Heute können sie bei Werder selbst darüber lachen. Damals war das nicht so. Gut gemeint, aber schlecht gemacht – das wurde in den Jahren des Abstiegskampfs selten so anschaulich vorgeführt wie an jenem 30. Juli 2019 im Trainingslager am Chiemsee. Werder Bremen wähnte sich in jener Zeit auf dem Sprung in den europäischen Fußball. Kurz zuvor hatte man nur knapp die Europa League verpasst. Max Kruse war in die Türkei gewechselt und Sportchef Frank Baumann hatte gerade vor dem Mannschaftshotel wortreich erklärt, wie Yuya Osako und Niclas Füllkrug diesen Kruse ersetzen würden (und dass man nicht viel Ahnung von Fußball haben müsse, um das vorhersehen zu können). Und jetzt, an diesem Nachmittag, war um 16 Uhr Training. Doch als die Spieler auf den Platz kamen, schaute ihnen keiner mehr zu. Die Journalisten verließen im Laufschritt das Gelände. Die Fans starrten nur noch in ihre Handys.

Die Werder-Kolumne des WESER-KURIER.
Dieses Desinteresse an ihrem Training kannten die Werder-Profis zwar von den Tagen, an denen Claudio Pizarro das Üben vorzeitig beendete und in die Kabine ging. Auch dann liefen die meisten Leute nach Hause. Aber als sich die Spieler nun umsahen, stand Pizarro neben ihnen auf dem Rasen. Was war also los?
Die Spieler erfuhren erst später, welches Thema alle in Werders Umfeld plötzlich so beschäftigte. Der Verein hatte es nämlich für eine clevere Idee gehalten, zum Trainingsbeginn die vorzeitige Vertragsverlängerung mit Florian Kohfeldt im Internet zu verkünden. Der Cheftrainer erhielt einen XXL-Vertrag mit erhöhten Bezügen und einer langen Laufzeit bis zum 30. Juni 2023. Garniert wurde das mit einem Doppelinterview auf der ersten Sportseite der „Süddeutschen Zeitung“, Baumann und Kohfeldt durften dort über Werders verlockende Zukunft reden. Viele im Verein feierten das prominent platzierte Interview als große Ehre. In der Redaktion in München erzählt man die Geschichte so, dass man eigentlich nur den aufstrebenden Kohfeldt sprechen wollte, der Trainer aber dafür gesorgt habe, dass es ein Doppelinterview wurde. Kohfeldt und Baumann, so sollte die Botschaft lauten, das sei nun wie Rehhagel und Lemke, wie Schaaf und Allofs.
Doch es kam anders. Im Gegensatz zu Lemke und Allofs führte Baumann den SV Werder nicht in den Europapokal, sondern in die zweite Liga. Und Kohfeldt ist seit Mai freigestellt. Der Vertrag des Trainers läuft aber weiter. Seit dieser Saison bezahlt Werder zwei Cheftrainer, Markus Anfang und Kohfeldt. Wegen des Abstiegs verringerten sich zwar auch Kohfeldts Bezüge um einen Betrag zwischen 40 und 60 Prozent, wie es aus dem Verein heißt. Diese Kürzungen griffen bei allen Führungskräften. Bis zum Vertragsende am 30. Juni 2023 ist es trotzdem noch lange hin.
Der lange Vertrag fühlte sich für Werder richtig an
Heute würden sie einen so langfristigen Trainervertrag nicht mehr abschließen, sagen sie in der Vereinsführung. Damals habe es sich richtig angefühlt. Kohfeldt war die heißeste Aktie auf dem deutschen Trainermarkt. Werder wurde für den Coup gefeiert, ihm eine passende Perspektive geboten zu haben. Doch im Abstiegskampf wurde er als Einziger zum Sündenbock gemacht und erst durch Thomas Schaaf und dann von Anfang abgelöst (der nur einen Zweijahresvertrag bekam, der ebenfalls am 30. Juni 2023 ausläuft).
Dass Kohfeldts Vertrag nicht aufgelöst wurde, wie in der Branche oft praktiziert, hat verschiedene Gründe. Weil der Trainer noch keinen neuen Verein hat, wäre er nicht gut beraten, auf sein Gehalt zu verzichten. Auf ein Entgegenkommen des Werder-Fans Kohfeldt bei einer Vertragsauflösung mit Abfindung brauchte der Klub nicht zu hoffen, als nach dem Abstieg aus der Vereinsspitze scharfe Kritik an der Taktik und an Auswechslungen in die Medien drang. Vielleicht wurde ihm auch deshalb noch kein Kompromiss angeboten. Werder selbst setzt nun darauf, dass Kohfeldt im Herbst einen neuen Klub findet – und man nur noch bis dahin Gehalt zahlen muss. Dass dieser Trainer im Gegensatz zu Werder dann vielleicht erstklassig bleibt, müsste man aushalten.
Sollte Kohfeldt erst zur neuen Saison einen Verein finden, könnte Werder theoretisch sogar eine Ablöse verlangen, weil es in dem bis 2023 gültigen Vertrag eine entsprechende Ausstiegsklausel für den Sommer 2022 gibt. Darauf hatte Kohfeldt bei den Verhandlungen bestanden, zum Wohle von Werder. Doch an ein solches Sümmchen glaubt derzeit kaum einer. Realismus ist angesagt zwei Jahre nach den großen Plänen des Sommers 2019. Schließlich behandelt auch die „Süddeutsche Zeitung“ die Norddeutschen heute eher im kleineren Meldungsbereich – wenn überhaupt.