Wer etwas genauer hinschaut bei Werders Spielen, der fühlt sich an die Zeiten unter Florian Kohfeldt erinnert. Nicht nur wegen des langsam, aber stetig schrumpfenden Vorsprungs auf die Abstiegsränge der Tabelle, sondern vor allem wegen des ständigen Eingreifens von Trainer Ole Werner am Spielfeldrand. Auch gegen Freiburg war der jüngste Trainer der Bundesliga dauernd damit beschäftigt, seiner Mannschaft auf die Sprünge zu helfen: Werner nahm von außen Einfluss auf fast alles, zumindest versuchte er das nach Kräften. Er zeigte seinen Spielern mit den Fingern das Spielsystem des Gegners an. Er beorderte seine Angreifer unermüdlich in die Zwischenräume. Er pfiff die Außenspieler auf der anderen Seite des Spielfeldes zurück auf die richtige Position und flüsterte seinem Abwehrchef Milos Veljkovic neue Lösungen für den Spielaufbau zu.

Grün auf weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Bei einem jungen Mann wie Ole Werner, 34 Jahre, wirkt das engagiert und cool am Spielfeldrand, nicht so verbissen und emotional wie bei seinem Gegenüber am Sonntag, dem Freiburger Christian Streich, mit 57 Jahren der älteste Trainer der Liga. Zuletzt sah man das in Bremen von Florian Kohfeldt. Auch der schien manche Aktionen am liebsten mit einer Fernsteuerung von der Seite ausführen zu wollen, weil seine Spieler während der 90 Minuten nicht immer auf der Höhe waren – oder eben nicht in der Lage, auf dem Feld die Situationen selbst zu erkennen und die richtigen Entscheidungen zu treffen, um das Spiel zu gewinnen.
Was Werner da macht, nach sechs sieglosen Spielen in Folge noch beherzter als vorher, ist kein Showcoaching. Das war es auch bei Kohfeldt nicht. Pep Guardiola war zu seiner Bayern-Zeit dafür berüchtigt, gerne auch bei hohen Führungen seine Mannschaft an der Seitenlinie zu dirigieren wie der große Herbert von Karajan. Lagen seine Millionenstars zurück, hockte Guardiola lieber teilnahmslos auf der Bank, als wäre eine Niederlage nicht sein Werk. Vereinsintern wurde er dafür manchmal verspottet. Werner (und vorher Kohfeldt) machen es anders. Ehrlicher, und aus einer Überzeugung heraus: Sie sehen, dass die Spieler die Hilfe brauchen.
Genau das führt aber zum eigentlichen Problem, das immer dann noch deutlicher wird, wenn Niclas Füllkrug nicht mitwirken kann – wie nun am Wochenende bei der 1:2-Niederlage gegen Freiburg. In vielen Partien ist Füllkrug längst eine Art zweiter Trainer, er steuert seine Mitspieler mit Kommandos und sorgt für die nötige Betriebstemperatur in der Mannschaft. Ohne Füllkrug fehlt es Werders Team zu oft an dieser Qualität, aus Wissen und Überzeugung heraus das Richtige zu tun – und eine schnelle Auffassungsgabe zu haben, um die Dinge auf dem Feld selbst zu regeln und nicht vom Tun des Gegners abhängig zu sein.
Frühere Werder-Mannschaften bekamen das ganz gut geregelt. Thomas Schaaf brauchte nicht ständig den Hampelmann zu machen, er hatte auf dem Rasen einen Frank Baumann, Torsten Frings, Tim Borowski oder Claudio Pizarro – und noch viele mehr. Solche Spieler benötigten nicht ständig Hinweise von außen, was zu tun ist. Auch Otto Rehhagel pfiff früher nur deshalb so markant auf dem Finger, weil das irgendwann sein Markenzeichen war. Die großen Bremer Spieler jener Zeit, ob Dieter Eilts oder Marco Bode, beteuern bis heute, dass sie die Pfiffe und Kommandos des Trainers im Stadionrummel oft gar nicht gehört haben. Trotzdem schafften sie viele große Siege.
Übrigens ist das, was Werders Trainer der heutigen Zeit vom Spielfeldrand rufen oder anzeigen, keine Wissenschaft in den Dimensionen der Quantenphysik. Oft geht es um relativ einfache Dinge, um Abstände und Räume, also Trainingsinhalte, die hundertfach geübt und besprochen wurden. Dass derlei trotzdem ständig von der Seitenlinie korrigiert werden muss, ist für Außenstehende erstaunlich und für die Trainer kein Vergnügen.
Es verlangt niemand fußballerische Perfektion, davon sind in einer aktuell auffallend fehlerlastigen Bundesliga-Saison ja selbst die Spitzenklubs Bayern München und Borussia Dortmund weit entfernt. Aber die Dinge auf dem Feld selbst zu erkennen und zu regeln, das ist eine Qualität, die im Abstiegskampf schon oft den Unterschied ausgemacht hat. Dann würde es bei Werder nicht mehr heißen: „Wir waren eigentlich ganz gut“ oder „Wir hätten fast gewonnen“. Gefühlte Wahrheiten sind im Fußball selten hilfreich. Am Ende zählt nur das Ergebnis – und das hat jeder Spieler auf dem Feld selbst in der Hand.