Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man glauben: Es gibt zwei Werder Bremen. Der eine Verein steht auf Platz 12 der Tabelle und damit beruhigende vier Plätze vor der Abstiegszone - und findet im Prinzip alles dufte, was er tut. Der andere Verein steht ebenfalls auf Platz 12, hinkt aber fünf Punkte hinter einem Europapokalplatz her und frustriert viele Fans damit, dass er keines der letzten sechs Bundesligaspiele gewann.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Diese Diskrepanz in der Wahrnehmung gehört bei Werder inzwischen fast zur Vereins-DNA. Schon vor dem Abstieg ging das los, weil die kleine Gruppe der Macher und Entscheider in der Werder-Blase schon damals Dinge anders sah, als es die vielen Tausend Menschen drumherum wahrnahmen. Das endete krachend in der zweiten Liga. Seither haben sich beide Gruppen, und damit auch die Wahrnehmungen, kaum aufeinander zubewegt: Die Verantwortlichen bei Werder reparierten den Abstieg und kämpfen heute wieder um den Klassenerhalt, die Fans und Beobachter schauen ihnen skeptisch auf die Finger, erwarten mehr Tempo (nicht nur auf dem Feld, sondern auch in der Entwicklung) und sehnen sich nach ambitionierterem Fußball.
Die Kulisse ist nicht nur Staffage
Der Letzte, der diese beiden Werder-Welten geschickt miteinander verknüpfen konnte, war Florian Kohfeldt. Seit dieser Trainer vor knapp drei Jahren entlassen wurde, kann man den Eindruck gewinnen, in der Werder-Blase bekäme man allenfalls am Rande mit, wie das Tun von der breiten Öffentlichkeit (Fans, Medien, Sponsoren) eingeschätzt wird.
Dass die große Kulisse im Stadion nicht nur Staffage ist, sondern aus lebenden und vor allem denkenden und zahlenden Menschen besteht, gehört bei Traditionsvereinen dazu und muss entsprechend ernst genommen werden. In guten Zeiten gibt das Kraft. Auf Werder aber wirkt es oft erdrückend – was auch daran liegt, dass die Anhänger zuletzt den Eindruck gewinnen mussten, sie würden eine größere Leidenschaft in ihren SV Werder stecken als das gut bezahlte Personal auf der anderen Seite. Das führte zu den Misstönen der vergangenen Wochen: Die Chance war riesig, mit etwas Glück einen Europapokalplatz zu erreichen. Doch wie leidenschaftslos die Mannschaft das durch die Niederlagen gegen Union und Wolfsburg herschenkte, war schade.
Danach krachte es unter den Spielern, die nicht mehr alle die gleichen Saisonziele hatten. Es war ein alarmierendes Bild, das Werder und seine Mannschaft damit abgaben: Ihnen fehlte die nötige Einstellung. Deshalb war es wichtig, beim 1:1 in Frankfurt ein anderes Auftreten zu zeigen. Ein Kernproblem bleibt aber. Werders Fußball sieht oft nach Arbeit aus, selten nach Freude am Spiel. Wer die Menschen begeistern will, und das hat Werder ungefragt als Leitlinie so formuliert, der muss selbst etwas dafür tun – sogar eine ganze Menge.
Das zählt auch zu den Aufgaben von Ole Werner. An ihm scheiden sich die Geister, das merkt man im Werder-Umfeld deutlich. Der Trainer hat die wichtigsten Ziele immer erreicht: erst den Aufstieg, dann den Klassenerhalt. Und auch in dieser Saison – ohne den Torschützenkönig Niclas Füllkrug – hält er Werder bisher in sicheren Tabellenregionen. Die weichen Ziele aber verfehlt Werner. Er emotionalisiert weder die Fans noch die jungen Spieler, er war ein wichtiger Grund dafür, dass ein Mega-Talent wie Eren Dinkci nicht zurück in seine Heimatstadt Bremen wollte. Werner ist kein großer Entwickler, aber er sorgt für die nötigen Punkte. Anders ausgedrückt: Er macht aus den vorhandenen Möglichkeiten vielleicht das beste, aber macht die Möglichkeiten nicht besser.
Dass Clemens Fritz nun öffentlich um mehr Wertschätzung für den Trainer bat, sagt eine Menge aus über die Kluft in der Wahrnehmung. Gewöhnlich bekommt man Wertschätzung von alleine, wenn man gute Arbeit leistet. Bei Werder aber wirkt vieles im Laufe einer Saison merkwürdig ungeplant, nicht nur während der 90 Minuten auf dem Feld. Im Fall des Trainers kommt hinzu: Werner vermied eher den Eindruck, um Europa kämpfen zu wollen. Ihm geht es darum, die Klasse zu sichern. Das ist inzwischen auch das letzte mögliche Saisonziel. Aber es könnte schon längst erreicht sein, wäre so manches Spiel nicht hergeschenkt worden. Mit Verletzungen oder Sperren hat das nur am Rande zu tun. Leistungsbereitschaft sollte man in jedem Spiel zeigen, dann sind Niederlagen akzeptabel.
Erst wenn die Erwartungen der Fans und das Auftreten der Mannschaft im Einklang sind, wird Werder wieder eine starke Einheit sein. Nicht mal die Jahrhundert-Choreo konnte das Team emotionalisieren, stattdessen verlor Bremen sogar das Jubiläumsheimspiel gegen Heidenheim. Die Frage ist nun, wer sich auf wen zubewegt: Sollen die Fans weniger erwarten? Oder müssen Verein, Trainer und Spieler mehr bringen?