinen Platz in Werders erster Elf. Wenn sie ein paar Spiele machten, war danach schnell wieder Schluss.
Es war auffallend und für die Ergebnisse auf dem Rasen relevant, dass Werder in der Rückrunde erst dann wieder gewann und nicht mehr so oft verlor, als die Neuzugänge draußen saßen. Die etablierten Kräfte regelten es – in den Spielen, aber eben auch in der Kabine und im Miteinander unter der Woche.
Die abwehrende Haltung gegen neue Spieler ist zum Teil verständlich, weil jeder Profi seinen Platz behalten möchte und wenig Lust verspürt, einem neuen Konkurrenten Spielzeit zu gönnen. Problematisch wird es aber, wenn andere Spieler es den neuen Kollegen auf dem Feld spüren lassen, dass sie lieber ihren alten Kumpel auf dieser Position gesehen hätten. Dann wird ein Meter weniger für den neuen Mann gelaufen, die Kommunikation ist schlechter, die Gesten nach einer schwachen Szene des neuen Spielers sind eher abwertend als aufbauend. Und in der Kabine wird es kühl bis ruppig. Das hat zwei Effekte: Der neue Spieler merkt, dass er nicht willkommen ist, was jeden Neuzugang verunsichert. Und der Trainer sieht, dass es wenig bringt, wenn er neue Spieler einsetzt, die Stamm-Mannschaft das aber im Prinzip nicht mitträgt.
Ole Werner umschrieb es kryptisch
Das macht es den neuen Spielern bei Werder seit geraumer Zeit extrem schwer. Eine Weiterentwicklung kann so kaum stattfinden. Der eingespielte Kern ist aber noch so gut, dass die Ergebnisse unterm Strich nach 34 Spielen stimmten. Die etablierten Seilschaften im Kader gingen zuletzt so weit, dass auch der erste oder zweite Einwechselspieler durch die interne Hierarchie im Prinzip feststand – und im Team penibel darauf geachtet wurde, ob das eingehalten wird oder ob neue Akteure diese Spielzeit bekommen. Wenn Ex-Trainer Ole Werner etwas kryptisch davon sprach, dass es in der Entwicklung Veränderungen brauche – dann meinte er auch das.
Der Verein kann das Problem lösen, indem er den Kader umbaut. Es müssten Stammspieler verkauft werden (was aus wirtschaftlichen Gründen ohnehin nötig erscheint), aber es müsste auch über solche Spieler nachgedacht werden, die seit Jahren eher im zweiten Glied dabei sind, die aber einen großen Einfluss auf die Stimmung in der Kabine haben. Es macht wenig Sinn, wieder vier bis fünf neue Spieler zu holen, die alle mit Argwohn empfangen werden. Dann müssten die Neuen so gut sein, dass sie jeden etablierten Profi sofort verdrängen. Solche Klasse-Leute hat Werder aber lange nicht mehr geholt – hauptsächlich, weil dafür das Geld fehlt.